Bad Segeberg. Mit der digitalen Brille durch die Siegesburg auf dem Kalkberg laufen. Europaweit einzigartiges Projekt versetzt Besucher in Erstaunen.
1644 war ein Schicksalsjahr für Segeberg: Die Siegesburg auf dem Kalkberg-Gipfel wurde auf Befehl eines schwedischen Generals zerstört. 380 Jahre später ist es möglich, einen Spaziergang durch den Ort zu machen und alles so zu erleben, wie es kurz vor der Zerstörung der Burg aussah. Ein Virtual-Reality-Projekt, das europaweit einzigartig sein soll, macht es möglich. Jetzt gibt es eine spektakuläre Erweiterung und Verbesserung der Zeitreise
Der Kalkberg ist seit Jahrhunderten der Mittelpunkt Bad Segebergs. Heute ist er als einzigartige Naturkulisse Mittelpunkt der alljährlichen Karl-May-Spiele. Im Höhlenlabyrinth überwintern Tausende von Fledermäusen, und wer die Spitze des 91 Meter hohen Berges erklimmt – natürlich über gemauerte Stufen –, kann sich an einem grandiosen Blick über Stadt und Landschaft erfreuen.
Virtuelle Zeitreise: So lebten die Menschen vor 380 Jahre in einer Kleinstadt
In früheren Jahrhunderten hatte der Berg eine andere Bedeutung: 1134 ließ der römisch-deutsche Kaiser Lothar von Supplinburg die Siegesburg errichten, die am Rande des Grenzgebietes zu den slawischen Wagriern als Stützpunkt für die Christianisierung Slawiens dienen sollte. Wie mag es für die Menschen der damaligen Zeit wohl gewesen sein, in einer Kleinstadt angesichts der Burg hoch über ihnen zu leben?
Einen Eindruck können die Menschen von heute bekommen, wenn sie sich eine Virtual-Reality-Brille aufsetzen und in eine 3D-Welt eintauchen. Der Förderverein Kreis- und Stadtmuseum Segeberg, der Freundeskreis Segeberger Bürgerhaus von 1541 und die HafenCity Universität Hamburg haben den virtuellen Rundgang durch das Segeberg im Jahre 1644 möglich gemacht.
Die HafenCity Universität Hamburg ist an dem Projekt beteiligt
Mit Science Fiction oder düsteren PC-Spielen hat das Segeberger Projekt nichts zu tun. Denn hier handelt es sich um ein Projekt, das auf wissenschaftlicher Basis zustande gekommen ist. Grundlage ist ein Buch des Segeberger Historikers Nils Hinrichsen, der einst Leiter des Segeberger Heimatmuseums war: „Segeberg 1644 – Schicksalsjahr einer Stadt“.
Mit Hilfe der VR-Brille ist es also möglich, in der beginnenden Neuzeit durch die Straßen der Stadt zu wandeln und dabei zu erleben, wie die Häuser damals ausgesehen haben. Und festzustellen, dass die Burg hoch oben auf dem Kalkberg allgegenwärtig war. Es ist eine architektonische Reise über 3,5 Quadratkilometer durch eine Kleinstadt, die damals schon einige Tausend Einwohner hatte und als Zentrum für die Orte in der Umgebung galt. Menschen allerdings sind während des virtuellen Rundgangs nicht zu sehen.
Vom Turm der Siegesburg auf die Stadt und in die Landschaft blicken
Bereits vor sieben Jahren wurde eine einfachere Vision des digitalen Spaziergangs durch Segeberg im 17. Jahrhundert vorgestellt. Das Interesse war damals bereits groß. Nach einer „schöpferischen Pause“ von einigen Jahren gibt es jetzt einen erweiterten und verfeinerten virtuellen Rundgang durch die Stadt.
„Wir haben vor allem die Siegesburg zugänglicher gemacht“, sagt Asmus J. Hintz, Vorsitzender des Fördervereins Kreis- und Stadtmuseum Segeberg. So können die „Besucher“ der mittelalterlichen Burg direkt in die Burg hineinspazieren, auf den Turm steigen und von dort auf die Stadt und das weite Umland blicken. „Wir haben auch die Texturen verbessert“, sagt der Vereinsvorsitzende. „Die Gebäude und Straßen sehen jetzt noch echter aus.“
Später soll ein Fischermädchen durch das alte Segeberg führen
Was jetzt vorgestellt wird, ist noch längst nicht der End- und Höhepunkt des virtuellen Spaziergangs durch das Segeberg im 17. Jahrhundert. Später sollen Avatare als Reiseführer fungieren: So wird zum Beispiel ein Fischermädchen durch das Modell führen, alle Sehenswürdigkeiten erklären und die jeweiligen VR-Brillenträger mit Persönlichkeiten von damals bekannt machen.
