Pinneberg/Itzehoe. Am Bahnhof attackierte der 21-Jährige sein Opfer – es überlebte nur knapp. Ein bekannter Verteidiger übernimmt im Prozess den Fall.
Sein Gesicht versteckt Jamal H. (21) hinter einem Aktendeckel, als er am Dienstag im Blitzlichtgewitter der Fotografen in Handschellen in den großen Saal des Landgerichts Itzehoe geführt wird. Dort muss sich der Pinneberger wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verantworten. Er soll Anfang Juli für eine folgenschwere Messerattacke am Bahnhof der Kreisstadt verantwortlich sein, bei der um ein Haar ein Mensch gestorben wäre.
Was sich gegen 3.15 Uhr dort am 6. Juli genau abgespielt hat, hat Staatsanwältin Maxi Wantzen in der Anklageschrift kurz zusammengefasst. Demnach soll Jamal H. Streit mit zwei Heranwachsenden gehabt haben, der auszuufern drohte. Kurz vor dem Übergang von einer verbalen zu einer körperlichen Auseinandersetzung trat laut Anklage Mohmen A. dazwischen, um den 21-Jährigen von der Beteiligung an der Schlägerei abzuhalten. „Aus Ärger über das Eingreifen stach der Angeklagte dem Opfer mit einem Messer mit einer Klingenlänge von acht bis zehn Zentimetern wuchtig in den Unterbauch“, so die Staatsanwältin.
Dabei habe der Angeklagte den Tod seines Opfers billigend in Kauf genommen, es sei ihm schlicht egal gewesen. Der 19 Jahre alte Mohmen A., der aus Hamburg stammt, erlitt Durchstöße des Dünndarms und des Bauchspeicheldrüsenkopfes, was zu heftigen inneren Blutungen führte. „Nur eine sofortige Notoperation rettete das Leben das Opfers“, so Wantzen weiter. Der Angeklagte habe „versucht, einen Menschen zu töten, ohne Mörder zu sein“.
Zwei Wochen nach der Bluttat standen die Ermittler der Mordkommission mit einem Haftbefehl vor der Tür des jungen Mannes, der in Pinneberg noch bei seinen Eltern lebt. Jamal H. ist knapp vier Monate vor der Tat 21 Jahre alt geworden, er wird folglich nach Erwachsenenstrafrecht behandelt. Ihm drohen mindestens fünf Jahre Haft. Seit seiner Festnahme sitzt er in einer Untersuchungshaftanstalt.
Zu dem schweren Vorwurf hat er sich bisher nicht geäußert – und wird es auch im Prozess nicht tun. Zwar beantwortete er Fragen zu seinen Personalien, zu Nationalität, Geburtsdatum und Wohnort. Die Frage, ob er aussagen wollte, beantwortete Jamal H. laut und deutlich mit Nein.
Damit dürfte in dem Verfahren vieles von den Zeugenaussagen abhängen. Laut der Anklageschrift müssen mindestens drei Personen die Attacke mitbekommen haben – die beiden Beteiligten der Auseinandersetzung und das Opfer selbst. Anders als in ähnlichen Verfahren hat sich das Opfer nicht als Nebenkläger dem Verfahren angeschlossen.
Ein weiteres Beweismittel könnte die Videoüberwachung des Bahnhofs sein. Die Bluttat hatte sich auf einer Treppe abgespielt, die zum Ausgang des Bahnhofstunnels im Bereich An der Mühlenau führt. Dort hängt deutlich sichtbar eine Videokamera. Aufnahmen aus eben dieser Kamera, so hieß es während des Ermittlungsverfahrens, hätten die Beamten der Mordkommission auf die Spur des Pinnebergers geführt.
Der hat sich mit zwei Verteidigern umgeben. Lino Peters fungiert als Pflichtverteidiger. Als Wahlverteidiger hat der Angeklagte den Hamburger Juristen Uwe Maeffert engagiert, der mittlerweile 79 Jahre alt, aber dennoch bei den Richtern im Norden weiterhin gefürchtet ist. Er ist, wie das Abendblatt einmal schrieb, für seine „Lust am verbalen Hauen und Stechen“ in Hamburgs Gerichtssälen berühmt wie berüchtigt. „Er darf der Schrecken der Justizmaschinerie genannt werden“, schrieb die „Zeit“. „Sein Sarkasmus, sein Sophismus, seine Schmähreden – sein rhetorisches Arsenal treibt die Protagonisten dieses Systems in die Verzweiflung.“
Eine kleine Kostprobe erhielten die drei Berufsrichter und die zwei Schöffen der Schwurgerichtskammer, angeführt von Johann Lohmann, noch vor der Anklageverlesung. Als Lohmann allen Beteiligten an dem Verfahren mit Ausnahme des Angeklagten freistellte, ob sie Maske tragen wollen oder nicht, prangerte Maeffert prompt die drei maskierten Mitglieder der Kammer an und dozierte längere Zeit darüber, dass dies mit dem vor Gericht geltenden Verhüllungsverbot eigentlich unvereinbar sei.
Die Schwurgerichtskammer hat in dem Verfahren zehn Verhandlungstage bis Ende März angesetzt, bereits am Freitag soll der Einstieg in die Beweisaufnahme mit den ersten Zeugenvernehmungen erfolgen. Ob es dazu kommt, ist jedoch völlig unklar. Bereits vor der Verlesung der Anklageschrift kündigte der Verteidiger Lino Peters einen Antrag auf Aussetzung des Hauptverfahrens an, der jedoch von Lohmann zunächst nicht angenommen wurde. Es ist damit zu rechnen, dass dieses Ansinnen am Freitag offiziell gestellt wird.
Peters bemängelt die Übergabe einer DVD, die erst zum Prozessauftakt erfolgt ist. Darauf sind die Videoaufnahmen vom Tatort zu sehen, separat ist die Tonaufnahme aufgezeichnet. Die DVD war von der Mordkommission zwar an die Staatsanwaltschaft weitergegeben worden, dort jedoch liegen geblieben und nicht zum Bestandteil der Verfahrensakte geworden. Staatsanwältin Wantzen erklärte dies mit einem Missverständnis zwischen der eigentlich zuständigen Kollegin und der Ermittlerin. Verteidiger Peters, der zweimal die Herausgabe eingefordert hatte, verlangt nun mehr Zeit, um die Aufnahmen ansehen und auswerten zu können.