Tornesch. Schleswig-Holstein stellt niedrigschwellige Angebote ein – angesichts des Flüchtlingszustroms und des Fachkräftemangels überraschend.
Seit März gibt es für dieses Jahr kein Geld mehr für die Deutschkurse, die vom Land Schleswig-Holstein finanziert werden. Betroffen davon sind die sogenannten Staff-Kurse und Erstorientierungskurse, die vom Land finanziert werden. Ein niedrigschwelliges Angebot für die Migranten, die noch keine Zulassung für den Integrationskurs haben.
Das betrifft somit alle Anbieter von Staff- und Erstorientierungskursen im Land Schleswig-Holstein. Für die VHS Tornesch-Uetersen bedeutet dies konkret: acht Lehrkräfte stehen auf der Straße, 160 Menschen können nicht weiter Deutsch lernen.
„Katastrophe“ bei VHS Tornesch-Uetersen: Land streicht Geld für Deutschkurse
Das Land Schleswig-Holstein hatte 2015 als einziges Bundesland das Starterpaket für Flüchtlinge, kurz Staff, etabliert. Geschaffen wurde dies vor allem für die vielen Afghanen, die in Deutschland Zuflucht suchten, aber keine Arbeitsgenehmigung erhielten und damit auch keinen Anspruch auf geförderte Deutschkurse hatten.
„Ein wunderbares Konzept“, sagt Pleines. „Wir hatten fünf parallel laufende Kurse, hauptsächlich für Analphabeten.“ Und es gab Anschlusskurse mit 300 Unterrichtseinheiten für das B1-Zertifikat – Voraussetzung für den Arbeitsmarkt. Auch die Anforderungen an die Qualifikation der Lehrkräfte ist niedriger.
„Mitte Februar erhielten wir vom Land ein Schreiben, wir sollten sofort alle Staff-Kurse abbrechen, da der Landtag noch über den Haushalt verhandelt“, sagt Pleines. Sieben Kurse mit je 20 Teilnehmern mussten abgebrochen werden. „Sie hängen in der Luft, genauso wie die Honorarkräfte, die plötzlich kein Geld mehr kriegen.“ Da ihnen die BAMF-Zusatzqualifikation fehle, könnten sie auch nicht einfach in die Integrationskurse wechseln.
Kreis Pinneberg: In Deutschkursen der Volkshochschulen sitzen potenzielle Fachkräfte
„Im Hinblick auf weitere Zuströme von Geflüchteten, Fachkräftemangel und Lehrkräftemangel eine Katastrophe“, sagt Inga Pleines, Leiterin der VHS Tornesch-Uetersen. Geflüchtete mit Mindestanforderungen der deutschen Sprache können die Grundlagen nicht erwerben, um in einem Job zu arbeiten. Dafür wird die Sprachstufe B1 vorausgesetzt.
„Wir haben hier in den Deutschkursen Krankenschwestern, Ingenieure, Physiotherapeuten – alles potenzielle Fachkräfte, die wir dringend brauchen. Um in Deutschland arbeiten zu können, brauchen sie aber ein Minimum an Deutschkenntnissen, und ihre Abschlüsse aus der Heimat müssten anerkannt werden.“ Stattdessen werbe man Fachkräfte aus anderen Ländern ab, die dann dort fehlten.
Dafür stellt das Land den Volkshochschulen Fördermittel für Kinderbetreuung bereit. „Wir haben aber gar nicht die Logistik und Erzieher, um hier Kinderbetreuung anzubieten“, sagt Pleines. Das Angebot gehe komplett am Bedarf der Volkshochschulen vorbei.
Deutschkurse an VHS: Bund und Land finanzieren Kurse
Deutschkurse werden unterschiedlich finanziert. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) finanziert Integrationskurse. Dafür brauchen Teilnehmer eine Berechtigung, die von Jobcenter oder Ausländerbehörde erteilt werden. Ein Integrationskurs geht über 600 Unterrichtseinheiten und dauert etwa sieben Monate.