Daran wird gearbeitet, aber noch ist die Finanzierung nicht geklärt. Asmus J. Hintz: „130.000 Euro sind nötig, Zusagen über 80.000 Euro haben wird bereits, der Rest muss noch aufgetrieben werden.“ Die Touristenführerin soll ihre Auskünfte später in vier Sprachen geben können: Hochdeutsch, Plattdeutsch, Englisch und Dänisch.
20 Minuten auf den Spuren der Menschen aus dem 17. Jahrhundert
Die virtuelle Führung durch die Stadt von eins dauert etwa 20 Minuten und kann kostenlos genossen werden. An jedem ersten Sonntag im Monat von 11 bis 14 Uhr in der Stadtbücherei WortOrt, Oldesloer Straße 20, oder nach Absprache im Museum Segeberger Bürgerhaus, Lübecker Straße 15. Anmeldungen sind über die Internetseite Segeberg 1644 möglich. Die Teilnahme ist kostenlos. Gesucht werden weitere ehrenamtliche Mitarbeiter, um noch mehr Termine anbieten zu können.
Jeweils sechs Personen können an einem Rundgang durch das mittelalterliche Segeberg teilnehmen, aber jeweils nur eine Person kann sich eine Brille aufsetzen. Die anderen verfolgen das Geschehen auf einer Leinwand im Hintergrund. Wer sich die Brille aufsetzt, nimmt auf einem Drehstuhl Platz und bewegt sich per Mausklick durch die Stadt. Verlaufen kann sich übrigens niemand: Im Raum sind immer fachkundige Vereinsmitglieder, die genau erklären, wo es lang geht und was jeweils gerade gesehen wird.
Noch kein Domizil für das Stadt- und Kreismuseum in Aussicht
Ein anderes Projekt, das dem Förderverein seinen Namen verdankt, liegt derzeit auf Eis: Ob und wann ein Stadt- und Kreismuseum eingerichtet werden kann, ist ungewiss. Denn alle bisher angedachten Standorte konnten nicht realisiert werden.
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Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude des ehemaligen Höhlenkruges aus dem Jahre 1789 an der Lübecker Straße schien geeignet, aber der damalige Eigentümer lehnte die angedachte Nutzung des seit 35 Jahren leer stehenden Gebäudes ab.
Der verfallene Höhlenkrug wurde an einen Segeberger Investor verkauft
„Obwohl wir ein Gutachten der Fachhochschule Lübeck vorlegen konnten, durften wir unser Projekt dort nicht realisieren“, sagt Asmus J. Hintz, Vorsitzender des Fördervereins. Das verfallene Höhlenkrug-Gebäude ist mittlerweile an einen Investor aus Bad Segeberg verkauft. Was mit dem Gebäude geschehen soll, ist bisher nicht bekannt. Wie berichtet, hatte zwischenzeitlich auch das Immobilienunternehmen von Falko und seinem Sohn Jann-Fiete Arp, dem Profi-Fußballer von Holstein Kiel, Interesse bekundet, dort Seniorenwohnungen einzurichten. Der Denkmalschutz legte ein Veto ein.
Es war auch das Amt für Denkmalschutz, das eine Nutzung des jetzigen Landratsgebäudes an der Hamburger Straße als Museum verhinderte – wobei fraglich ist, ob die Kreispolitiker einem Umzug des Landrats in die Kreisverwaltung auf der gegenüberliegenden Straßenseite zugestimmt hätten. Auch ein Anbau an die Remise neben dem Landratsgebäude wurde aus Gründen des Denkmalschutzes nicht genehmigt.
Warum Bad Segeberg Rantzau-Stadt werden sollte
„Es steht also kein Museumsgebäude in Aussicht“, sagt Asmus J. Hintz mit Bedauern. „Wir werden weiter versuchen, die Politik und andere Verantwortliche von der Notwendigkeit eines solchen Museums zu überzeugen.“
Nebenbei engagieren sich die Vereinsmitglieder für ein anderes Projekt: Am 11. März 2026 wird der 500. Geburtstag von Heinrich Rantzau gefeiert. Der war von 1556 bis 1598 Statthalter des dänischen Königs für die königlichen Anteile am Herzogtum Schleswig und am Herzogtum Holstein sowie Segeberger Amtmann. Die Idee des Vereins: Bad Segeberg soll offizielle Rantzau-Stadt werden. „Er war prägend für das ganze Land“, sagt Asmus J. Hintz.