Wedel. Ein Block des Kraftwerks, das auch Hamburg mit Fernwärme versorgt, wird gewartet – und die Kohlereserven werden aufgestockt.

Auf dem Gelände des Kohlekraftwerks Wedel herrscht Betrieb – und das, obwohl gerade die Revision ansteht, vieles stillsteht und die Produktion von Strom und Wärme teilweise ruht. Auf dem Gelände am Tinsdaler Weg direkt an der Elbe werden Maschinen zerlegt, Brennkammern gereinigt, Verschleißteile getauscht – beispielsweise Kesselwände erneuert, die Mahlanlagen für die Kohle aufbereitet und sogenannte Rohrschlangen, durch die der heiße Dampf geleitet wird, ausgetauscht. Es sind insgesamt bis zu 300 zusätzliche Mitarbeiter externer Firmen im Kraftwerk unterwegs.

Es ist quasi eine Komplettinspektion des Kraftwerks, Betreiber ist die Wärme Hamburg GmbH, die zur Stadt Hamburg gehört. „Einer der beiden Blöcke ist bereits wieder in Betrieb, der andere wird noch gewartet. Einmal jährlich machen wir im Sommer eine mehrwöchige Revisionszeit, um im Winter für die Wärmeversorgung bereit zu sein“, sagt Jakobus Gäth, Betriebsleiter des Heizkraftwerks, das in den Wintermonaten gut ein Drittel der Hamburger Haushalte mit Fernwärme versorgt. Ende Juli soll dann auch Block 2 wieder in Betrieb gehen.

Kohlekraftwerk Wedel: Vorbereitung auf möglichen Ausfall russischer Gaslieferungen

Das Thema Kohle, ein fossiler Brennstoff, der unbestritten bei der Verbrennung für einen sehr klimabelastenden Ausstoß von unter anderem Kohlenstoffdioxid sorgt, ist aufgrund der Kriegssituation und der daraus resultierenden Energie-Krise ein brisanter Dauerbrenner. Ursprünglich sollte laut Planung des Hamburger Senates in Wedel in diesem Jahr 20 Prozent weniger Kohle verbrannt werden. Voraussichtlich wird das aufgrund der Lage nicht funktionieren. Auch im Vorjahr wurde das Ziel verfehlt, als Begründung wurden die kalten Wintermonate angeführt.

2025 soll in Wedel endgültig nicht mehr mit Kohleverstromung für Wärme gesorgt werden. „Stand jetzt soll dieser Zeitpunkt eingehalten werden“, so der 32 Jahre alte Gäth. Dabei spiele es auch eine Rolle, ob die Bauzeit am Energiepark Hafen an der Dradenau eingehalten werden könne. Dieser soll in der Heizperiode 2024/25 fertig sein.

Die Bundesregierung möchte derzeit vorbereitet sein, falls Russland nach der Wartung der Pipeline Nordstream 1 kein Erdgas mehr nach Deutschland leitet. Kraftwerke, die Kohle nutzen, sollen wegen der Gaskrise vorübergehend intensiver genutzt werden können. Darunter sollen Kohlekraftwerke sein, die nur eingeschränkt verfügbar sind, vor der Stilllegung stehen oder sich in der Reserve befinden.

In Wedel entsteht derzeit ein Power-to-Heat-Komplex

Das Argument: Wenn Strom und Wärme durch Kohle entstehen, wird weniger mit Gas geheizt. In Zeiten der Gaskrise müssten eben nach Regierungsansicht auch klimatisch unpopuläre Entscheidungen getroffen werden, um die Versorgung zu sichern. Dennoch soll trotzdem im Jahr 2030 bundesweit der komplette Ausstieg aus der Kohle gelingen.

Aktuell muss ein Spagat zwischen Klimazielen und Energieversorgung irgendwie gelingen. Dass die Kohle keine Zukunftslösung sein kann, ist auch dem Leiter bewusst. „Die Energiewende hin zu den erneuerbaren Energien ist absolut notwendig und sollte so schnell wie möglich gelingen. Dies ist auch das erklärte Ziel der Hamburger Energiewerke und der Stadt Hamburg“, sagt Gäth.

Am Dienstag ist Richtfest für den sogenannten Power-to-Heat-Komplex, auch auf dieser Baustelle wird parallel in Wedel gearbeitet. Dort soll überschüssige Windkraftenergie aus dem Nordseegebiet, produziert durch On- und Off-Shore-Anlagen, mit einer Leistung von 80 Megawatt in einer Art Riesen-Wasserkocher mittels Tauchsieder klimafreundlich in Wärme umgewandelt werden. Zur diesjährigen Heizperiode ist der Betriebsstart geplant. Ab dann soll der Einsatz der Kohle endgültig deutlich verringert werden – es geht um 100.000 Tonnen CO2, die eingespart werden. Der Kohleeinsatz soll bis zur Stilllegung um 50.000 Tonnen pro Jahr reduziert werden.