Das Problem: Die Dozenten müssen beim BAMF Fortbildungskurse im Bereich Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung belegen, um geflüchtete Menschen unterrichten zu dürfen. Die Kosten dafür tragen die Lehrkräfte selbst. „Das geht in die Tausende“, sagt Pleines. „Es ist wie ein kleines zweites Staatsexamen.“
Auch ein pensionierter Deutschlehrer, der sein Berufsleben lang an einer Schule unterrichtet hat, braucht diese Zusatzqualifikation. „In der jetzigen Lage, wo ein allgemeiner Lehrermangel herrscht, können die Dozenten aber auch sofort eine Festanstellung an einer Schule bekommen“, sagt sie. An den Volkshochschulen erhalten die Dozenten dagegen nur Honorarverträge.
Deutschkursus für Analphabeten dauert etwa ein Jahr
„Zu Beginn hatten wir viele Menschen aus Afghanistan, Somalia oder dem Iran, die nicht lesen und schreiben konnten. Das betraf vor allem Frauen, die in ihren Heimatländern kaum Zugang zum Bildungssystem haben“, sagt Pleine. Für sie gab es Alphabetisierungskurse.
„In einem Kursus bringen wir zwölf bis 15 Teilnehmer unter. Für die vorgesehenen 900 Unterrichtsstunden brauchen wir ein Jahr“, sagt die VHS-Leiterin. Allein für die Alphabetisierungskurse der VHS Tornesch-Uetersen stehen derzeit 75 Menschen auf der Warteliste.
Für alle Migranten, die schon Deutschgrundkennnisse haben, die aber noch nicht für den Berufseinstieg oder ein Studium reichen, gibt es die Berufssprachkurse. „Wir sind im Kreis Pinneberg die einzige VHS, die dafür kontinuierlich C1-Kurse anbietet“, sagt Pleines.
Warteliste für Deutschkurse an Volkshochschulen ist lang
Sie hält einen dicken Ordner in der Hand – voll mit Anträgen für Deutschkurse. „Wenn wir jetzt keine neuen Teilnehmer mehr aufnehmen würden, bräuchten wir immer noch sieben Jahre, um alle abzuarbeiten.“
Ebenfalls vom BAMF bezahlt werden Erstorientierungskurse mit 300 Unterrichtseinheiten für Menschen, die wissen, dass sie in Deutschland nicht bleiben wollen, sich aber auf A1-Sprachniveau verständigen möchten. „Das betrifft zum Beispiel viele Ukrainer.“
Die Finanzierung der Erstorientierungskurse hat der Bund 2023 eingestellt, mit der Begründung, dafür das Kontingent für die Integrationskurse zu erhöhen. „Die sind aber nicht so leicht zu organisieren, weil wir nicht genügend Dozenten mit der vom BAMF geforderten Zusatzausbildung haben“, erklärt Pleines. Konsequenz: An der VHS wurden die Erstorientierungskurse eingestellt.
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VHS in Wedel und Elmshorn sind nicht betroffen
Die bürokratischen Hürden seien viel zu hoch. „Die Anmeldung für eine neue Qualifizierung für verrentete Lehrer dauert bereits zweieinhalb Monate, und wir haben immer noch keine Rückmeldung“, sagt die Leiterin. Die administrativen Aufgaben würden überhand nehmen.
Die VHS Elmshorn und Barmstedt ist derzeit nicht betroffen. „Wir hatten aufgrund der großen Nachfrage im letzten Jahr vier Erstorientierungskurse eingerichtet, um auf die große Nachfrage kurzfristig und unkompliziert zu reagieren. Diese vier Kurse sind bereits abgeschlossen“, sagt VHS-Leiterin Maike Bünning.
An der VHS Wedel finden gar keine Staff- oder Erstorientierungskurse mehr statt. „Wir machen im Moment vor allem Integrationskurse. Insofern haben wir mit der Mittelkürzung kein Problem“, sagt Claudia Bolsinger, stellvertretende Fachdienstleitung und verantwortlich für den Bereich Deutsch als Zweitsprache.