Pinneberg. Handys im Unterricht: Hilfsmittel oder Ablenkung? So regeln Schulen im Kreis Pinneberg die Handynutzung der Schülerinnen und Schüler.
- Ministerin Prien wollte Handys an Schulen komplett verbieten
- An der Leibniz-Schule verschwinden Handys in einer Kiste
- Viele Eltern wollen, dass ihre Kinder im Notfall erreichbar sind
Schummeln, chatten, recherchieren und Organisatorisches per Whatsapp klären? Ob das Handy dem Unterrichtsgeschehen guttut, entzweit nicht nur die Meinung von Lehrkräften oder Eltern. Auch Schülerinnen und Schülern sind sich radikal uneinig. Das Smartphone kann eben beides sein: bloße Ablenkung oder ein nützliches Hilfsmittel im Klassenraum.
Wie Schulen im Kreis Pinneberg die Handynutzung handhaben, ob Verbote sinnvoll und überhaupt erlaubt und inwiefern die Geräte womöglich gar nicht mehr aus dem Alltag der Kinder und Jugendlichen wegzudenken sind, hat das Abendblatt nachgefragt.
Handys in Pinnebergs Klassenräumen: Ministerin Prien klar dagegen
Es ist nicht allzu lang her, da meldete sich Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien in puncto Handynutzung in Grundschulen zu Wort. Sie wollte prüfen, ob sich Smartphones grundsätzlich aus den Klassenzimmern verbannen lassen. Als Gründe führte sie an, dass das Sozialverhalten, aber auch die verbale Kommunikation und Motorik unter der Handynutzung leiden würden. Zudem verbrächten die Kinder zu wenig Zeit an der frischen Luft und in Bewegung.
Durchsetzen ließ sich Priens Idee eines generellen Handyverbots in Grundschulen nicht. Die Ministerin plädiert aber weiterhin dafür, die private Smartphonenutzung möglichst zu unterbinden. Auch weil die Geräte „ein Einfallstor für die Verbreitung von Gewaltvideos, Mobbing und die Propaganda von Extremisten“ sein können, so Prien. Zudem bestehe Suchtgefahr.
Grund- und Gemeinschaftsschule setzt auf beaufsichtigte Handyzone
Viele Schulen haben der innerschulischen Bildschirmzeit ihrer Schüler bereits in Eigenregie Grenzen gesetzt. So ist es den Bildungseinrichtungen möglich, ein Handyverbot während der Unterrichtszeiten oder etwa auf dem Pausenhof anzuberaumen. Es ist Lehrkräften außerdem gestattet, den Schülern Smartphones zeitweilig abzunehmen. Ein generelles Verbot elektronischer Medien ist im schleswig-holsteinischen Schulgesetz aber nicht verankert. Es sei unverhältnismäßig und daher rechtswidrig.
Thomas Gerdes, Schulleiter der Grund- und Gemeinschaftsschule (GuGs) im Quellental, berichtet von einem Handyverbot im Klassenraum und auf dem Schulhof der Einrichtung. Damit wolle die Schule verhindern, dass unerlaubte Fotos und Videos aufgenommen und verschickt würden. Auch wolle die Schule damit das soziale Miteinander während der Pausen fördern. „Am Nachmittag ist der Medienkonsum bei vielen Schülerinnen und Schülern ohnehin schon sehr hoch“, wendet Gerdes außerdem ein.
Ausgenommen von dieser Regel würde der zielgerichtete Einsatz der Geräte im Unterricht in Absprache mit den Lehrkräften sein und „für die Jahrgänge fünf bis zehn gibt es im Freizeitbereich eine beaufsichtigte ,Handyzone‘, die durch unsere Schulsozialarbeit betreut wird“, sagt der Schulleiter.
Welche Schule den Kindern und Jugendlichen die Geräte ganz abnimmt
Dezidierte Richtlinien zum Handygebrauch hat auch Pinnebergs Johannes-Brahms-Schule in ihrer Schulordnung festgelegt. „Weder sicht- noch hörbar“ haben Handys hier zu sein. Schüler der Unterstufe (fünfter und sechster Jahrgang) dürfen im Schulgebäude grundsätzlich auf den Geräten herumwischen und -tippen. Dienstags und donnerstags haben Handys von Johannes-Brahms-Schülern im Übrigen komplett „schulfrei“, ausgenommen sind hier die Oberstufenschüler. Für dringende Anrufe ist zu jeder Zeit eine Handyzone eingerichtet.
Noch eine Spur resoluter gibt sich die Leibniz-Privatschule mit Standorten in Elmshorn und Kaltenkirchen. Egon Boesten, Schulleiter der Dependance im Kreis Segeberg, erzählt, dass die Leibniz-Schüler ihre Handys zu Beginn des Unterrichts in eine Kiste zu legen haben, die anschließend verschlossen wird. Das gelte für alle Klassenstufen, und auch vom Kollegium wünsche sich die Schulleitung, dass das eigene Smartphone nicht allzu offen zur Schau getragen wird.
