Pinneberg. Schwere Vorwürfe, persönliche Fehden, Likes bei AfD-Beiträgen auf Instagram: Ein Beben erschüttert die CDU im Kreis Pinneberg.

Es geht immer noch hoch her in der Pinneberger CDU. Nachdem schwerwiegende Rassismus-Vorwürfe gegen den neugewählten Vorsitzenden der Jungen Union (JU) Pinneberg erhoben wurden (das Abendblatt berichtete), legte dieser Ende 2023 sein Amt nieder und trat sogar aus der Jugendorganisation der CDU aus.

Abgeschlossen ist dieser Vorfall mit dem Rücktritt des neuen Vorsitzenden allerdings noch lange nicht. Denn auch gegen den bisherigen Vorsitzenden der JU Pinneberg werden Rassismus-Vorwürfe erhoben. Er wurde auf der Sitzung am 21. Dezember zum neuen Stellvertreter gewählt. Und diese Vorwürfe stehen weiterhin im Raum.

Rassismus-Skandal offenbart Zerrissenheit in Pinnebergs CDU

Die Vorwürfe gegen den neu gewählten Vorsitzenden der JU Pinneberg sind unbestritten. Dieser hatte mehrere Beiträge der vom Verfassungsschutz beobachteten Jungen Alternative sowie AfD-Bundestagsabgeordneten auf Instagram gelikt sowie ein antisemitisches Hetzvideo. Screenshots, die dem Abendblatt vorliegen, belegen das.

Diffuser ist die Lage im Fall des bisherigen Vorsitzenden und neugewählten Stellvertreter. Denn hier beruhen die Vorwürfe auf den Aussagen von einzelnen Mitgliedern der Jungen Union. Dennoch: Die Vorwürfe wiegen schwer, geht es doch um Ausländerfeindlichkeit, Diskriminierung und Rassismus.

Pinneberg: Vorfälle in der JU haben Landespolitik erreicht

Und die Vorfälle haben bereits die Landespolitik erreicht. Nach Abendblatt-Informationen sollen unter anderem Bildungsministerin Karin Prien und Ministerpräsident Daniel Günther über die Vorwürfe informiert worden sein. Günther, der auch Landesvorsitzender der CDU ist, soll eine Aufklärung der Sachlage verlangt haben.

Das Abendblatt hat versucht, mit den betroffenen Personen zu sprechen, alle Seiten anzuhören und allen Personen, die in die Vorfälle verwickelt sind, die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern. Nicht jeder der Betroffenen möchte sich öffentlich äußern, einige Personen sind minderjährig, andere stehen nicht in der Öffentlichkeit.

Innerparteiliche Auseinandersetzung aus persönlichen Gründen

Je mehr Stimmen man hört, desto komplizierter stellt sich der Sachverhalt dar. Nach tagelanger Recherche und zahlreichen Gesprächen mit Parteimitgliedern und Funktionären zeichnet sich eine innerparteiliche Auseinandersetzung ab, bei der es weniger um politische Standpunkte als um persönliche Fehden geht.

Im Zentrum dieser parteiinternen Auseinandersetzung stehen zwei Personen. Zum einen ist das der JU-Kreischef Leon Lienau, zum anderen der CDU-Kreisvorsitzende Christian von Boetticher. Das Verhältnis zwischen diesen beiden gilt als angespannt. Schon als von Boetticher im vergangenen Jahr ankündigte, für den Spitzenplatz der schleswig-holsteinischen CDU bei der Europawahl kandidieren zu wollen, gab es Zoff in der Pinneberger CDU.

Christian von Boetticher, Kreisvorsitzender der CDU im Kreis Pinneberg.
Christian von Boetticher, Kreisvorsitzender der CDU im Kreis Pinneberg. © picture alliance/dpa | Axel Heimken

Kampf um Vorsitz der JU Pinneberg löst Skandal aus

Der Pinneberger Kreisverband der Jungen Union, immerhin einer der größten des Landes, versagte von Boetticher die Unterstützung, setzte sich sogar für seinen Widersacher Niclas Herbst ein, der die Wahl auf dem Landesparteitag Anfang Oktober auch gewann und in diesem Jahr als Spitzenkandidat der CDU Schleswig-Holstein bei der Europawahl antreten wird.

Im aktuellen Fall geht es um einen weitaus unbedeutenderen Posten, den des Ortsvorsitzenden der Jungen Union Pinneberg. Die Wahl wäre eigentlich erst im Sommer des kommenden Jahres fällig gewesen. Doch weil Teile des Ortsvorstandes unzufrieden mit der Arbeit des Vorsitzenden gewesen sein sollen, wurde per Vorstandsbeschluss von Anfang Dezember eine Neuwahl angesetzt.

