Pinneberg/Itzehoe. Nachdem Richter und Verteidiger streiten, schweigt der Hauptbelastungszeuge. Das macht die Aufklärung der Bluttat nicht einfacher.

Die Haare lässig zum Knoten hochgesteckt, so betrat am Freitag Mohmen A. den großen Saal des Landgerichts Itzehoe. Der 19-jährige Hamburger wurde am 6. Juli am Ausgang des Pinneberger Bahnhofs durch einen Messerstich in den Unterbauch lebensgefährlich verletzt. Er überlebte nur dank einer Notoperation. Als mutmaßlichen Täter hat die Mordkommission Jamal H. (21) ausgemacht, der Pinneberger muss sich wegen versuchten Totschlags verantworten.

Nachdem der Angeklagte am ersten Prozesstag die Aussage zu den Vorwürfen verweigert hatte, sollte am Fortsetzungstermin eigentlich das Opfer das Wort haben. Dreieinhalb Stunden, nachdem der junge Mann erstmals den Saal betreten hatte, konnte er diesen wieder verlassen. Und zwar ohne zu den Ereignissen in der Nacht zum 6. Juli Stellung zu nehmen.

Vorausgegangen war eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Verteidigern Lino Peters und Uwe Maeffert und dem Vorsitzenden Richter Johann Lohmann, die letztlich durch einen Kammerbeschluss entschieden werden musste – zugunsten der Verteidiger.

Lohmann war der Meinung, dass dem Zeugen ein eingeschränktes Aussageverweigerungsrecht zustehen würde und hatte diesen auch so belehrt. Fragen, bei deren wahrheitsgemäßer Beantwortung er sich der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen müsste, könne er verweigern, so Lohmann.

Hintergrund ist, dass Mohmen A. offenbar in die Auseinandersetzung, die sich auf einer Bahnhofstreppe zwischen mehreren Heranwachsenden abgespielt haben soll, selbst involviert war. So soll er versucht haben, einen der Kontrahenten in den Schwitzkasten zu nehmen. Hinzu kommt, dass gegen den 19-Jährigen nach den Ereignissen dieser Nacht ein Ermittlungsverfahren wegen Drogenbesitzes laufen soll. Ob Drogen bei der Bluttat eine Rolle spielen könnten, wird im Verfahren zu klären sein.

Verteidiger Lino Peters machte demgegenüber geltend, dass aus seiner Sicht für den Zeugen aufgrund seiner Beteiligung an der Tat ein vollständiges Aussageverweigerungsrecht bestehen würde. Mohmen A., der vor Gericht sehr nervös wirkte, hatte bereits angesetzt, über den Abend vor der Tat zu berichten, als ihn Peters unterbrach und eine Gerichtsentscheidung einforderte.

Die kam nach zweieinhalbstündiger Beratung der Kammer gegen 14 Uhr – und stützte die rechtliche Meinung des Verteidigers. Im Anschluss diskutierten die Beteiligten noch einmal längere Zeit darüber, ob es notwendig sein könnte, dem Zeugen einen Rechtsanwalt an die Seite zu setzen, damit dieser ihn über die sehr komplizierte rechtliche Situation aufklären kann. Dies wurde jedoch verworfen.

Als Mohmen A. dreieinhalb Stunden nach seinem Kurzauftritt zum zweiten Mal in den Gerichtssaal gerufen wurde und nun erfuhr, dass er auch vollständig die Aussage verweigern durfte, nahm er dies mit den Worten „Dann möchte ich gar nichts mehr sagen“ in Anspruch und wurde entlassen. Die Episode macht es angesichts des Schweigens des Angeklagten für die Kammer nicht einfacher, die Umstände der Messerattacke aufzuklären.

Dabei soll jetzt ein weiterer Zeuge helfen, der nun zum Hauptzeugen der Anklage werden könnte. Der Heranwachsende wird am dritten Prozesstag, der für den 25. Januar angesetzt ist, vernommen und soll direkter Zeuge der Auseinandersetzung gewesen sein. Anders als dem Opfer steht ihm höchstwahrscheinlich kein Aussageverweigerungsrecht zu, sodass er ausführlich zu den Ereignissen Stellung nehmen könnte.

Das Gericht hat offenbar bereits im Vorfeld mit einem schwierigen Verfahren gerechnet und elf Verhandlungstage angesetzt, den letzten am 30. März. Dem Angeklagten Jamal H. droht im Falle einer Verurteilung eine mehrjährige Haftstrafe. Der Totschlag wird mit fünf bis 15 Jahren Haft bestraft. Da es sich bei der verhandelten Tat um einen Versuch handelt, ist eine Absenkung der Strafhöhe möglich.