Pinneberg. Pinneberg, Elmshorn und Wedel kämpfen mit sterbendem City-Flair. Wo die Probleme liegen – und welche Chancen es trotzdem gibt.
Royal Donut am Fahltskamp in Pinneberg ist ausgezogen. Daneben der Teppichladen und der Friseur Evo ebenso. Das Modegeschäft Aust in der Dingstätte schließt Ende Juli. Leerstand auch im PiZ, das durch einen Neubau ersetzt werden soll und dessen Mieter sich nun nach und nach verabschieden.
In der Pinneberger Rathauspassage stehen Flächen des ehemaligen Testzentrums und der Bäckerei Allwörden leer. Legendary schließt am 15. Juli, gibt 30 Prozent auf alles. An der unteren Dingstätte sieht es seit längerem mau aus. Das Kaufhaus Kunstmann schloss am 28. Januar endgültig, Dine’s Basteltreff daneben gleich mit. Zunehmender Leerstand ist in Pinnebergs Innenstadt einmal mehr Thema.
Leerstand in Pinnebergs Innenstadt: Corona wirkt nach
„Bislang hat die Pinneberger City alles glimpflich überstanden. Ladenschließungen waren vor allem in den vergangenen Monaten in Elmshorn und Wedel ein Thema“, sagt Wirtschaftsförderin Birgit Schmidt-Harder. „Aber jetzt kippt es wieder. Ja, auch wir werden in absehbarer Zeit wieder Einzelhandel in den Innenstädten verlieren.“
Gründe dafür sieht die 52-Jährige in den Post-Corona-Auswirkungen. Förderungen fielen weg und Corona-Hilfen müssten teilweise zurückgezahlt werden. Auch das Einkaufsverhalten habe sich verändert. Corona habe dem Online-Handel noch einmal einen Schub verpasst. Zudem machen Supermärkte mit mehr als 4000 Artikeln, die weit über Lebensmittel hinausgehen, den kleineren Händlern in der Innenstadt Konkurrenz mit ihrem umfangreichen Sortiment.
Wirtschaftsförderin: nur stationärer Handel von Krise betroffen
„Das betrifft aber nur den stationären Handel bestimmter Branchen in Innenstadtlagen. Generell geht es dem Einzelhandel super“, sagt Birgit Schmidt-Harder und verweist auf seit Jahren steigende Umsätze im Einzelhandel.
Die Frage ist nur: In welchen Vertriebsformen. „Wir sehen ein Verschwinden des kleinen inhabergeführten Fachhandels und der großen Kaufhäuser. Im Gegensatz dazu steigt die Anzahl der großen Fachmärkte, und auch die Discounter nehmen zu“, sagt sie. Auch der Online-Handel lege zu, ebenso wie Versand- oder Großhandel.
Innenstädte im Kreis Pinneberg sind im Wandel
Diese Entwicklung zeige sich in den Innenstädten und sei nicht aufzuhalten. „Und es wird Zeit, dass das auch in die Köpfe kommt. Sehnsucht nach Tradition schafft keinen Umsatz“, sagt Birgit Schmidt-Harder. Man wolle bummeln und Atmosphäre genießen, aber nicht einkaufen.
„Viele Menschen erwarten, dass die Innenstädte die Kulisse für das Traditionelle sind und bleiben.“ Dies beobachte sie auch auf den Weihnachtsmärkten oder in der Bürgerbeteiligung des Integrierten Entwicklungskonzepts (IEK). „Das funktioniert aber nicht mehr. Vielleicht ist das auch ein Generationenkonflikt. Unterschiedliche Altersgruppen kaufen unterschiedlich ein.“
Schmidt-Harder: Innenstädte sind mehr als Konsumflächen
Das heißt aus ihrer Sicht aber auch: Nur, weil der stationäre Handel schwächelt, schwächelt nicht die Innenstadt. „Wir müssen lernen: Innenstädte sind mehr als Konsumflächen. Diese Vorstellung ist ein Erbe der Wirtschaftswunderjahre“, so die Wirtschaftsförderin.
Man müsse den Reiz der alten Stadt zurückerfinden in ihrer Vielfalt, als Wohnort und Treffpunkt. „Wie die Städte im Süden Europas“, sagt sie. „Und das tun wir in unserer Stadtentwicklung mit Bürgerbeteiligung sowie der Aufwertung der Plätze wie Drosteiplatz und Ebertpassage. „Man könnte auch eine Stadtentwicklungsgesellschaft gründen und selbst Immobilien erwerben und bespielen. Aber das lässt in vielen Kommunen die Haushaltslage nicht zu“, sagt sie.
