Bad Segeberg. Kein “überragendes öffentliches Interesse“? Wie dramatisch die Situation für die Stadt ist, lesen Sie hier in unserem Text aus dem Dezember.
Viel ist die Rede vom geplanten Weiterbau der Autobahn 20 durch Schleswig-Holstein. Von den Folgen für die Umwelt, die Wirtschaft, den Standort Deutschland. Von einem Verfahren, das im internationalen Vergleich tatsächlich rekordverdächtig langsam ist. Von dem politischen Streit deshalb, auf Landes- und auf Bundesebene.
Vergleichsweise selten wird darüber gesprochen, welche Folgen das im Moment für eine Stadt und ihre Bürger hat: Bad Segeberg. Seit Jahren endet die Autobahn 20, aus östlicher Richtung kommend, kurz vor den Toren der Stadt. Völlig unstrittig ist, dass die Stadt darunter leidet – egal, ob man nun für oder gegen eine Autobahn bis nach Niedersachsen ist. Ein Besuch in einer Stadt, die seit Jahren mit einer belastenden Situation lebt und wohl noch einige Jahre leben muss.
A20: „Bad Segeberg versinkt regelmäßig im Verkehrschaos“
„Hier fahren am Tag bis zu 30.000 Autos durch“, sagt Toni Köppen. Er ist Bürgermeister von Bad Segeberg und steht an der Bundesstraße 206, an der sogenannten „Kaufland-Kreuzung“. Der Verkehr fließt hier von der A 20 in die Stadt und dann durch sie hindurch. Dass zwei, drei, vier Lastwagen hintereinander an einer roten Ampel stehen, ist keine Seltenheit, in der anderen Fahrtrichtung, wo der Verkehr von der A 21 kommt, ist das genauso.
In der Nähe der Kreuzung, direkt an der B 206, befindet sich die Dahlmannschule, ein Gymnasium. Hinter einem Zaun liegen Sportplätze, dahinter kommen die Schulgebäude. „Hier können Sie nicht bei offenem Fenster unterrichten“, erzählt Köppen. Unter dem Lärm der Bundesstraße, sagt der Bürgermeister, leiden auch noch weitere Schulen. Doch immerhin: Trotz zahlreicher Pkw und vieler Lastwagen fließt er im Moment, der Verkehr.
In der Karl-May-Saison verschlimmert sich die Situation
Zu anderen Tageszeiten ist das ganz anders. „Freitags und montags haben Sie hier morgens und nachmittags immer Stau. Und das potenziert sich in der Saison der Karl-May-Spiele. Dann haben wir vier Tage die Woche Verkehrschaos in der Stadt.“
Der Grund: Zu dem Auto- und Schwerlastverkehr kommen 400.000 Fahrzeuge pro Saison, von Menschen, die sich gerne Winnetou und Old Shatterhand am Kalkberg ansehen möchten. Zwar gibt es ein neues Verkehrsleitsystem für die Besucher, aber „das Grundproblem wird bleiben, so lange wir den Grundverkehr nicht umleiten“, sagt Toni Köppen.
Wenn es Stau gibt, fahren die Lastwagen durch die Wohngebiete
Mit Grundverkehr meint er die vielen Autos von der Autobahn. Die suchen sich, sobald es auf der B 206 Stau gibt, ihren Weg selbst. Und das bedeutet: Durch die Wohngebiete von Bad Segeberg fahren, teilweise schon morgens, wenn die Kinder auf dem Weg zur Schule sind, Lastwagen, die von den Navigationssystemen durch schmale Nebenstraßen geleitet werden.
Auch für die Stadtentwicklung hat die derzeitige Situation Konsequenzen. Sie steht nämlich weitgehend still – so lange es der Weiterbau der A 20 auch tut. „Wir könnten diesen ganzen Bereich hier anders entwickeln“, sagt Toni Köppen und deutet auf den ZOB, der in direkter Nähe der Kaufland-Kreuzung liegt.
Bad Segeberg: Bundesstraße durchschneidet die Stadt
Aktuell nämlich durchschneidet die B 206 die Stadt, trennt Viertel voneinander. Leitet eine weitergebaute A 20 erst einmal den Verkehr an der Stadt vorbei, soll die B 206 zur Gemeindestraße herabgestuft und dann auch in der Breite reduziert werden, von vier auf zwei Spuren – so der Plan. „Dann würde es auch Sinn ergeben, ein Verkehrskonzept für die ganze Stadt zu entwickeln“, sagt der Bürgermeister.
Auch in der Stadtpolitik wird die aktuelle Situation als unhaltbar gesehen. „Bad Segeberg versinkt regelmäßig im Verkehrschaos. Im Sommer, in der Urlaubs- und Karl-May-Zeit, geht in der Stadt nichts mehr. Quer durch Bad Segeberg haben wir dann Stau“, heißt es in einer Stellungnahme der CDU Bad Segeberg auf eine Anfrage des Abendblattes. Man bekräftigt: „Für uns kann es gar nicht schnell genug gehen mit dem geplanten Ausbau der A 20“.
