Elmshorn. Versorgungssituation in der größten Stadt des Kreises nur minimal verbessert. Warum es so schwer ist, Nachfolger für Praxen zu finden.

Ärztemangel in Elmshorn: Acht Stellen sind unbesetzt“ titelte das Hamburger Abendblatt im Dezember 2022. Dennoch wollte die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) nichts von Unterversorgung wissen. Statistisch gesehen sei alles im Rahmen, hieß es damals. Wie ist die Lage fünf Monate später?

Nicht viel besser, wie ein Blick auf das Praxisportal der KVSH verrät. Dort sind nach wie vor sechs freie Arztsitze für Hausärzte im Mittelbereich Elmshorn aufgeführt, zu dem auch die umliegenden Gemeinden gehören. Die Bewerbungsfrist dort läuft bis zum 31. Januar, ist also längst vorbei.

Ärztemangel in Elmshorn: Krankenhaus macht zu, viele Stellen unbesetzt

Laut KVSH-Sprecher Nikolaus Schmidt sind im Mittelbereich Elmshorn aktuell 5,5 Arztsitze frei. „Eine neue Frist wird erst mit einem neuen Beschluss des Landesausschusses gesetzt. Den wird es voraussichtlich im Spätsommer geben“, so Schmidt. Eingehende Anträge für die freien Sitze würden in der nächstmöglichen Sitzung des zuständigen Zulassungsausschusses bearbeitet.

Mit Blick auf die Entscheidung der Regio Kliniken, das neue Zentralkrankenhaus in Pinneberg und nicht in Elmshorn zu bauen, stellt sich die Frage, wie die medizinische Versorgung in der größten Stadt des Kreises Pinneberg sichergestellt werden soll.

Ärztemangel besonders für ältere Menschen ein Problem

Denn auch wenn statistisch alles gut aussehe, so müsse zwischen dem statistischen und dem „gefühlten“ Wert unterschieden werden, sagte KVSH-Sprecher Nikolaus Schmidt schon im Dezember. „Wenn ein Hausarzt seine Praxis schließt und Wege und Wartezeiten für Patienten dadurch deutlich länger werden, ist das natürlich unschön.“

Weite Wege sind vor allem für ältere Menschen und solche mit Mobilitätseinschränkungen ein Problem. Das stellte auch der SPD-Seniorenkreis kürzlich bei einer Veranstaltung fest. Dabei ging es um die Perspektiven der Ärzteversorgung in Elmshorn. Und auch um die Frage, was gegen den Ärztemangel getan werden könnte.

Ausbildungskapazitäten an Universitätskliniken nicht ausreichend?

Zu Gast war dort Dr. Thomas Fronzek, Facharzt für Innere Medizin, mittlerweile im Ruhestand. Bei der Frage, ob Elmshorn nach dem Weggang des Krankenhauses weniger Anziehungskraft auf Mediziner ausübe, gibt es keine klare Antwort. Aber: „Eine moderne, große Klinik ist natürlich auch für freie Praxen und die neuen Kooperationsmöglichkeiten interessant“, so Dr. Fronzek.

Dr. Thomas Fronzek macht sich Sorgen um die Perspektive der medizinischen Versorgung.
Dr. Thomas Fronzek macht sich Sorgen um die Perspektive der medizinischen Versorgung. © SPD Elmshorn | SPD Elmshorn

Ein weitaus größeres Problem sieht er in der Perspektive der Gesamtversorgung beim Ärztenachwuchs. Immer mehr Ärztinnen und Ärzte gingen in den Ruhestand, gleichzeitig seien die Ausbildungskapazitäten an den Universitätskliniken nicht so groß, dass eine Versorgungslücke damit ausgeschlossen werden könnte, so Dr. Fronzek. Die Folge: Freie Arztsitze. Und das überall in Deutschland.

„In Schleswig-Holstein sind etwa 30 Prozent der Ärzte älter als 60 Jahre“

Denn unbesetzte Arztsitze sind kein Elmshorn-exklusives Problem. Ganz im Gegenteil. In ganz Deutschland fehlen Ärztinnen und Ärzte, besonders betroffen sind die ländlichen Gebiete. Die Gründe sind vielfältig und haben sich seit Dezember nicht verändert.

Eine Ursache für die vielen offenen Arztsitze liegt in der Altersstruktur. „In Schleswig-Holstein sind etwa 30 Prozent der Ärzte älter als 60 Jahre“, sagt Nikolaus Schmidt. Viele Medizinerinnen und Mediziner gingen dieser Tage in den Ruhestand. Tatsächlich lag der Anteil der unter 35-jährigen Ärztinnen und Ärzte 2021 bei nur 18,9 Prozent. Seit 2015 ist dieser Wert recht stabil.

Nachwuchsmediziner haben andere Ansprüche an ihre Arbeit

Und Nachfolger zu finden ist oft schwierig. Weil die Nachwuchsmediziner sich selten für eine Selbstständigkeit mit Praxis auf dem Land entscheiden und stattdessen die Sicherheit einer Anstellung bevorzugen. Auch die Ansprüche junger Ärztinnen und Ärzte hätten sich verändert, berichtet Nikolaus Schmidt. Nachwuchsmedizinerinnen und -mediziner wollten gern in Teilzeit arbeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf spiele eine größere Rolle.

