Henstedt-Ulzburg. Die Gemeinde ist gegen die Ostküstenleitung. Kiel hat kein Verständnis - das Land müsse unabhängig von russischem Gas werden.
Exakt eine Stunde Zeit hatte sich Tobias Goldschmidt genommen für seinen Besuch im Planungs- und Bauausschuss der Gemeinde Henstedt-Ulzburg. Diese 60 Minuten genügten dem Staatssekretär aus dem Energiewende-Ministerium allerdings auch, um die Position der Landesregierung zur Ostküstenleitung unmissverständlich klar zu machen. In Kiel hat man kein Verständnis für den Widerstand der Henstedt-Ulzburger gegen den Verlauf der 380-Kilovolt-Stromtrasse, die den Ort im Bereich der Pinnauwiesen als Erdkabel durchqueren soll.
Es ist eines der größten Infrastrukturprojekte im Land
Und mehr noch: Goldschmidt appellierte an die staatspolitische Verantwortung der Fraktionen und der Verwaltung. „Wir haben politisch eine völlig andere Situation, weil wir seit dem Krieg gegen die Ukraine über Energiesouveränität reden. Die Energieversorgung dient der öffentlichen Sicherheit.“ Damit Deutschland irgendwann ohne russisches Erdgas auskommt, muss nicht nur die Stromerzeugung über erneuerbare Energien erheblich ausgebaut werden, sondern auch Infrastruktur entstehen. Und da befindet sich Henstedt-Ulzburg im Mittelpunkt eines der wichtigsten Projekte. Das ist allen bewusst. „Niemand hier ist gegen die Ostküstenleitung“, sagte so auch der Ausschussvorsitzende Stephan Holowaty (FDP), der zugleich auch Landtagsabgeordneter ist. Er gehört einer Regierungsfraktion an, vertritt aber in diesem Fall eben Wahlkreisinteressen. Und dort fordern viele Menschen: Der Korridor soll an die künftige Autobahn 20 verlegt werden.
Die 130 Kilometer lange Leitung soll Strom, der über Windenergie in Ostholstein und auch über Solarenergie erzeugt worden ist, aufnehmen und abtransportieren. Dazu würde die Ostküstenleitung an das Baltic Cable angebunden, das unter der Ostsee aus Schweden Strom über das europäische Netz liefert – auch hier aus erneuerbaren Energien. Der skandinavische Nachbar setzt insbesondere auf Wasserstoff, allerdings auch auf Kernenergie.
Im Bereich Beckershof an der Autobahn 7 würde ein Umspannwerk entstehen, um eine Verbindung zur bereits bestehenden Nord-Süd-Trasse zu schaffen. Netzbetreiber ist jeweils das Unternehmen Tennet, das Projekt ist Teil des Bundesbedarfsplangesetzes. Staatssekretär Goldschmidt verwies auf das erklärte Ziel der Bundesregierung, Planungsverfahren dieser Größenordnung zu beschleunigen. Das ist zwar gesetzlich noch nicht umgesetzt, doch die Botschaft ist klar. „Im Sondierungspapier der Ampelkoalition stand: Alle Hürden sind aus dem Weg zu räumen.“
Trasse bis Henstedt-Ulzburg hätte schon 2021 fertiggestellt sein sollen
Der Abschnitt bis Henstedt-Ulzburg hätte ursprünglich bereits 2021 fertiggestellt sein sollen. „Die Leitung müsste heute eigentlich unter Strom stehen. Aber es ist noch nicht einmal so weit, dass die Genehmigungsverfahren abgeschlossen sind.“ Das Planfeststellungsverfahren läuft derzeit. Wie berichtet, hatte die Tennet angekündigt, die Bohrungsmethode anzupassen, um das Pinnaubiotop zu schützen. Die Kabel sollen in Dükern verlegt werden, das würde den Flächenbedarf um zwei Drittel reduzieren. Die Kosten hierfür stehen übrigens noch nicht fest. „Das wird im Juni offen gelegt. Wir müssen abwägen, ob die Kosten dem Stromkunden auferlegt werden, wenn sie astronomisch hoch sind“, sagte Projektleiter Till Klages.
Gemeindepolitik bleibt bei Ablehnung des Verlaufs
Diese Veränderung ist für Henstedt-Ulzburg nicht ausschlaggebend. „Im Kern fußt unsere gesamte Argumentation darauf, dass der Korridor entlang der A 20 wirtschaftlich, technisch und vom Verfahren schneller ist“, sagte Jens Iversen, Fraktionschef der BfB. Er forderte den Staatssekretär auf, sich zum Bau der A 20 zu bekennen. „Sie sind doch designierter Minister für Umweltfragen. Wie halten sie es persönlich mit dem Projekt?“ Darauf ließ sich der Grüne nicht ein. „Ich bin hier zur Ostküstenleitung eingeladen und nicht als parteipolitischer Vertreter.“ Michael Meschede von der CDU betonte: „Wir weigern uns, diese Trasse durch den Ort zu führen, egal ob unter- oder überirdisch.“
Ein Vorwurf, den die Gemeinde an die Tennet und das Land wiederholt richtet: Das sogenannte „Schutzgut Mensch“ sei nicht ausreichend beachtet worden. „Es spielt eine große Rolle. Aber nicht die einzige“, entgegnete Tobias Goldschmidt. Die Emissionsrichtwerte für elektromagnetische Strahlung sprechen aus Sicht des Ministeriums vielmehr für das Erdkabel – denn die mögliche Alternative wäre sonst eine Freileitung auf der Bestandstrasse weiter südlich gewesen, dann aber in direkter Nähe zu Wohngebieten. „Tennet hat hergeleitet, wie sie zu der Korridorauswahl gelangt sind, warum sie sich gegen die A20 entschieden haben. Ich habe Stand heute keinen Anlass, den Korridor zu bezweifeln“, so Goldschmidt.
Trotzdem steht eine Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluss im Raum. Diese müssten von betroffenen Eigentümern angestrengt werden. Wie diese begründet wäre, ist bisher spekulativ. Die Gemeinde lässt sich seit Jahren von der Kanzlei Weissleder+Ewer hierzu beraten. Tennet spricht längst mit den Besitzern der Grundstücke, die von der Trasse durchquert würden, das wurde im Ausschuss noch einmal bestätigt. Im Zweifelsfall drohen Enteignungen, wie Tobias Goldschmidt abschließend erklärte. Denn: „Es geht um die Energieversorgung der viertgrößten Industrienation der Welt.“