Pinneberg/Itzehoe. Aaron N. hatte den Dreh in Pinneberg organisiert. Danach wurde ein Beteiligter fast erstochen. Jetzt sagte der Musiker als Zeuge aus.
Es geht immer noch um eine Messerattacke am Bahnhof Pinneberg, die am Morgen des 6. Juli 2022 beinahe tödlich endet. Und um einen heimlichen Musikvideodreh im Parkhaus des Bahnhofs, an dem das spätere Opfer zuvor beteiligt war.
Die Ereignisse der Tatnacht arbeitet die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Itzehoe seit dem 3. Januar auf – und befragte am Dienstag den Mann, der den Videodreh organisiert hatte: Aaron N. (22) aus Pinneberg.
Bahnhof Pinneberg: Messerstich nach Video – Gericht vernimmt Gangster-Rapper
Seinen Beruf gibt der Zeuge als Lagerarbeiter an. Sein Hobby mit Rap-Musik. „Ich mache auch Gangster-Rap“, so der 22-Jährige. Und genau diese Musikrichtung stand in der verhängnisvollen Nacht auf dem Drehplan.
„Ich hatte vor, ein Musikvideo zu drehen und habe das in einer Instagram-Story angekündigt. Wer kommen will, sollte kommen“, so der Zeuge.
Eine kleine Gruppe junger Männer traf sich nachts im Bahnhofsparkhaus
Es sei eine kleine Gruppe gewesen, die sich zwischen Mitternacht und 1 Uhr nachts in dem Parkhaus getroffen habe. Vier Freunde zählt der Pinneberger auf. Er hatte drei Flaschen Wodka und ein paar Flaschen Saft zum Mischen mitgebracht.
„Der Fokus sollte sein, dass die Jungs einen schönen Abend haben und ich ein schönes Video bekomme.“ Die Idee zu dem Video-Dreh habe er ganz spontan an dem Tag gehabt, den darzubietenden Song habe er einige Zeit vorher geschrieben. „Ich mache jeden Tag Musik.“ Schon zuvor habe er kleine Clips auf seiner Instagram-Seite hochgeladen.
Bahnhof Pinneberg: Parkhaus wurde als Drehort gewählt, weil es so düster wirkt
Bei diesem Videodreh seien die Rollen klar verteilt gewesen. Einer der Freunde, ein Hamburger Musikproduzent, habe ein Handy als Kamera benutzt. „Ich habe im Vordergrund performt, gerappt und mich dabei bewegt“, so der Zeuge. Drei weitere Bekannte, darunter das spätere Opfer Mohmen A. (19), genannt Mo, hätten im Hintergrund lässig Wodka-Mischungen getrunken und kleine Bewegungen gemacht.
Das Parkhaus als Location habe er gewählt, weil es dort nachts besonders düster ist, so der Zeuge. Das habe gut zum Gangster-Rap-Image des Songs gepasst. Und einige der Darsteller hätten auch passende Requisiten mitbringen wollen.
Ein Messer will der Initiator des Videodrehs nicht gesehen haben
Aaron N. nennt eine Stichschutzweste. Gesehen habe er sie jedoch nicht. „In meinem Video ist sie nicht aufgetaucht.“ Auch ein Messer, das laut einem anderen Zeugen bei dem Videodreh herumgereicht worden sein soll, will der Initiator nicht gesehen haben.
„Die Clips waren im Kasten, hätten nur noch zusammengeschnitten werden müssen. Ich war bis dahin eigentlich ganz zufrieden“, sagt der 22-Jährige. Im Anschluss sei die kleine Gruppe zum nahe gelegenen Bahnhof gegangen, um noch etwas zu chillen.