Händler selbst und Immobilieneigentümer in der Pflicht
Was lokale Akteure aus ihrer Sicht maximal noch tun können, ist das Produkt Innenstadt weiterzuentwickeln und nachhaltiges und regional produzierendes Gewerbe stärken beziehungsweise sichtbar machen. Das individuelle Profil der Kommune müsse hervorgehoben und Mikro-Events im öffentlichen Raum etabliert werden. Auch einheitliche Öffnungszeiten könnten helfen sowie die digitale Sichtbarkeit zu erhöhen. „Und ja, das heißt: Mehr Geld und mehr Personal für Stadtmarketing und Wirtschaftsförderung“, so Schmidt-Harder.
Aus ihrer Sicht gibt es lediglich nur zwei weitere Akteure, die explizit wieder für mehr Shoppingerlebnisse in der Innenstadt sorgen könnten: Die stationären Ladeninhaber selbst, in dem sie sich endlich neu erfinden „Wer das tut, hat Erfolg“, sagt die Pinnebergerin. Als positive Beispiele nennt Birgit Schmidt-Harder Modehaus Glindmeyer, das Keks-Backstübchen, den Bücherwurm und Küstenrad.
„Das Keks-Backstübchen bietet regionales Handwerk. Man kann in der Manufaktur beim Backen zuschauen, und sie erreichen über den Onlinehandel Kunden in ganz Deutschland“, sagt sie. Und Glindmeyer habe modernisiert, im Untergeschoss eine komplette Herrenabteilung eingerichtet und eine eigene App etabliert.
Immobilieneigentümer würden viel zu hohe Mieten fordern
Die anderen Akteure seien die Eigentümer. „Immobilieneigentümer werden zu Schlüsselakteuren für die Zukunft der Innenstädte. Wir appellieren, diese Verantwortung anzuerkennen“, sagt sie. Viele Vermieter hätten nach Corona schon temporäre Maßnahmen ergriffen wie die zeitlich begrenzte Reduzierung des Mietzinses bis zu 60 Prozent oder eine Stundung der Mieten. Aber das reiche nicht.
„Wir brauchen flexiblere Mietmodelle sowie eine dauerhafte Absenkung des Mietpreisniveaus“, sagt Birgit Schmidt-Harder. Das heißt konkret, Immobilienbesitzer müssten auf geplante Mieterhöhungen verzichten, den Mietzins dauerhaft reduzieren und alternative Nutzungen der Immobilie ermöglichen.“ Auch eine Einführung von Umsatzmieten hält sie für sinnvoll.
„Wer heute immer noch mit Ladenflächen Geld machen will, sorgt für Leerstände“, sagt Birgit Schmidt-Harder. „Das Problem sind die in der Regel die viel hohen Mieterwartungen der Eigentümer. Die Immobilienbranche – verwöhnte Boombranche seit Jahrzehnten – will sich nicht anpassen.“ Dabei seien deren Einnahmen in 2021 erstmals seit 2009 gesunken.
In Elmshorn stehen viele Ladenflächen leer
Das Problem hat die Stadt Pinneberg nicht allein. In Elmshorn stehen aktuell sieben Ladenflächen in der Innenstadt leer. Zuletzt hatten die Modekette C&A und der Drogeriemarkt Budniskowsky ihre Filialen geschlossen.
Manuela Kase, Geschäftsführerin im Stadtmarketing Elmshorn, bemerkt ein Umdenken bei den Immobilieneigentümern. „Aus meiner Erfahrung ist die Bereitschaft der Immobilieneigentümer, zu verhandeln und die Miete zu senken, gestiegen“, sagt sie. „Damit sind die auf den Webseiten dargestellten Mietpreise ein Richtwert, der aber nicht in jedem Fall fix ist.“
Stadtmarketing Elmshorn: Einzelhandel kann Leerstände nicht belegen
Auch eine zunehmende Flexibilität, eine andere Nutzung als bisher zuzulassen – zum Beispiel eine Einzelhandelsfläche für Gastronomie nutzbar zu machen – sei in Elmshorn zu beobachten. „Letzteres ist eine große Chance, die Aufenthaltsqualität zu steigern“, so Kase.
Sie und ihr Team tauschen sich mit Akteuren vor Ort, mit der Wirtschaftsförderung und auch anderen Städten dazu aus, welche Unterstützung sie bei der Belegung leerstehender Flächen leisten können.
Dass alle jetzt verfügbaren Leerstände wieder mit Einzelhandel zu belegen sind, hält Manuela Kase für unwahrscheinlich. „Für eine funktionierende Innenstadt ist Multifunktionalität ein wichtiges Stichwort, deshalb müssen auch Konzepte in Erwägung gezogen werden, die bisher in Innenstädten nicht Fuß fassen konnten.“
So wirbt Heydorn Immobilien für ein Ladenlokal im City Center Elmshorn mit Lizenz als Wettbüro. Bislang war es Ziel der Stadt, die Ausbreitung von Wettlokalen insbesondere in der Innenstadt aufzuhalten. Elmshorn hatte zum 1. Januar 2019 nach Rendsburg als zweite Stadt in Schleswig-Holstein sogar eine Wettlokalsteuer erhoben, wonach die Betreiber drei Prozent auf den Brutto-Wetteinsatz in die Stadtkasse einzahlen mussten. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig stufte die Wettlokalsteuer allerdings als rechtswidrig ein.