Solche Nutzungsverbote sind laut Landesschulgesetz möglich und helfen, den Unterricht störungsfrei zu gestalten und Täuschungsversuche zu vermeiden. Vor Prüfungen dürfen Lehrer die Geräte sogar einsammeln. Auch ist es ihnen erlaubt, den Schülern zu verbieten, Handykameras zu benutzen oder Tonmitschnitte per Smartphone anzufertigen. Nicht zulässig ist es allerdings, Schülerhandys über den Schultag hinaus einzubehalten.
Smartphones verbauen den Kindern ihren Schulerfolg, sagt ein Schulleiter aus der Region
Boestens Meinung zu Smartphones ist hart: „Wenn sie ihren Kindern den Schulerfolg verbauen wollen, dann geben sie ihnen möglichst alle elektrischen Geräte der Welt“, sagt der Schulleiter der Privatschule. Studien hätten nachgewiesen, dass die Handynutzung insbesondere jüngeren Kindern das Lernen erschwert. „Das lenkt so massiv ab, dass man sich nicht mehr konzentrieren kann“, sagt der Pädagoge, „und wir lassen das oft einfach zu.“
Gegen die Digitalisierung wolle sich die Schule mit den rigorosen Regeln aber nicht stellen, betont Boesten. So gäbe es für die Oberstufenschüler etwa Tablets, die gezielt als Unterrichtsmittel eingesetzt würden. „Aber auch da lässt es sich nicht immer verhindern, dass die Schüler in der Pause daddeln“, so der Schulleiter.
Smartphones im Klassenzimmer: recherchieren, informierten, Organisatorisches klären
Als weniger problematisch empfindet Thore Olaf Kühn, Sachgebietsleiter Medienbildung beim Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein (IQSH), die Geräte. Zumal die außerschulische Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler im Blick zu behalten sei, sagt er: „Das Smartphone ist heute sowieso der primäre Informationskanal für die meisten Jugendlichen. Je nach Schulkonzept können Schülerinnen und Schüler die Geräte im Unterricht benutzen, um sich zu informieren, zu recherchieren oder um Nachrichten auszutauschen.“ 98 Prozent der Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen besäßen heute ein Mobiltelefon.
Allerdings wolle er die vom Internet ausgehenden Gefahren keinesfalls verharmlosen: „Wo Licht ist, da ist auch Schatten, beispielsweise Cybermobbing und -grooming“, so Kühn. Letzteres bezeichnet eine Taktik Pädophiler, sich im Netz Kindern anzunähern. Hier seien Information und Medienkompetenz der Schlüssel zur Gefahrenabwehr.
Aus diesem Grund habe das IQSH dafür gesorgt, dass sogenannte Medienscouts in den Schulen unterwegs sind. „Die Grundidee ist, dass Jugendliche höherer Klassen jüngeren Schülerinnen und Schülern zeigen, wie eine vernünftige Mediennutzung funktionieren kann“, erklärt Kühn. Oftmals falle es den Kindern und Jugendlichen leichter, sich von anderen Schülerinnen und Schülern einweisen zu lassen als von erwachsenen Autoritäten. Die Medienscouts können zudem bei der Moderation von Klassenchats behilflich sein.
Handyverbote in Pinnebergs Schulen: Offline sein – das muss man auch erstmal können
Doch Kühn macht ebenfalls deutlich: „Medienkompetenz bedeutet auch, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen, offline zu sein und bewusst die Entscheidung zu treffen, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.“ Das Handy weglegen zu können, zeuge ebenso von Medienkompetenz wie die zielgerichtete Nutzung des Geräts.
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Die Frage aller Fragen – „In welchem Alter sollte mein Kind denn nun sein erstes Smartphone bekommen?“ – möchte Kühn nicht pauschal beantworten. Wichtig sei es in jedem Fall, dass die Eltern sich zuvor mit den Chancen und Risiken der Handynutzung eingehend auseinandersetzen und genaue Regeln mit dem Kind vereinbaren. Das sei nicht die alleinige Aufgabe der Schule, sondern in erster Linie der Erziehungsberechtigten.
Es gebe auch Eltern, die ihrem Kind vornehmlich deshalb ein Handy geben möchten, damit sie sich im Falle eines Falles melden können. Hier weist Kühn darauf hin, dass in jeder Schule ein Telefon im Sekretariat bereitsteht, über das sich Kinder und Eltern in Notfällen erreichen können.
Angebote des IQSH
Das Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein (IQSH) ist eine Einrichtung des Ministeriums für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur. Es begleitet Schulen und ihre Träger auf verschiedene Art und Weise in die Digitalisierung.
Unter anderem bietet das IQSH regionale Medien- und Fachberatungen an und erarbeitet mit Schulen in einer Medienentwicklungsplanung, wie eine digitale Lerninfrastruktur geschaffen werden kann und sich die Medien unterrichtlich nutzen lassen. Das Institut führt ebenfalls Fortbildungsmaßnahmen zur Medienkompetenzvermittlung, Medienerziehung oder etwa zu den Themen Cybermobbing und Datenschutz für Lehrkräfte durch.
In regelmäßigen Medienwerkstätten können Lehrerinnen und Lehrer aus Schleswig-Holstein die Mediennutzung auch praktisch erproben. Eltern informiert das IQSH einmal jährlich bei den sogenannten Elternfachtagen, demnächst am 27. April 2024 in Kiel.