Wedel. Emotionale Sprechstunde in der Ratsversammlung. Doch die Stadt sehe keine Alternative zur Schließung. Eltern verließen erbost den Raum.
Was passieren kann, wenn Emotionalität auf kühle, rationale Gesetzeskonformität der Verwaltung trifft, war jetzt im Wedeler Rat deutlich zu sehen. Für die Einwohnerfragestunde der Wedeler Ratsversammlung ist üblicherweise ein Zeitraum von einer halben Stunde vorgesehen – am Ende war diese fast doppelt so lang.
Denn: Aufgebrachte Eltern stellten nach dem von der Stadt verkündeten Aus der Kita „Kleine Strolche“ der Verwaltung Fragen, etwa nach versuchten Lösungswegen aus Vergangenheit oder Optionen für eine Zukunft.
Stand jetzt wird die Kita an der Holmer Straße Ende August geschlossen, denn der Betrieb wird von der Stadt untersagt. Solche Gerüchte hatten zuvor bereits die Runde gemacht, doch eine Entscheidung stehe noch aus, hatte es zunächst noch geheißen. Dann bestätigten sich die Gerüchte.
Streit um “Kleine Strolche“: „Eine Frechheit!“ – Wedeler Kita-Eltern nach Aus verzweifelt
Andere Fragen zielten auf einen Umzug auf dem ehemaligen Klinik-Gelände in das ursprüngliche Kita-Gebäude oder gesetzliche Änderungen oder Ausnahmeregelungen. die einen Weiterbetrieb doch noch möglich machen könnten.
Alle Fragenden waren mit den teilweise schmallippigen Antworten aus Reihen der Verwaltung sichtlich unzufrieden, ja sogar davon erbost. Auch die CDU-Fraktion hatte einen Antrag mit Fragen eingebracht, die aus Sicht der Elternschaft relativ wenig Erhellendes hervorbrachten.
„Es ist eine Frechheit, was hier passiert. Es geht um unsere Kinder“, sagte eine verzweifelte Mutter, die wutentbrannt mit ihrem ein Jahre alten Baby im Tragetuch den Ratssaal verließ. Ihre ältere Tochter sei fünf und gehe noch zu der bald geschlossenen Kita.
Nach der Einwohnerfragestunde verließen die Eltern erbost den Ratssaal
Eine gute Woche habe die Verwaltung Zeit gehabt, sich detailliert auf die erwartbaren Nachfragen vorzubereiten, meinte ein enttäuschter Vater, Viele Eltern und Mitarbeiter der Kita – sämtliche Abendblatt-Anfragen an die Leitung blieben bisher unbeantwortet – strömten ebenfalls heraus.
Von den gut 50 Zuhörern zu Beginn der letzten Sitzung vor der Kommunalwahl am 14. Mai blieben nach der Einwohnerfragestunde nur noch wenige vor Ort. Ein aufgrund der aufgeheizten Stimmung sichtlich perplexer Stadtpräsident Michael Schernikau, der die gemeinsamen Sitzungen von Vertretern aus Politik und Wedeler Verwaltung letztmalig leitete, unternahm den Versuch einer Rechtfertigung: „Wir haben die Fragen nun aufgenommen, sie werden noch beantwortet. Mehr können wir an dieser Stelle einfach nicht unternehmen.“
Stadt Wedel: Kita wird zum 31. August geschlossen
Die Stadt Wedel hatte am Montag, 8. Mai, bekannt gegeben, dass die Kita „Kleine Strolche“ zum 31. August geschlossen wird – wenige Tage zuvor war seitens der Verwaltung noch von laufenden Gesprächen mit dem aktuellen Träger, den Regio Kliniken, und anderen Beteiligten die Rede. Aktuell gehen 31 Kinder in diese Einrichtung. Sechs Erzieher kümmern sich – von 6 Uhr morgens an – um sie.
„Meine Frau und ich, wir arbeiten beide im Krankenhaus als Pfleger und sind darauf angewiesen, dass wir unser Kind so früh in die Kita bringen können. So etwas ist wohl einmalig im Kreis Pinneberg. Sollen wir jetzt beruflich umschulen?“, sagte ein aufgebrachter Vater. Welche Alternativen gebe es? Er merkte eine „desaströse Kommunikation“ an.
Stadt Wedel pocht auf baurechtliche Gründe – Änderung sinnlos
Viele Antworten auf Fragen, etwa wie das Aus mit der allgemein angespannten Kita-Situation – nicht nur in Wedel – zu vereinbaren sei, führten immer wieder auf die Gesetzeslage in diesem speziellen Fall zurück. Stadtjustiziarin Angela Gärke fehlte. Sie hätte möglicherweise an der einen oder anderen Stelle in der Diskussion fundiert helfend eingreifen können.
