Itzehohe/Quickborn. Die Erwägung, dass sich zwei Richter die Gegebenheiten dort ansehen, ist auf sehr unterschiedliches Echo gestoßen.

Wird es im Verfahren gegen die ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard F. einen Ortstermin im Konzentrationslager Stutthof geben? Die Erwägung des Gerichts, dass zwei Richter der Kammer zu dem Lager reisen und sich die Gegebenheiten dort ansehen, ist bei anderen Verfahrensbeteiligten auf sehr unterschiedliches Echo gestoßen. Während die Verteidigung Bedenken äußerte, begrüßte die Nebenklage eine solche Initiative ausdrücklich.

Eine Augenschein-Einnahme sei wichtig, weil „nur so vollständige Erkenntnisse gewonnen werden“ könnten, die für das Verfahren „von großer Bedeutung“ seien, sagte Rechtsanwalt Christoph Rückel, der in dem Verfahren sechs KZ-Überlebende vertritt.

KZ-Prozess: 97-Jährige kann selbst entscheiden, Stutthof zu besuchen

Die Verfahrensbeteiligten könnten dann „besser verstehen, dass die Angeklagte jederzeit bei ihrem Weg zur Arbeit, während des Aufenthalts im Kommandanturgebäude und bei ihrem sonstigen Aufenthalt in Stutthof das Ausmaß des Grauens mit eigenen Augen jeweils sehen konnte und sehen musste“, sagte Rückel. Und Rechtsanwalt Markus Horstmann, ebenfalls Nebenkläger-Vertreter, verband seine positive Reaktion auf die Anregung der Kammer mit einem eindringlichen Appell an die Angeklagte Irmgard F.

Die heute 97-Jährige könne an dieser „Reise in die Vergangenheit“ teilnehmen, „muss das aber nicht“, sagte Horstmann. Anders als die damaligen Gefangenen, die seinerzeit während der Nazi-Herrschaft gegen ihren Willen in das KZ gebracht wurden, habe die ehemalige Sekretärin heute „die Wahl“. Sie solle die Chance wahrnehmen, sich anzusehen, was im Prozess von „Überlebenden, die das Unbeschreibliche beschrieben haben“, geschildert worden sei, meinte Horstmann an die Angeklagte gewandt. „Selbst wenn Sie Ihre Rolle in dem Lager als klein und unbedeutend empfunden haben, ist es eine historische Chance, aus Ihrer Sicht als Zeitzeugin zu erzählen!“

Stutthof-Prozess: Angeklagte in dem Prozess ist die 97 Jahre alte Irmgard F.
Stutthof-Prozess: Angeklagte in dem Prozess ist die 97 Jahre alte Irmgard F. © Marcus Brandt/dpa-POOL/dpa

Stutthof-Prozess – Verteidiger: Ortstermin wäre nicht sinnvoll

Irmgard F. muss sich in dem Prozess vor dem Landgericht verantworten, weil sie von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur des Konzentrationslagers Stutthof gearbeitet haben soll. Durch ihre Schreibarbeit habe sie Beihilfe zum systematischen Mord an mehr als 11.000 Gefangenen geleistet, so die Anklage. Irmgard F. hat bislang zu den Vorwürfen geschwiegen.

Der Verteidiger der Angeklagten, Wolf Molkenthin, meinte, ein etwaiger Ortstermin durch Abgesandte des Gerichts wäre nicht sinnvoll für den Prozess. „Egal, wie man es dreht und wendet, es führt zu Problemen, die das Verfahren gefährden könnten“, sagte Molkenthin. „Und das wollen wir gerade nicht.“ Eine Entscheidung, ob es zu dem Ortstermin kommen wird, will das Gericht demnächst fällen.

In dem Prozess sind bislang unter anderem acht Überlebende und ein ehemaliger Wachmann des Lagers als Zeugen aufgetreten. Zuletzt hatte der Historiker Stefan Hördler, der an mehreren Verhandlungstagen als Sachverständiger gehört wurde, ausgeführt, dass Irmgard F. seinerzeit sehr einfach hätte kündigen oder sich hätte versetzen lassen können. Dazu legte Hördler mehrere Beispiele von anderen Zivilangestellten vor. Demnach sei es die freie Entscheidung der Angeklagten gewesen, in dem Konzentrationslager zu arbeiten.