Pinneberg: Zeuge kennt den Angeklagten nur vom Sehen
Dort seien einige Nachzügler, die eigentlich schon zum Videodreh kommen sollten, dazugestoßen. Darunter auch der Angeklagte Jamal H. (22), dem die Staatsanwaltschaft versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung vorwirft. „Ich kannte ihn nur vom Sehen.“
Alle hätten miteinander geredet und gechillt, wie es der Zeuge ausdrückt. Dann jedoch seien zwei der Beteiligten in Streit geraten, hätten sich mit Schimpfwörtern wie „Wichser“ und „Bastard“ tituliert und eine Schlägerei beginnen wollen. „Beide hatten Alkohol im Blut, sind sehr hitzköpfig, aber es sind gute Jungs.“
Das Opfer sagt „Digga, ich glaube, ich habe einen Stich bekommen“
Er sei dazwischengegangen, habe einen der Kontrahenten von hinten gepackt. „Ich wollte die Lage wieder runterbringen.“ In dem Moment habe er hinter sich Schreie gehört, ein panisches „Hey Hey Hey“. „Ich habe mich voll erschreckt, mich umgedreht. In dem Moment ging Mo an mir vorbei, sagte ‘Digga, ich glaube, ich habe einen Stich bekommen.`“
Er habe ihn dann aufgefordert, Pullover und T-Shirt hochzuziehen. „Dann habe ich den Stich gesehen, sein Darm guckte raus, das Blut spritzte wie eine Fontäne“, so der Zeuge. Er habe das Opfer noch aufgefordert, etwas auf die Wunde zu drücken – und er habe mitbekommen, wie einer der anderen Beteiligten einen Rettungswagen rief.
Der Anblick der Wunde hat den Zeugen „total aus der Bahn geworfen“
Der Anblick der Wunde habe ihn jedoch komplett traumatisiert. „Gangster-Rap hin oder her, sowas habe ich noch nie gesehen, das hat mich völlig aus der Bahn geworfen.“ Er sei dann völlig kopflos mit zwei weiteren Freunden davongerannt – und wenig später direkt auf einen Polizeiwagen zugelaufen.
„Wir haben uns dann im Gebüsch versteckt“, so der Pinneberger. Das sei eine Kurzschlussreaktion gewesen. „Wir wollten damit nichts zu tun haben“. Die Beamten hätten sie dann mit gezogenen Waffen aufgefordert, mit erhobenen Händen aus dem Gebüsch rauszukommen. Im Anschluss habe das Trio diverse Stunden auf der Polizeiwache verbracht. „Das war Scheiße“.
Zeuge und Opfer der Messerattacke haben keinen Kontakt mehr
Im Anschluss habe er mehrere Nächte schlecht geschlafen, sei ständig schweißgebadet aufgewacht. Erst als er erfahren habe, dass das Opfer über den Berg sei, sei es ihm besser gegangen. „Mo hatte ich an diesem Abend kennengelernt.“ Er habe ihn dann noch gemeinsam mit einem der Freunde im Krankenhaus besucht, seitdem aber keinen Kontakt mehr zu ihm.
Dass die Polizei Jamal H. als mutmaßlichen Täter verhaftet habe, habe er erst mit der Zeugenladung des Gerichts erfahren. „Ich wollte mit dem Thema abschließen.“ Er habe einige Tage nach dem dramatischen Ereignis zwar die gedrehten Clips zu einem fertigen Video zusammengeschnitten, dieses dann aber gelöscht. „Es ging für mich darum, diesen Abend zu vergessen.“
Zeuge hat das fertig geschnittene Video gelöscht
Das fertige Video habe er nirgendwo hochgeladen und an niemanden verschickt, so der Zeuge. Und auch das Handy mit dem Rohmaterial gebe es inzwischen nicht mehr. Die Richter hatten bis zuletzt gehofft, das Material einsehen zu können.
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Der Angeklagte Jamal H. (22) hat in dem Verfahren bisher geschwiegen. Und auch dem Opfer Mohmen A. (19) stand wegen möglicher Drogendelikte ein Aussageverweigerungsrecht zu, welches auch genutzt wurde.
Kammer hat noch vier Prozesstage bis zum 2. Juni angesetzt
Bis auf den Hauptzeugen Andy T. (26), der den Angeklagten als Täter belastet hat, hatten sich die übrigen Tatzeugen auf Erinnerungslücken berufen oder angegeben, den Moment des Messerstichs nicht gesehen zu haben.
Beim nächsten Termin am 16. Mai soll der letzte Zeuge aus der Gruppe der jungen Männer, die am Bahnhof anwesend waren, gehört werden. In den Folgeterminen sollen weitere Zeugen wie etwa Kioskmitarbeiter, Polizisten und Vernehmungsbeamte gehört werden. Vier Termine sind noch bis zum 2. Juni angesetzt. Ob dies ausreichen wird, ist noch unklar.