Bis zu 550.000 Tonnen Kohle können in Wedel gelagert werden

In aktuellen Krisenzeiten wollen die Verantwortlichen im Wedeler Heizkraftwerk generell auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Der aktuelle Kohlehaufen hat riesige Dimensionen. Zwischen 450.000 und 550.000 Tonnen könnten je nach Kohlesorte insgesamt gelagert werden. Der tatsächliche Bestand schwanke nach Betreiberangaben zwischen 100.000 und 350.000 Tonnen.

Gäth, seit zweieinhalb Jahren Betriebsleiter, schätzt die Menge grob auf „etwa 30 bis 40 Prozent“ mehr als noch in den Vorkrisenzeiten. „In den vergangenen Monaten haben wir uns erfolgreich alternative Lieferungen zur russischen Steinkohle und damit die erforderliche Kohlemengen über die Heizperiode 2022/23 hinaus gesichert“, sagt er.

Kraftwerk Wedel: Die Kohle wird mit dem Schiff über die Elbe direkt zum Anlegeplatz gebracht

Die Brennstoffbestände stammen aus den USA, aus russischen Beständen vor dem Zeitpunkt der EU-weiten Sanktionen und aus Kolumbien. Die Kohle wird mit dem Schiff über die Elbe direkt zum Anlegeplatz gebracht und abgeladen.

Ein riesiger Haufen Steinkohle wird als strategische Reserve auf dem Lagerplatz des Heizkraftwerks in Wedel angelegt. 
Ein riesiger Haufen Steinkohle wird als strategische Reserve auf dem Lagerplatz des Heizkraftwerks in Wedel angelegt.  © Frederik Büll | Frederik Büll

Ein Kohlekraftwerk funktioniert vereinfacht gesagt folgendermaßen: Ein Gemisch aus Kohlestaub und Frischluft wird im Kessel verbrannt, es entstehen Rauchgase. Der heiße Rauch erhitzt dann Wasser, dieses wird zu Dampf und treibt eine Turbine an.

Durch die Rotationsbewegung wird in gekoppelten Generatoren zudem Strom erzeugt. Die Fernwärme wird über Rohrleitungen und Verteilerstationen in die Hamburger Haushalte geleitet. Bei der Verbrennung von Kohle entstehen trotz aller Vorschriften und Reinigungsmaßnahmen klimaschädliche Gase wie CO. In den Vorjahren waren es in Wedel jeweils über eine Million Tonnen in die Luft abgegebener Kohlenstoffdioxid.

Kraftwerk Wedel: Anlage wurde immer wieder modernisiert

Das Kohlekraftwerk in Wedel ist zwischen 1961 und 1965 gebaut worden und zählt damit zu den ältesten Kohlekraftwerken Deutschlands. „Wir haben das Heizkraftwerk in Wedel stetig modernisiert, um die Versorgungssicherheit unserer Kundinnen und Kunden zu sichern, bis die alte Anlage planmäßig außer Betrieb genommen werden kann“, so Gäth.

Ein Zankapfel ist das Heizkraftwerk allerdings schon seit vielen Jahren. 2012 und 2017 sollte es eigentlich vom Netz, doch politische Entscheidungen fielen letztlich pro Wärmeversorgung. Anwohner klagten in der Vergangenheit seit dem Sommer 2016 über schädliche und ätzende Rußpartikel, die aus den Schornsteinen auf ihre Grundstücke regnen. So sei es etwa zu Schäden am Lack von Autos gekommen.

Kohlekraftwerk Wedel: Gasturbinen laufen in Wedel – mit Heizöl

Das Verwaltungsgericht Schleswig entschied allerdings, dass die von Partikelemissionen ausgehenden Verschmutzungen allenfalls geringfügig über die normale Alltagsverschmutzung hinausgingen. Gutachten vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume eingeholte Gutachten hätten hervorgebracht, dass Umwelt- oder Gesundheitsschäden durch die Partikelemissionen des Kraftwerks nicht zu erwarten seien. Nach diesem Urteil zog sich die Wedeler Bürgerinitiative „Stopp! Kein Mega-Kraftwerk Wedel“ offiziell zurück. Seit Dezember des Vorjahres setzt sich die Wedeler Ortsgruppe „Fridays for Future“ für ein Ende der Kohleverbrennung ein und prangert die bisher nicht eingehaltene Kohlereduktion des Betreibers an.

Das Unterfangen dürfte in diesen Zeiten nicht leichter werden. Das Erdgas könnte im Winter knapp werden. Dieses werde laut Gäth am Standort Wedel überhaupt nicht genutzt. Auf dem Areal stehen – unabhängig von den Kohlemeilern betrieben – auch zwei Gasturbinenanlagen, die zur Verbrennung Heizöl nutzen. Dieses Gemisch war bei einem Probestart Ende Juni in den Schornstein gelangt, Flammen waren deutlich sichtbar. Ein Video von den Szenen war im Internet aufgetaucht. Eine Gefahr für die Anwohner habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Alle Prozesse wurden sofort gestoppt. „Wir prüfen derzeit gemeinsam mit dem Hersteller, wie es zu dem Ereignis kommen konnte“, erklärt der Wedeler Betriebsleiter.