Pinneberg: Junge Union gewinnt plötzliche viele Mitglieder

Kurz nachdem klar war, dass eine Neuwahl stattfinden würde, soll es nach Abendblatt-Informationen eine regelrechte Eintrittswelle im Pinneberger Ortsverband gegeben haben. Eine Vielzahl neuer Mitglieder trat binnen kurzer Zeit in die JU Pinneberg ein.

Dass vor einer innerparteilichen Wahl um neue Mitglieder geworben wird, ist nicht ungewöhnlich. Für die Wahl eines Ortsvorsitzenden einer Nachwuchsorganisation ist dies aber eher unüblich.

JU-Mitglieder werfen Vorsitzendem Rassismus vor

Bereits vor der Sitzung am 21. Dezember, in der ein neuer Vorstand gewählt wurde, standen die Vorwürfe gegen den bisherigen Vorsitzenden im Raum, waren einigen Parteimitgliedern in CDU und JU bekannt, unter anderem auch CDU-Kreischef von Boetticher. Auf der Sitzung am 21. Dezember äußerten dann zwei JU-Mitglieder Vorwürfe wegen Ausländerfeindlichkeit gegen den bisherigen Vorsitzenden der JU Pinneberg.

In einem Fall soll er sich nach Abendblatt-Informationen abfällig über ein Neumitglied mit Migrationshintergrund geäußert haben, in einem anderen Fall einem Vorstandsmitglied mit Migrationshintergrund die Zusammenarbeit verweigert haben. Der Kassenwart gab an, die Kasse niemals vom damaligen Vorsitzenden erhalten zu haben, dieser habe geäußert, dass er dem Kassenwart nicht vertraue.

Ausländerfeindlichkeit, Beleidigungen und Lügen

Darüber hinaus soll es weitere Vorfälle gegeben haben, auch von Beleidigungen und Lügen ist die Rede. Der Beschuldigte wollte sich auf Abendblatt-Anfrage nicht zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern, auch mit Blick auf ein nun angestoßenes, parteiinternes Verfahren, das die Vorfälle aufklären soll. Die erhobenen Vorwürfe wurden dem Abendblatt von mehreren Quellen bestätigt.

Erschrocken äußerten sich mehrere Parteimitglieder über die ausgebliebene Reaktion auf die vorgebrachten Vorwürfe aus den Reihen der JU. So sollen mehrere hochrangige JU-Mitglieder die Aussagen in der Sitzung ignoriert, die Vorwürfe kleingeredet und die Ankläger sogar der Lüge beschuldigt haben. Eine schwierige Situation, wie der Betroffene im Gespräch mit dem Abendblatt schildert.

Betroffener schildert die schwierige Situation

„Ich habe in meinem Leben schon viel Rassismus erlebt. Jetzt habe ich zum ersten Mal etwas dagegen gesagt. Ich erwarte nicht, dass man sich sofort auf meine Seite stellt, aber ich erwarte, dass man zumindest neutral bleibt“, sagt der junge Mann. Besonders schockiert hätten ihn die anschließend bekannt gewordenen Aktivitäten des neugewählten Vorsitzenden, der unter anderem ein antisemitisches Hetzvideo auf Instagram öffentlich unterstützte. „Das sind nicht die Werte der Union“, sagt er.

Die Social-Media-Aktivitäten des neuen Vorsitzenden, der mittlerweile zurückgetreten ist und die JU verlassen hat, wurden erst nach der Wahl bekannt. Sein Stellvertreter, der ehemalige Vorsitzende, wurde allerdings trotz der gegen ihn im Raum stehenden Vorwürfe gewählt. Das soll nach Abendblatt-Informationen mehrere JU-Mitglieder dazu veranlasst haben, die Veranstaltung zu verlassen.

Neuer und alter JU-Vorsitzender sollen gute Freunde sein

Dem Vernehmen nach sollen der zurückgetretene Vorsitzende und sein neugewählter Stellvertreter schon lange gute Freunde sein, außerdem wird letzterem eine Nähe zu JU-Kreischef Leon Lienau nachgesagt. Entsprechend soll Lienau ihn im Vorfeld der Wahl unterstützt haben. Das bestätigen mehrere Quellen. Allerdings, auch das gehört zur Wahrheit: Lienau äußerte sich mehrfach als JU-Kreisvorsitzender klar gegen Antisemitismus, Hinweise darauf, dass er rechtsextremes Gedankengut teilt, gibt es nicht.