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Wie die Grünen in Bad Segeberg das Problem sehen
Ganz ähnlich antworten SPD und FDP auf entsprechende Anfragen. Die Stadt leide unter enormen Staus und Luftverschmutzung, der Weiterbau müsse endlich vorangehen. Auch Annelie Eick, Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Stadt, sagt: „Wir haben durch die aktuelle Situation viel innerstädtische Belastung. Den Aspekt muss man sehen.“
Sie betont allerdings auch die Probleme, die der derzeit geplante Verlauf der A 20 südlich um Bad Segeberg herum auch mit sich bringe. „Es wird sehr viel Natur zerstört. Und die idyllische Situation der Südstadt ist dann auch weg.“ Zudem würde die Dahlmannschule zwar entlastet, wenn sich die Laster nicht mehr durch die Innenstadt quälen. Dafür hätten dann künftig zwei andere Schulen ein Problem, weil die Autobahn in ihre Nähe rücke.
Wie aus Sicht der Grünen eine Lösung aussehen könnte
Annelie Eick glaubt zudem, dass auch künftig Autobahnverkehr durch Bad Segeberg fließen könne – etwa dann, wenn es auf der A 20 einen Unfall gebe. Dass es überhaupt soweit kommen konnte, dass die Stadt so leidet, hält sie für ein Unding: „Die A 20 so kurz vor Bad Segeberg enden zu lassen, empfinde ich als Erpressung.“
Wie sähe denn aus Eicks Sicht eine Lösung aus? „Wir würden die A 20 weiterbauen, allerdings in einem Tunnel, unter Bad Segeberg hindurch“, sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende. Und dann sollte die Autobahn auch kurz hinter Bad Segeberg, mit dem Anschluss an die A 21, schon wieder enden.
„Keine Chance auf Realisierung“, sagt Koordinator der DEGES
Eine Lösung wie diese habe allerdings „keine Chance auf Realisierung“, macht Ulf Evert klar. Er ist Projektkoordinator bei der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH, kurz DEGES, die für die Planung der Autobahn mittlerweile zuständig ist. Die DEGES arbeitet an einer anderen Lösung, und die sieht nach wie vor, die Autobahn südlich um die Stadt herum zu führen.
So weit war das Verfahren schon 2012, damals klagten allerdings Umweltverbände, unter anderem wegen der Schädigung des Travetals. Die Trassenführung wurde abgeändert, nun ist man im „Fehlerheilungsverfahren“, so Ulf Evert. Im „ersten Quartal 2023“ wolle die DEGES die aktuellen Pläne für die Trasse vorstellen.
Einigkeit auf Landes- und Bundesebene – oder?
Auf Landesebene bekennen sich mittlerweile Politiker aller Farben zum Weiterbau der Autobahn. Auch die Grünen, die die A 20 prinzipiell nicht wollten, aber jetzt in Schleswig-Holstein mit der CDU regieren, beugen sich hier der Koalitionsdisziplin. Ein ungeliebtes Projekt bleibt es, das viele auf der Prioritätenliste wohl gerne nach hinten schieben würden.
Und die Bundesebene, die letztlich über die Sache entscheidet? Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günter (CDU) gab kürzlich nach einem Gespräch mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zu Protokoll, dass er „sehr beruhigt“ sei, dass das Projekt A 20 mit hoher Priorität verfolgt werde. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stellte hingegen kürzlich öffentlich infrage, ob diese Autobahn wirklich bei Glückstadt die Elbe queren müsse.
Mögliche Folgen der Fehmarnbeltquerung für Bad Segeberg
Für Bad Segeberg ist vermutlich entscheidender, ob erneut Umweltverbände oder andere gegen die Planung im Bereich der Stadt klagen und ob es dadurch zu Verzögerungen kommt. Die nämlich fürchtet Bürgermeister Köppen. „Wenn die Fehmarnbeltquerung erst einmal da ist, dann liegen wir hier auf der Achse. Das heißt, noch mehr Verkehr.“
Außerdem gebe es Planungen, am Bahnhof die Züge künftig wesentlich häufiger als jetzt halten zu lassen. Für die Autos hieße das: häufigere, längere Wartezeiten im Stadtgebiet. Das Chaos wäre wohl, zumindest in den Sommermonaten, komplett.
A 20: Wann mit einer Fertigstellung des Autobahnabschnitts gerechnet wird
So oder so: Die Stadt wird noch jahrelang mit der Situation leben müssen. Zum Planungshorizont sagt Ulf Evert von der DEGES: „Bei einem Planfeststellungsbeschluss im Jahr 2024 rechnen wir mit einer Fertigstellung des betreffenden Autobahnabschnitts im Jahr 2030.“
Vielleicht ist das noch eine eher optimistische Einschätzung. Als gesichert dürfte gelten, was Dirk Wehrmann sagt, Vorsitzender der SPD-Fraktion in Bad Segeberg: „Das Planungsrecht in Deutschland bedarf einer Revision, um wichtige Infrastrukturprojekte deutlich schneller realisieren zu können.“