Pop-up-Konzepte in Elmshorn und Pinneberg gegen Leerstand
„In der Vergangenheit haben wir bereits einige Mieter vermitteln können und das tun wir in Kooperation mit den Maklern auch weiterhin“, sagt Manuela Kase. „Wenn passende Nutzungsideen an uns herangetragen werden, nehmen wir Kontakt zu Maklern oder Eigentümern auf.“
Das Stadtmarketing Elmshorn arbeitet wie auch das in Pinneberg an Ideen für Zwischennutzungen wie einem Pop-up-Huus. In Elmshorn gibt es eins in der Marktstraße, in Pinneberg wird ein Pop-up-Store in die Dingstätte 33 ziehen. Hier werden die Mieten mit Hilfe des Innenstadtprogramms subventioniert. Die mit Zwischennutzungen verbundene Hoffnung ist immer, dass sich daraus eine langfristige Anmietung ergibt. Und es zeichnet sich ab, dass sich die Nutzung in der Marktstraße etabliert.
Strukturwandel der Innenstädte in Anzahl der Leerstände sichtbar
Wie schon Birgit Schmidt-Harder in Pinneberg wünscht sich auch Manuela Kase für Elmshorn mehr Personal und mehr Geld. „Erstrebenswert wäre es, noch mehr Kapazitäten – personell und finanziell – zu schaffen, um in diesen Bereichen noch aktiver zu werden, zum Beispiel durch die Präsentation auf einschlägigen Messen und durch gezielte Akquise.“
Und weiter: „Wir befinden uns in einer Phase des Strukturwandels, der in den meisten Städten zu beobachten ist und der durch die Anzahl der Leerstände sichtbar wird“, sagt Manuela Kase. Doch sie ist zuversichtlich, dass der Wandel bewältigt werden kann und die Innenstädte zwar ein anderes Gesicht bekommen, aber an Bedeutung nicht verlieren werden.
Auch Wedel ist vom Leerstand betroffen
Auch Wedel kämpft mit den Entwicklungen. Die ehemalige Ladenfläche der Rathausapotheke von 75 Quadratmetern wird mit 2511 Euro Miete beim Immobilienmakler beworben. Das sind satte 33,35 Euro pro Quadratmeter. In der Welau-Arcaden mitten in der Innenstadt sind gleich mehrere Shopflächen zu vermieten. Auch für die Gewerbefläche im denkmalgeschützten Hau in der Mühlenstraße werden neue Mieter gesucht. Die Nettomiete liegt bei 3600 Euro. Die Liste lässt sich fortführen.
Zwischen sechs und zehn Flächen stehen in Wedels Innenstadt leer. „Fakt ist, dass wir auch in Wedel seit einiger Zeit Leerstände zu verzeichnen haben. Diese sind nicht nur coronabedingt den seinerzeitigen Zwangsschließungen geschuldet, sondern auch vor allem dem Wachstum des Internethandels, der natürlich zu Lasten des stationären Handels geht“, sagt Wirtschaftsförderer Manuel Baehr. Das sei ein Problem aller Kommunen.
In Wedel wird die Bahnhofstraße zur Fahrradstraße
„Wir haben mit der Bahnhofstraße eine recht lange Straße. Das ist kein normaler Ortskern“, sagt Daniel Frigoni, Vorsitzender des Wedel Marketing e.V.. Das Problem sei ein strukturelles. Da müsse man Schritt für Schritt ran. Die Wedeler Einkaufsstraße wird künftig auf der gesamten Länge zwischen Gorch-Fock-Straße und Doppeleiche als Fahrradstraße eingerichtet – um die Innenstadt attraktiver zu gestalten.
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„Wir können nicht mehr nur auf den früheren Frequenzbringer Einzelhandel setzen“, so Daniel Frigoni. Der werde die Bahnhofsstraße zu 100 Prozent nicht mehr allein bespielen können. Als positives Beispiel nennt er die Familienbildungsstätte an der Bahnhofstraße 58 in privater Vermietung. Auch Wohnen im Erdgeschoss sollten Vermieter künftig zulassen, so sein Wunsch.
Weniger gesprächsbereit zeigen sich hingegen die großen Fonds und Immobilienmogule. Frigonis Herausforderung des Jahres: Alle Immobilienbesitzer an einen Tisch zu bekommen und für den Strukturwandel zu sensibilisieren.