Leon Lienau ist Kreisvorsitzender der Jungen Union im Kreis Pinneberg.
Leon Lienau ist Kreisvorsitzender der Jungen Union im Kreis Pinneberg. © CDU Halstenbek | CDU Halstenbek

Mit Blick auf die Vorwürfe gegen den neu gewählten Pinneberger JU-Vorsitzenden macht Lienau klar: „Antisemitismus und Rassismus haben in unseren Reihen keinen Platz. Die Junge Union hat sich mit dem CDU-Kreisverband auf ein gutes Verfahren geeinigt, um die Vorwürfe gegen den jetzigen stellvertretenden Ortsvorsitzenden aufzuklären – als Unionsfamilie lösen wir die Probleme gemeinsam.“

Pinneberger JU wird durch den Kreisvorstand geführt

Aus Parteikreisen heißt es, Christian von Boetticher habe aufgrund der Unterstützung des JU-Kreischefs für die beiden neugewählten Vorsitzenden zunächst intern den Rücktritt Lienaus gefordert. Auch, weil dieser die Vorwürfe gegen den neuen Vorsitzenden und seinen Stellvertreter zu spät erkannt und nicht eingegriffen habe. Öffentlich will sich aber niemand dazu äußern, offizielle Anträge gibt es nicht.

Interessant ist das vor allem, weil die Rassismus-Vorwürfe, die nun gegen den stellvertretenden Vorsitzenden der JU Pinneberg im Raum stehen, nach Informationen des Abendblattes unter anderem Christian von Boetticher sowie Mitgliedern der Pinneberg JU und der Pinneberger CDU bereits vor der betreffenden Sitzung bekannt gewesen sein sollen.

Rassismus-Vorwürfe: Wortbeiträge detailliert abgesprochen

Das wirft die Frage auf, warum die entsprechenden Vorwürfe nicht schon früher geäußert wurden und warum Lienau nicht von den Parteikollegen darüber informiert wurde. Denn dass diese Vorwürfe Teilen der JU und der CDU bekannt waren, ist sicher, entsprechende Belege liegen dem Abendblatt vor. Demnach wurden zudem Wortbeiträge, die auf der Sitzung vorgebracht wurden, im Vorfeld detailliert abgesprochen.

Innerhalb der Partei gibt es Stimmen, die in den Vorwürfen bzw. dem Umgang mit diesen eine Retourkutsche von Boettichers sehen, weil die JU ihn im Kampf um den Spitzenplatz für die Europawahl nicht unterstützt habe und weil seine Frau, die ebenfalls für den Posten der stellvertretenden Vorsitzenden kandidiert hatte, nicht in den Vorstand der Pinneberger JU gewählt worden sei.

Wer wusste zu welchem Zeitpunkt von den Vorwürfen?

Andere Stimmen legen nahe, dass die erhobenen Vorwürfe gegen den zurückgetretenen Vorsitzenden und seinen Stellvertreter mehr Mitgliedern der Jungen Union bekannt gewesen sein müssten, möglicherweise auch dem Kreisvorstand der JU.

Dem stehen die Aussagen des JU-Kreisvorsitzenden Leon Lienau entgegen, der sagt: „Nachdem ich von sämtlichen Vorwürfen gegen den Pinneberger JU-Ortsvorsitzenden erfahren hatte, habe ich unverzüglich seinen Rücktritt und Austritt aus der Jungen Union gefordert. Meiner Forderung ist er unverzüglich nachgekommen.“

Pinnebergs CDU-Ortsverband äußerte sich umgehend

Nach Informationen des Abendblattes soll dieser Rücktritt allerdings auch auf Druck von Christian von Boetticher und sogar CDU-Landtagsabgeordneten erfolgt sein. Von Boetticher soll bemüht gewesen sein, dass sich die Partei schnell von den betreffenden Personen abgrenze. Ein extrem harter Kurs soll nach Abendblatt-Informationen aber von Teilen des Kreisvorstandes nicht mitgetragen worden sein.

Von Boetticher hatte zuvor offenbar schon seinen Einfluss im Pinneberger Ortsverband geltend gemacht, der von Natalina di Racca-Boenigk geleitet wird, immerhin frühere Büroleiterin seines Wahlkreisbüros. Der Ortsverband hatte kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe eine Mitteilung herausgegeben, in der zu den Vorfällen Stellung bezogen wurde. Der neugewählte Vorsitzende der JU war zu diesem Zeitpunkt bereits zurückgetreten.

Haben Pinneberger CDU-Politiker früh von den Vorwürfen gewusst?