Der Betrieb einer Kita auf diesem Gelände – im sogenannten Außenbereich, der baurechtlich anders zu betrachten ist als innerörtliche Angelegenheiten – ist auf gesetzlicher Ebene an einen Krankenhausbetrieb gekoppelt.
Regio Kliniken sind Kita-Träger – das Krankenhaus in Wedel gibt es nicht mehr
Träger sind aktuell die Regio Kliniken, die im Laufe des Corona-Jahres 2020 im August die letzten verbliebenen Abteilungen an den Standorten in Pinneberg und Elmshorn unterbrachten. Die Betriebskita blieb vorerst, der Träger sah sich jedoch nach Interessenten um.
Im gleichen Jahr folgte der Verkauf des Klinik-Grundstücks an den Immobilien-Investor Captiva. Seitens der Regio-Kliniken sei es vertragliche Voraussetzung gewesen, den Kita-Fortbestand zu sichern. „In den letzten Jahren haben wir darüber hinaus zahlreiche Gespräche mit potenziellen neuen Trägern geführt“, heißt es in einer Mitteilung der Geschäftsführung. Scheinbar ergebnislos.
Investor Captiva verhandelte mit niederländischem Klinikbetreiber
Doch warum ging der Betrieb über diesen Zeitraum – ohne Krankenhaus – in Wedel noch weiter – und ist erst ein Problem geworden, seit die Regio Kliniken die Trägerschaft nun endgültig abgeben wollen? „Dem für Kitas zuständigen Fachdienst Bildung, Kultur und Sport der Stadt Wedel war die Baulast, die den Kitabetrieb an den Krankenhausbetrieb koppelt, bekannt.“
Der neue Investor habe stets eine krankenhausähnliche Nutzung am Standort des ehemaligen Krankenhauses Wedels als erklärtes Ziel formuliert, so Stadtsprecher Sven Kamin.
Interesse verhinderte rechtzeitige Änderung der baurechtlichen Verpflichtungen
Gisela Sinz, Fachbereichsleiterin Bauen und Umwelt der Stadt, sprach in der Ratssitzung von einem „niederländischen Klinikbetreiber“, der konkretes Interesse an einem Standort in Wedel, möglicherweise auch für ein „Gesundheitscampus“ hatte. Daher sei zu jenem Zeitpunkt noch keine Änderung der baurechtlichen Verpflichtungen (Baulast) in die Wege geleitet worden.
Deshalb gab es für den Fachdienst auch nach Krankenhausschließung im August 2020 die nicht „unberechtigte Hoffnung, dass der rechtliche Schwebezustand eine Art Brückenlösung sein kann, bis die Baulast durch eine neue krankenhausähnliche Nutzung wieder übernommen werden kann“, so Kamin.
Endgültiges Aus des Investoren-Deals erst „Ende März 2023“
Doch „durch die Klarstellung des Investors Ende März 2023, dass aus verschiedenen Gründen keine krankenhausähnliche Nutzung in Sicht ist, war den handelnden Personen klar, dass dieser Schwebezustand nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.“
Daher müsse die Bauaufsicht – eine vom Land an Kreise und Kommunen delegierte Landesaufgabe – in Kenntnis dieser neuen Sachlage „die Einstellung des Betriebes verfügen.
Auch die Stadt bedauert diese Entwicklung. Die notwendige Schließung ist ein schwerer Schlag nicht nur für die betroffenen Familien, sondern auch für die Betreuungslandschaft der Stadt Wedel insgesamt“, meint der Sprecher.
Stadt sieht sich juristisch zur Schließung gezwungen – und bedauert den Schritt
In der Versammlung war Sinz auch gefragt worden, ob nicht in diesem Einzelfall anders entschieden werden könnte. „Nein, in Anbetracht der aktuellen Rechtslage geht das ohne Änderung der Bauleitplanung nicht.“
Die Rahmenbedingungen „für ein privilegiertes Vorhaben nach Paragraf 35 Absatz 1 Baugesetzbuch sind nicht gegeben“, heißt es in einer schriftlichen Antwort der Stadt. Es werden weitere Paragrafen genannt, die einer bauaufsichtlichen Genehmigung widersprechen.
Für die Bauleitplanung ist der Fachdienst Stadt und Landschaftsplanung auf Basis der politischen Beschlüsse zuständig. Die Stadt Wedel gehe auf rechtlicher Basis davon aus, „dass im geschütztem Außenbereich ein isolierter Kita-Standort planungsrechtlich ohnehin nicht realisierbar ist“, heißt es schriftlich.
