Elmshorn. Lange Wartezeiten für Patienten, hohe Belastung für Praxen – doch statistisch gesehen gibt es kein Problem. Wie kann das sein?

„Diese Ärztin oder Therapeutin akzeptiert keine Online-Buchungen für Neupatienten“: Eine Meldung, die in diesen Tagen wohl einige Menschen bekommen, wenn die in Elmshorn auf der Suche nach einem Termin beim Hausarzt sind. Denn in der Krückaustadt, im sogenannten Mittelbereich Elmshorn, zu dem auch die umliegenden Kommunen gehören, herrscht akuter Ärztemangel.

Ärztemangel: Acht Hausärzte fehlen für Elmshorn und Umgebung

Acht offenen Stellen für Hausärzte weist die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) für die größte Stadt des Kreises Pinneberg aus. In den anderen beiden Mittelbereichen im Kreis sieht die Versorgungslage deutlich besser aus. Im Bereich Wedel sind gar keine Arztsitze vakant, im Bereich Pinneberg gibt es 1,5 freie Arztsitze. Zudem gibt es laut KVSH noch 3,5 offene Stellen für Psychosomatiker im Kreis Pinneberg.

Ist Elmshorn also im Bereich der Hausärzte unterversorgt? „Nein“, sagt Nikolaus Schmidt, Sprecher der KVSH. „Statistisch gesehen gibt es nirgends eine Unterversorgung.“ Allerdings müsse man zwischen dem statistischen und dem „gefühlten“ Wert unterscheiden. „Wenn ein Hausarzt seine Praxis schließt und Wege oder Wartezeiten für die Patienten dadurch deutlich länger werden, ist das natürlich unschön.“ Zumal eine hohe Zahl offener Arztsitze auch für Medizinerinnen und Mediziner Auswirkungen haben.

Elmshorn: Hohe Belastung für Praxispersonal, lange Wartezeiten für Patienten

„Viele Praxen sind am Limit, auch weil Fachkräfte fehlen. Viele haben Probleme, Stellen wieder neu zu besetzen“, sagt Schmidt. Die vorhandenen Praxen könnten nicht alle Patienten auffangen, wenn eine andere Praxis schließe. „Das führt zu dem Phänomen, dass die Praxen ausgelastet sind, die Versorgungslage laut Statistik aber in Ordnung ist“, so Schmidt. So könne bei den Patienten schnell das Gefühl einer ärztlichen Unterversorgung entstehen.

Doch wie kommt so eine große Zahl an offenen Arztsitzen zustande? Dafür gebe es verschiedene Gründe, sagt Schmidt. „In Schleswig-Holstein sind etwa 30 Prozent der Ärzte älter als 60 Jahre. Viele gehen in den Ruhestand.“ Nachfolger zu finden, sei oft schwierig. Das betrifft vor allem Einzelpraxen in ländlichen Gebieten. „Aber wir beobachten eine Entwicklung hin zu Versorgungszentren und Gemeinschaftspraxen“, so Schmidt.

Junge Ärzte bevorzugen Sicherheit einer Anstellung

Zuletzt hatte ein Fall aus Hasloh für Schlagzeilen gesorgt. Dr. Olaf Kistenmachen wollte seine Hausarztpraxis in der Gemeinde eigentlich zum Ende des Jahres schließen. Doch die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin war zäh – und sorgte für Streit in der Gemeinde. Bürgermeister Kay Löhr hatte sich um eine Nachfolge bemüht, der Seniorenbeirat fühlte sich übergangen. Im November dann die gute Nachricht für die Hasloher: Dr. Angelika Steyvers aus Rellingen soll die Hasloher Praxis ab April 2023 übernehmen, die ärztliche Versorgung ist gesichert. Doch vielerorts wird eben auch kein Nachfolger gefunden.

Das liege auch an den Ansprüchen von Neu-Medizinern. „Viele junge Leute bevorzugen die Sicherheit, die ein Angestelltenverhältnis bietet und scheuen das Risiko einer Selbstständigkeit mit einer eigenen Praxis“, sagt KVSH-Sprecher Schmidt. Die Nachfolgersuche auf dem Land gestaltet sich zudem schwierig, weil die jungen Ärztinnen und Ärzte „andere Erwartungen“ an ihren Beruf haben. Viele wollten gern in Teilzeit arbeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf spiele eine größere Rolle, auch weil Frauen mittlerweile gut die Hälfte der neuausgebildeten Mediziner ausmachten, so Schmidt.