Das liegt wahrscheinlich zum Teil auch daran, dass der Anteil der weiblichen Studierenden im Fach Humanmedizin in den vergangenen Jahre sukzessive zugenommen hat. Laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) waren rund 63 Prozent der Medizinstudierenden im Jahr 2021 Frauen.

Immer mehr Frauen in Deutschland studieren Humanmedizin

Bundesweit studierten 2021 demnach etwa 98.700 Menschen Humanmedizin in Deutschland, mehr als 62.500 davon Frauen. „Die Anzahl der Bewerber für einen Medizinstudienplatz übertrifft die Anzahl der Studienplätze weiterhin um ein Vielfaches“, schreibt die KVB.

Dass die medizinische Versorgung in ländlichen Bereich besonders prekär ist, zeigt sich auch in der Anzahl der tätigen Ärztinnen und Ärzte je 100.000 Einwohner. Die aktuellesten Zahlen der KBV dazu stammen zwar aus dem Jahr 2015, zeichnen aber ein deutliches Bild.

Medizinische Versorgung: Attraktivität des Standortes wichtig

Im bundesweiten Vergleich liegt Schleswig-Holstein mit rund 438 tätigen Ärztinnen und Ärzten auf 100.000 Menschen im unteren Mittelfeld. Am besten ist die Versorgung erwartungsgemäß in den Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen. Zum einen wohl aufgrund der Bevölkerungsdichte.

Zum anderen aber auch, weil die Attraktivität des Standortes bei der Suche nach Nachfolgern für Arztpraxen eine große Rolle spiele, wie KVSH-Sprecher Schmidt sagt. „In der Nähe einer Großstadt ist es für junge Menschen möglicherweise attraktiver, eine Praxis zu übernehmen, als mitten auf dem Land.“

Vielfältige Maßnahmen um medizinische Versorgung sicherzustellen

Hinzu komme, dass der Mediziner-Nachwuchs nach dem Studium eher dorthin zurückgehe, wo er herkomme. „Und wenn man aus dem Kreis Steinburg kommt, dann übernimmt man lieber dort eine Praxis als im Kreis Pinneberg“, so Schmidt.

Immerhin: An Ideen, wie die ärztliche Versorgung gesichert werden kann, mangelt es nicht. In Itzehoe gibt es beispielsweise schon ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), das verschiedene medizinische Dienstleistungen bündelt. Eine weiteres Modell sind sogenannte Team-Praxen, die als lokale Gesundheitszentren fungieren und vom Land gefördert werden. Hierfür kommt im Kreis Pinneberg aktuell allerdings nur Barmstedt infrage.

Elmshorn wird bis 2032 sein Krankenhaus verlieren

Aus Sicht von Dr. Thomas Fronzek könnte dieses Modell mit einer möglichen jährlichen Förderung von 50.000 Euro ein „aussichtsreicher Reformansatz“ sein. Ebenso wie die Digitalisierung und die Telemedizin, bei der die Ärzte per Video untersuchen und nicht mehr vor Ort sein müssen.

Die könnte in Zukunft noch relevanter werden. Denn: Ein wichtiger Faktor bei der medizinischen Versorgung der Menschen in und um Elmshorn ist – zumindest noch – das Krankenhaus an der Agnes-Karll-Allee. Das soll aber bis 2032 durch ein Zentralkrankenhaus in Pinneberg ersetzt werden. Die Entscheidung für die Kreisstadt fiel Ende März.

KVSH ermittelt nur ambulante Versorgung – nicht stationäre

Einfluss auf die Ermittlung des ärztlichen Versorgungsgrades hat diese Entscheidung aber nicht. Die Kassenärztliche Vereinigung sei nur für die Sicherstellung der ambulanten Versorgung zuständig, so KVSH-Sprecher Schmidt. Stationäre Parameter flößen nicht in die Bewertung ein, da es sich um unterschiedliche Versorgungsebenen handele.

Aber es geht eben nicht nur um die statistische, sondern auch um die gefühlte Versorgung. Und die wird durch die Abwanderung der Klinik schlechter, wie sich in den Reaktionen auf die Standortentscheidung der Regio Kliniken zeigte. Die Politik zeigte sich enttäuscht. „Die Abwanderung ist für uns ein herber Schlag“, sagte die Elmshorner FDP-Politikerin Annina Semmelhaack zur Entscheidung.

Elmshorn: Große Enttäuschung über Standort-Entscheidung für Klinik

„Wieder mal gehen Profinteressen vor, das Wohl der Menschen ist zweitrangig. Sozialpolitische Erwägungen fehlen komplett. Das ist bitter“, so Elmshorns SPD-Sprecher Thorsten Mann-Raudies.

Und die Elmshorner CDU machte die Gesundheitsversorgung sogar zum Thema für die Kommunalwahl: „Wir werden für die bestmögliche Versorgung der Elmshornerinnen und Elmshorner kämpfen – auch ohne Sana.“ Inwiefern das Einfluss auf den Wahlausgang hatte, ist unklar. Aber die CDU wurde eindeutiger Wahlsieger in Elmshorn.