Henstedt-Ulzburg. Knochenjob in elf Meter Wassertiefe und null Sicht: Warum beim Bau der Stromtrasse bei Henstedt-Ulzburg ein Grundwasserpool entstand.
In schwerer Montur steigt Industrietaucher Max Hörner in den orangefarbenen Metallkorb, der an einem Baggerarm hängt. Dann wird er herabgelassen, versinkt schließlich für lange Zeit in einer braunen Suppe. Die Sichtweise ist quasi Null. Doch Sorgen muss sich niemand machen.
Hier an der Norderstedter Straße, auf der Baustelle für die Ostküstenleitung, die in Henstedt-Ulzburg teils unterirdisch verlegt wird, sind Profis im Einsatz, die in einer elf Meter tiefen, 14 mal 14 Meter breiten Baugrube Montage- und Reinigungsarbeiten unter Extrembedingungen durchführen.
Extremer Taucheinsatz: Ein Pool mit Grundwasser
Einen anderen Weg gibt es nicht. Denn man befindet sich dort, wo vorher ein Acker war, deutlich unter dem Grundwasserspiegel. Für die künftige 380-Kilovolt-Stromtrasse, eines der größten Infrastrukturprojekte im Norden, müssen in zehn Meter Tiefe zwei Röhren gebohrt werden, in die später jeweils sechs Kabel verlegt werden. Doch erst, wenn die sogenannte „Startergrube“ vorbereitet worden ist, kann unter Wasser die Betonsohle gegossen werden. Diese ist dann die Barriere, damit nicht weiter Grundwasser nach oben gedrückt wird und das Loch letztlich leergepumpt werden kann, um Platz für den Bohrer zu schaffen.
Bis Ende 2026, so der aktuelle Zeitplan von Netzbetreiber Tennet, soll die Mega-Leitung zwischen Ostholstein und A 7 fertiggestellt sein heißt es. Für die Firma Aqua-Nautik ist es hingegen zunächst einmal ein Job. „Baugrube ist Baugrube“, sagt Frank Behr, einer der Taucher, während er seinen Kollegen überwacht, dessen Atem über Funk hört, Druck und Sauerstoff immer im Blick hat.
Ostküstenleitung: Umweltminister informiert sich vor Ort
„Wie lange er unter Wasser bleibt, ist abhängig von der Tiefe. Hier sind wir bei 10,50 Meter.“ 90 Minuten dauert ein Tauchgang, so ist die Absprache. Unter Wasser tasten sich die Männer voran, mit bloßem Auge können sie sich nicht orientieren. Es ist ein Grenzbereich, ginge es noch weiter nach unten, müsste beim Auftauchen die Dekompressions-Zeit berücksichtigt werden.
Der Arbeitstag dauert von morgens um 7 Uhr bis 19 Uhr, sagt Behr. „Danach geht’s ins Hotel. Und täglich grüßt das Murmeltier. Am Wochenende geht es dann nach Hause.“ Das Unternehmen kommt aus Niederkrüchten bei Mönchengladbach, ist eine von bundesweit rund 25 Spezialfirmen, die derartige Sondermissionen übernehmen kann. Man sei gut ausgelastet, bestätigt Frank Behr.
Tauch-Spezialfirma: „Freelancer aus der ganzen Welt“
Die Fachleute kämen quasi von überall. „Wir greifen auf Freelancer aus der ganzen Welt zurück.“ Unter anderem auch aus Südafrika oder Spanien. „Die Amtssprache ist überwiegend Englisch.“ Gefährlich sei das Bautauchen eigentlich nicht, findet er. „Die größte Gefahr ist, dass die Luft ausgeht.“ Und das wissen die Profis dann doch zu verhindern.
Am 3. Juni soll, soweit das Wetter mitspielt, alles erledigt sein, dann könnte die Betonsohle geschüttet und die Startergrube leergepumpt werden. Auf schnellen Fortschritt setzt auch die Spitzenpolitik. Denn Tobias Goldschmidt (Bündnis 90/Die Grünen), Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur in Schleswig-Holstein, ist zu Besuch in Henstedt-Ulzburg. Die Gemeinde steht seit Jahren im Fokus. Goldschmidt ist nicht das erste Mal hier, manche erinnern sich an eine Sitzung 2022, als er, seinerzeit noch als Staatssekretär, die Fraktionen unverblümt ermahnte, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und das Vorhaben nicht zu bremsen, sondern mehr oder weniger ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung für die Versorgungssicherheit nachzukommen.
Umweltminister Goldschmidt: „Eingriff in die Natur und für Anwohner reduziert“
Er erinnert an die Diskussionen, da „Henstedt-Ulzburg sehr eng bebaut ist und man hier irgendwie durchmuss, wenn man Ostholstein anschließen und in Richtung Fehmarn und Schweden ein Netz bauen will“. Als Landesregierung habe man sich für Erdkabel eingesetzt, diese hätten aber große Trassen, „25 Meter breit in offener Bauweise. Dann haben wir in Henstedt-Ulzburg gesagt: Wahrscheinlich ist es sogar klug, noch innovativer vorzugehen mit der Bauweise, wie wir sie jetzt hier sehen“.
Er habe sich immer dafür eingesetzt, dass der Netzausbau die Belange der Anwohnerinnen und Anwohner bestmöglich berücksichtige. „Es konnten nicht alle Wünsche erfüllt, aber viel getan werden, damit der Eingriff in die Natur sowie für die Anwohnerinnen und Anwohner reduziert wird.“
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Und zwar mit unterirdischen Dükerleitungen, die kleiner sind, technisch aber noch nicht etabliert. „Zunächst wollten wir, dass die Trasse an der A20 gebaut wird“, so Bürgermeisterin Ulrike Schmidt, aber: „Das geht nicht. Und wir können uns nicht gegen ein Bundesprojekt stemmen. Aber wir haben es versucht mit viel Sachverstand, und das Bestmögliche für unsere Gemeinde erreicht. Die Dükerlösung als Modellprojekt ist ein großer Erfolg.“
Bürgermeisterin Schmidt: „Düker als Modellprojekt ein großer Erfolg“
In wenigen Wochen werden die eigentlichen Bohrarbeiten, berichtet Gesamtprojektleiter Michael Beck, während anderswo die Arbeiten, sei es für die Erdkabel bei Kisdorferwohld oder die Freimasten, parallel laufen.
Eine Verzögerung ließ sich nicht vermeiden. „Wir sind mit unserem Zeitplan ziemlich exakt ein Jahr hinterher. Die ursprüngliche Planung war, dass wir im vierten Quartal 2025 fertig sein wollten. Das haben wir aufgrund des schlechten Wetters, beginnend im letzten September, wir hatten zu viel Regen, sind nicht so vorangekommen, wie wir uns das vorgestellt haben. Im Moment machen uns auch die Starkregenfälle sehr zu schaffen im Kabelbereich.“ Daher, so der Plan, soll die Ostküstenleitung im vierten Quartal 2026 fertiggestellt sein und Anfang 2027 in Betrieb gehen.