Ein weiterer wichtiger Faktor bei der Suche nach Nachfolgern ist zudem die Attraktivität des Standortes. „In der Nähe einer Großstadt ist es für junge Menschen möglicherweise attraktiver, eine Praxis zu übernehmen, als mitten auf dem Land.“ Zudem würde auch der Akademiker-Nachwuchs eher dahin zurückgehen, wo er herkomme. „Und wenn man aus dem Kreis Steinburg kommt, übernimmt man lieber dort eine Praxis als im Kreis Pinneberg“, so Schmidt.

Ärztemangel ist in vielen ländlichen Gebieten ein Problem

Auch wenn im Kreis Pinneberg aktuell vor allem der Bereich Elmshorn betroffen ist: Ärztemangel ist in vielen ländlichen Gebieten in ganz Deutschland ein Problem. Eine Studie der gemeinnützigen Robert Bosch Stiftung besagt, dass bis 2035 in Deutschland rund 11.000 Hausärzte fehlen werden. Fast 40 Prozent aller deutschen Landkreise könnten demnach bis 2035 unterversorgt sein oder von Unterversorgung bedroht werden.

Um Lösungsansätze für dieses drohende Dilemma zu finden, muss man aber gar nicht weit schauen. Der Landkreis Harburg hat etwa die Initiative Stadtlandpraxis ins Leben gerufen. Kreisverwaltung, die Kreiskrankenhäuser, Hausärzte und die Kassenärztliche Vereinigung in Niedersachsen wollen mit der Initiative die hausärztliche Versorgung sicherstellen. Mit langfristigen Berufsperspektiven soll medizinischer Nachwuchs gewonnen werden. Es gibt Förderangebote für Studierende und Frauen, die als Ärztin und Mutter zurück in den Beruf möchten.

Auch KVSH wirbt aktiv um Nachwuchs. Mit der Aktion „Mehr.Arzt.Leben!“ sollen junge Medizinerinnen und Mediziner für eine Praxis auf dem Land gewonnen werden. Es gibt Praxistouren, Praktika und Infos zum Thema Selbstständigkeit. Das Ziel: Medizinischer Nachwuchs soll dafür begeistert werden, in Schleswig-Holstein zu leben und sich dort als Arzt niederzulassen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung richtet sich schon seit 2014 mit der Kampagne „Lass dich nieder“ gezielt an Medizinstudierende und junge Ärztinnen und Ärzte.

Elmshorn: Bewerbungsfrist für freie Arztsitze läuft bis 31. Januar

Die Studie der Robert Bosch Stiftung empfiehlt als langfristige Lösung für den Ärztemangel übrigens die Einrichtung „Patientenorientierter Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung“, sogenannte PORT-Zentren. Diese Zentren vereinen die Gesundheitsversorgung von Prävention und Beratung über Behandlung und Therapie bis zur Nachsorge und Reha unter einem Dach. Doch die Idee steckt noch in den Kinderschuhen: Erst 13 solcher Zentren gibt es in ganz Deutschland nur jeweils eins davon in Schleswig-Holstein (Ärztezentrum Büsum) und Hamburg (Poliklinik Veddel).

Die acht freien Arztsitze in Elmshorn wurden Anfang November von der KVSH ausgeschrieben, die Antragsfrist läuft noch bis zum 31. Januar. Danach entscheidet ein unabhängiger Zulassungsausschuss, wer den Zuschlag für einen der vakanten Arztsitze erhält. Ob sich überhaupt genügend Bewerber melden, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar. Elmshorner Patienten können nur hoffen, dass sich der Prozess nicht zu lange hinzieht und sie bald wieder Termine beim Hausarzt ihres Vertrauens buchen können.

Ärztemangel auf dem Land: Zahlen, bitte!

4.407 zugelassene Ärzte und Psychotherapeuten gibt es in Schleswig-Holstein, 1562 davon sind Hausärzte.

Angestellt sind 1373 Ärzte und Psychotherapeuten in Praxen, 447 davon sind in Hausarztpraxen aktiv.

Wie viele Arztsitze für eine Region benötigt werden, um die ärztliche Versorgung zu gewährleisten, regelt der Bedarfsplan. Für diesen Plan sind die jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen zuständig.

Anhand des Plans wird der aktuelle Stand der Versorgung dokumentiert und analysiert – und falls erforderliche konkrete Maßnahmen abgeleitet.

Die Entscheidung, wer den Zuschlag für einen Arztsitz bekommt, liegt aber nicht bei der KVSH. Das entscheidet ein unabhängiger Zulassungsausschuss – bestehend aus Vertretern der Ärzteschaft und der Krankenkassen.

Rund 200 Hausarztpraxen gibt es laut KVSH aktuell im Kreis Pinneberg.