Flächennutzungsplan weist Gebiet als Waldfläche aus
Der Flächennutzungsplan von 2010 weist das Gebiet an der Holmer Straße als Waldfläche aus, das bedeutet „mit der Änderung des Flächennutzungsplanes hat der Plangeber die Absicht dargestellt, die Sondergebietsfläche Krankenhaus zu reduzieren und auf einem Teil der Fläche Wald zu realisieren“, erklärt Stadtsprecher Kamin. Diese Entwicklung sei ein sogenannter „öffentlicher Belang, was wiederum bedeuten würde dass sich „eine Nachnutzung als Kita auf Basis des aktuellen Flächennutzungsplanes“ ausschließt.
Änderungen in Flächennutzungs- und Bauplänen würden im Zusammenspiel von Politik, Verwaltung, Fachdiensten und der Öffentlichkeit – losgelöst von diesem speziellen Fall – oft „deutlich länger als ein Jahr dauern.
Stadt Wedel schafft 230 neue Kita-Plätze bis 2025
Der Aus- und Neubau für andere Kindertagesstätten in Wedel würde stattdessen forciert. In kommender Zeit entstehen in Wedel insgesamt 230 neue Kita-Plätze.
Im Detail: An der Kita Wasserstrolche Wasserstrolche – Träger Fröbel – werden 120 Betreuungsplätze geboten – 80 in der Altersklasse Ü3 – und 40 Krippenplätze (U3). Die geplante Inbetriebnahme stehe nach Stadtangaben in der Saison 2024/2025 an.
Zum 1. April 2024 sollen an der Kita St. Marien (Träger: Krippenhaus) 20 Ü3-Plätze und 30 für die Jüngeren entstehen. Bonava möchte als Träger der AWO-Kita Ende 2024 60 neue Plätze anbieten können (Ü3: 40, U3: 20).
Alle Fraktionen bedauern die Entscheidung
Vorerst fallen jedoch 31 Plätze weg. Die Wartelisten sind lang, den gesetzlichen Anspruch auf Kita-Plätze einzuhalten, könne schwierig werden, Von den pädagogischen Aspekten, Kinder aus ihrem gewohnten sozialen Umfeld durch solch eine Schließung herauszureißen, wollte Ratsmitglied Petra Kärgel (Die Grünen) auf der Sitzung am Donnerstagabend gar nicht erst anfangen. Man brauche die Kita „Kleine Strolche“ einfach zusätzlich.
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Detlef Murphy (Die Linke) sah die Wurzel allen Übels 2009 im Verkauf der Klinik, die ursprünglich in öffentlicher Hand war, an die Sana AG. Durchweg sind alle Fraktionen – also auch CDU, FDP, SPD und die Wählerinitative WSI – verärgert von den aktuellen Vorgängen.
Kita-Kinder werden anderweitig untergebracht
Rückgängig zu machen scheint dies aber nicht mehr zu sein. „Die Stadt Wedel fühlt die Verantwortung und hat deshalb große Anstrengungen unternommen, um die Kinder in anderen Kitas unterzubringen“, so Kamin. Für alle Elementarkinder – auch für jene, die außerhalb Wedels wohnen – könne ein Platz angeboten werden. Bei Krippenkindern gebe es eine Kooperation mit der Tagespflege.
„Die notwendige Schließung ist ein schwerer Schlag nicht nur für die betroffenen Familien, sondern auch für die Betreuungslandschaft der Stadt Wedel insgesamt“, sagt Sven Kamin.
„Das Wohl der Kinder und deren Eltern steht dabei an erster Stelle“, heißt es. Die Stadt werde ab Montag, 15. Mai, auf die betroffenen Eltern direkt zukommen, hieß es auf der Ratssitzung. Diese Fürsorge kam auf der Ratssitzung in der aufgebrachten Elternschaft überhaupt nicht an.
Nach Kita-Aus in Wedel: Bürgermeister kommentiert auf Facebook
Im sozialen Netzwerk Facebook wurde am Montag, 12. Mai, auf einer Wedeler Gruppenseite in den Kommentaren Emotionen freien Lauf gelassen: „So eine kinder- und elternfeindliche Verwaltung wie in Wedel gibt’s nur selten in Deutschland.“, schrieb ein erboster Nutzer.
Bürgermeister Kaser antwortete in seinem Posting: „Für die in den letzten 20 Jahren entstandene Situation, dass es zu wenige Kita-Plätze gibt, wie in den meisten anderen Kommunen auch, dafür kann die Verwaltung, der ich heute vorstehe, nichts. Wir investieren jedes Jahr in viele Kitas besonders hier in Wedel eine Menge Geld. Und wir werden es schaffen, wie schon gestern erwähnt, dass wir die Kinder der Kita Kleine Strolche in anderen Kitas unterbringen.“ Er drückte noch einmal sein persönliches Bedauern aus.