Timmendorfer Strand. Hier gibt es ganzjährig Lebenslust, Panik-Kultur – und dazu außerdem den schönsten Radweg Deutschlands.

Aaah, endlich Herbst! Endlich kehrt wieder Beschaulichkeit ein in Timmendorfer Strand. Kein Gedränge der Porsches mehr rund um das alte Rathaus wie im Sommer. In den Straßencafés und Restaurants bieten sie die schönsten Plätze zur freien Auswahl. Und der prachtvolle Strand gehört nur noch den Möwen und uns. Herrlich ...!
So, und jetzt alle wieder aufwachen, genug geträumt. Wer die Einsamkeit sucht und zum Einschlafen ans Meer fahren will, für den gibt es vielleicht an der Schlei einige passende Orte. In Timmendorf aber, dem wummernden Herzen der Lübecker Bucht, ist ganzjährig Lebenslust angesagt. Hier wird gefeiert und gelacht, geshoppt und geschlemmt – gerade dann, wenn die sommerliche Ferienkundschaft abgereist ist und die Hamburger Fans sich an schönen Wochenenden erwartungsfroh auf die A 1 begeben – für den kleinen Urlaubshunger zwischendurch. In knapp einer Stunde ist man da und vergessen die herbstliche Tristesse. Herrlich! Und diesmal stimmt es wirklich.

Der Strandspaziergang

Wer von Norden her den Timmendorfer Strand erreicht, darf alle Kleider fallen lassen und Scharbeutz die blanke Kehrseite zeigen. FKK ist hier ausdrücklich erlaubt – vielleicht ein kleiner Scherz der Timmendorfer an die Adresse der Dauer-rivalen nebenan. Möglichst gut angezogen geht es dann weiter um die elegant geschwungene Sechs-Kilometer-Bucht. An der Kiefern-Promenade wechseln sich Villen im Hamburger Reeder-Stil der Jahrhundertwende ab mit gläsernen Wohn-Aquarien, Prinz-Protz-Schlössern und flachgelegten Backsteinbauten der Wüstenrot-Ära. Aber egal: Alle sind Maklers Darling – wer verkauft, kassiert Millionen. Nach zwei Dritteln der Strecke, am Niendorfer Hafen, kann man sich bei Klüvers mit Bratfisch und selbst gebrautem Bier für die letzte Etappe wappnen. Am Ende wird es wild. Schilder warnen: Vorsicht, abbrechendes Steilufer! Huch – wer wandert da nach Travemünde?

Das Kulturerlebnis

Kultur hat in Timmendorf vor allem einen Namen. Nein, nicht Banause (also bitte!). Natürlich fällt jedem sofort die Gruppe 47 ein, die legendäre Schriftsteller-Vereinigung um Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Ilse Aichinger und Siegfried Lenz. Die Autoren trafen sich im Mai 1952 im damaligen Hotel Kasch, um nächtelang zu diskutieren und tagsüber nackt in die Ostsee zu springen. Vor allem Letzteres ist den Einheimischen unvergesslich geblieben. Heute erinnert eine Gedenktafel am Haus des Kurgastes in Niendorf an das denkwürdige Ereignis. In der Gegenwart prägen vor allem drei Buchstaben – UDO – das Timmendorfer Kulturleben. 1986 schrieb Lindenberg im Maritim-Hotel die Ortshymne „Hinterm Horizont geht’s weiter“, wofür ihn die dankbare Gemeinde mit einer Stahlplastik am Strand bedachte. Seine Fans finden ihn auch direkt zum Mitnehmen. Die Galerie Walentowski verkauft handsignierte Siebdrucke seiner Gemälde für 1999 Euro, Rahmen inklusive.

Ein architektonisches Kleinod: die Trinkkurhalle an der Strandpromenade.
Ein architektonisches Kleinod: die Trinkkurhalle an der Strandpromenade. © picture alliance

Das perfekte Essen

Die leckersten Fische schwimmen immer zu den besten Köchen. Das ist bei Lutz Niemann, dem sterngekrönten Küchenchef in der eleganten „Orangerie“ des Maritim-Hotels, nicht anders. Und für diese Erkenntnis muss man nicht einmal einen Tisch reservieren und das Vier-Gänge-Menü für 93 Euro bestellen. Es reicht ein Platz am Tresen der rustikalen „Friesenstube“ nebenan. Sie wird gastronomisch von der „Orangerie“ mitversorgt, und hier gibt‘s, für 21 Euro, „Gebratenes Dorschfilet mit Kartoffelstampf und Champagner-Senfsauce“. Der Fisch: dick und saftig. Der Stampf: köstlich. Die Sauce: ein Traum.

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Das besondere Erlebnis

Erst auf der Terrasse vom Café Wichtig den Cappuccino zelebriert. Dann bei Tonegutti (seit 1936 in Timmendorf!) das legendäre Schokoeis gekostet. Was könnte da noch kommen? Genau: das Paradies. Also schnell ein Fahrrad ausleihen und am Vogelpark vorbei die Aalbeek-Niederung ansteuern. Vom Löns-Blick (hochklettern!) hat man eine überwältigende Sicht über den Hemmelsdorfer See bis zu den Türmen der Lübecker Marienkirche. Dann weiter über den Bohlenstieg ins Feuchtgebiet, wo es rechts und links gluckert, Schilfmassen sich über den Weg biegen und Schmetterlinge, Reiher und schottische Hochlandrinder Heimrecht haben – einer der schönsten Radwege Deutschlands. Wohin es geht? Zum allerschönsten! Richtung Hemmelsdorf: Irgendwann beginnt der Weg sich um die Bäume zu winden …

Udo in Stahl – das Denkmal für „Hinterm Horizont geht’s weiter“.
Udo in Stahl – das Denkmal für „Hinterm Horizont geht’s weiter“. © picture alliance

Die Übernachtung

Nein, Meerblick gibt‘s nicht. Dafür aber Til Schweiger. Sein Barefoot-Hotel am Kurpark hat alles, damit der perfekte Tag in eine perfekte Nacht übergeht – zumindest für Keinohrhasen und Zweiohrküken. Schon am Empfang grüßt der Hausherr mit großem Bild von der Wand. Im Design hat Schweiger Ostholstein in Long Island verwandelt. Wem’s gefällt, kann sich im Hotel-Shop mit Erinnerungsstücken eindecken. Oder er bestellt im Restaurant „Tils Bolognese“ (15,50 Euro), laut Karte nach dem Rezept seiner Tante in Como. Angeblich klatschen Tils Kinder „begeistert in die Hände, wenn Papa seine Bolo serviert“. Wir wünschen guten Appetit. Der Rest ist Schweiger.

Das neue Magazin:

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Nach dem Erfolg im Sommer bringt das Abendblatt die zweite Ausgabe des Magazins „Nord? Ost? See!“ für Urlaub und Ausflüge an den Küsten im Norden – unter anderem mit den „Perfekten Tagen ...“ – in den Handel. Das 108-seitige Magazin kostet 9 Euro (Treuepreis 7 Euro) und erscheint am 1. Oktober. Vorbestellungen unter abendblatt.de/magazine und Telefon unter 040/333 66 999 (Mo–Fr 8–18 Uhr).