Der Ortsverband schließe eine Zusammenarbeit mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Pinneberger JU aus, solange die Vorwürfe nicht aufgeklärt seien, hieß es in der Mitteilung vom 23. Dezember. Dies geschehe auch in Abstimmung mit von Boetticher. Pikant: Beide Vorsitzenden des CDU-Stadtverbandes, di Racca-Boenigk und ihr Stellvertreter Stephan Schmidt, sollen nach Abendblatt-Informationen bereits vor der JU-Ortsverbandssitzung von den Vorwürfen gewusst haben.

Nach Abendblatt-Informationen sollen Teile des Kreisvorstandes mit diesem Vorgehen, sich direkt mit einer Mitteilung an Presse und Öffentlichkeit zu wenden, nicht einverstanden gewesen sein. Es sei unüblich, dass in so einem Fall umgehend die Öffentlichkeit gesucht werde, heißt es aus Parteikreisen.

Rassismus-Skandal in der JU Pinneberg: So geht es weiter

Kurz nach Weihnachten kam der CDU-Kreisvorstand zu einer Krisensitzung zusammen. Dort wurde beschlossen, dass die Vorwürfe durch eine Kommission aus Mitgliedern des JU-Kreisvorstandes, des CDU-Ortsvorstandes Pinneberg sowie des CDU-Kreisvorstandes aufgearbeitet werden sollen.

„Der CDU-Kreisverband will so einen Beitrag zur Aufklärung leisten“, sagt Christian von Boetticher, Kreisvorsitzender der CDU im Gespräch mit dem Abendblatt. Er hoffe, dass möglichst viele Betroffene die Chance nutzten, mit den Mitgliedern der Kommission zu sprechen.

Pinneberger JU wird durch den Kreisvorstand geführt

„Wir wollen diese Vorfälle schnellstmöglich aufklären und damit auch Rechenschaft ablegen, dass solch ein Gedankengut nicht in den Führungspositionen der Partei und ihrer Organisationen vertreten ist“, so CDU-Kreischef Christian von Boetticher.

Der JU-Ortsverband Pinneberg wird vorerst kommissarisch durch den JU-Kreisvorstand geführt, binnen vier Wochen soll ein neuer Vorstand gewählt werden. Außerdem wurde das Awareness Team des JU-Landesverbandes Schleswig-Holstein eingeschaltet, um die Vorwürfe aufzuklären.

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Die Situation ist verworren, oftmals steht Aussage gegen Aussage, viele Informationen lassen sich nicht einwandfrei verifizieren. Klar ist nur, dass der Pinneberger JU-Ortsverband aktuell keinen Vorsitzenden hat und dass dies auch noch bis Anfang Februar so bleiben wird.

Bis dahin wird die Kommission ihre Arbeit aufnehmen und Mitglieder anhören, die sich in dem Fall äußern wollen. Das Gremium sei paritätisch besetzt worden, damit es Ansprechpartner für die Mitglieder aller Organisationen gebe, heißt es.

Pinneberg: Alles nur Vorgeplänkel für Bundestagswahlkampf?

Christian von Boetticher selbst wird nicht Teil der Kommission sein, dagegen sollen sich nach Abendblatt-Informationen mehrere Mitglieder des CDU-Kreisvorstandes ausgesprochen haben. Die jetzt gefundene Lösung soll maßgeblich auf den Einsatz von Dagmar Steiner, stellvertretende Vorsitzende des CDU-Kreisvorstandes und Vorsitzende der Frauenunion Kreis Pinneberg, zurückgehen.

Dagmar Steiner ist stellvertretende Vorsitzende des CDU-Kreisvorstandes und Vorsitzende der Frauenunion Kreis Pinneberg.
Dagmar Steiner ist stellvertretende Vorsitzende des CDU-Kreisvorstandes und Vorsitzende der Frauenunion Kreis Pinneberg. © Pinneberg | Burkhard Fuchs

Inwiefern ein Kampf um eine mögliche Bundestagskandidatur für die Wahl 2025 in diesem Fall eine Rolle spielt, ist unklar. Beiden, sowohl von Boetticher als auch Steiner, werden aus Parteikreisen Ambitionen für ein Bundestagsmandat nachgesagt. Steiner stand bereits bei der Bundestagswahl 2021 auf der Landesliste der CDU Schleswig-Holstein.

Redaktioneller Hinweis: Da es sich bei den betroffenen Personen teilweise um Minderjährige handelt, verzichtet das Abendblatt in einigen Fällen auf die Nennung von Namen. Alle genannten Personen sind dem Abendblatt namentlich bekannt.