Bad Segeberg. In der Heimat der Karl-May-Spiele überwintern in Bad Segeberg rund 30.000 Flugsäuger. Und die fühlen sich offenbar sehr wohl.
Die allerwenigsten Menschen werden dieses Tier überhaupt schon einmal live gesehen haben. Und daher ist es umso erstaunlicher, was nun in der Kalkberghöhle in Bad Segeberg, also im Inneren des Hausbergs der Karl-May-Spiele, entdeckt worden ist. Denn das Große Mausohr ist offenbar endgültig wieder zurück in der Heimat von Winnetou. 15 der Flugsäuger wurden einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen Fledermausarten gezählt, sie alle überwintern wie insgesamt rund 30.000 weitere dieser außergewöhnlichen Tiere im Kalkberg.
Das ist biologisch gesehen eine dicke Überraschung. Wie in jedem Jahr waren die Fledermaus-Experten der Faunistisch-Ökologischen Arbeitsgemeinschaft (FÖAG), der Naturschutzbund Schleswig-Holstein, weitere Fachleute und Mitarbeitende des Fledermauszentrums Noctalis in die Kalkberghöhle gestiegen, um Erkenntnisse zu sammeln, wie viele Fledermäuse und welche Arten hier die kalte Jahreszeit verbringen.
Bad Segeberg: Der Kalkberg ist ein bedeutender Rückzugsort für Fledermäuse
Die exakten Bestandszahlen werden zwar über Lichtschranken erfasst. Vor Ort wird allerdings der Zustand der Fledermäuse begutachtet, und auch die Zusammensetzung der Arten. Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass sieben ihr Winterquartier im Kalkberg haben. Die weitaus meisten (jeweils über 10.000) sind Wasser- und Fransenfledermäuse. Weniger häufig sind Bechstein-, Teich-, Bart- und Mausohrfledermaus. Doch das Große Mausohr ist noch einmal eine eigene Kategorie.
Diese Fledermäuse sind acht Zentimeter lang, haben eine Flügelspannweite von 40 Zentimetern, das macht sie zur größten Art in Deutschland. Sie ernähren sich wie alle heimischen Arten von Insekten, und daher hält sie mangels Nahrungsangebot Winterschlaf. Schleswig-Holstein ist die nördliche Verbreitungsgrenze. Und: Früher waren die Großen Mausohren durchaus in höherer Anzahl in Bad Segeberg. Nachweise gibt es etwa aus den 1930er-Jahren. „Die Zoologin Erna Mohr erforschte damals die Fledermausfauna der Segeberger Kalkberghöhle und konnte noch eine Vielzahl von winterschlafenden Großen Mausohren feststellen. Lange Zeit galt die Segeberger Kalkberghöhle damit als das größte Winterquartier dieser Fledermausart im Norden Deutschlands“, so der Nabu.
1960er-Jahre: Tourismus führt zu „katastrophalem Rückgang“ des Großen Mausohres
1962 wurde allerdings bereits ein „katastrophaler Rückgang“ des Bestandes deutlich. Der Schwund wurde auf den damals noch ganzjährig stattfindenden Höhlentourismus zurückgeführt. Die stets freihängenden Großen Mausohren litten mutmaßlich stark unter dem Andrang und der künstlichen Beleuchtung. 1968 waren sie dann vollständig verschwunden. Und es dauerte bis ins Jahr 2005, ehe erstmals wieder ein Exemplar in der Entdeckungshalle der Kalkberghöhle gesehen wurde.
Was nun entdeckt wurde, macht Hoffnung. „Seit einigen Jahren beobachten wir wieder regelmäßig Mausohren in der Segeberger Kalkberghöhle, und der jetzige Fund macht uns Hoffnung, dass sich die jahrzehntelangen Schutzbemühungen am Kalkberg nun auch im dauerhaften Bestand positiv bemerkbar machen“, sagt Matthias Göttsche, bei der FÖAG Leiter des Fledermaus-Monitorings in Schleswig-Holstein.
Karl-May-Spiele und Konzertveranstalter nehmen Rücksicht
Er nennt mehrere Gründe für die Entwicklung. „Als sehr wichtig hat sich die Trennung von Naturschutzfläche und Theaterbereich erwiesen. Die umgesetzten Maßnahmen machen sich nachweislich positiv bemerkbar, und es gibt noch Potenzial zur weiteren Verbesserung.“ Höhlenführung gibt es im Winter keine mehr, die Beleuchtung sei optimiert worden, große Refugien würden nicht touristisch genutzt, hier seien die Fledermäuse ganzjährig ungestört. Auch der Betrieb in der Arena, also die Karl-May-Spiele und die Konzerte, nimmt Rücksicht. Hier würden Lichtemissionen möglichst vermieden, und die Spielzeiten wurden angepasst.
Was der Fund für die Wissenschaft bedeutet? Stefan Lüders ist Fledermaus-Referent beim Nabu. Er sagt: „Für eine Wiedererstarkung des Bestandes in der Segeberger Kalkberghöhle ist es sehr wichtig, dass die Kenntnis über dieses Quartier bei den Mausohren nicht abreißt. Mausohren können bis zu 20 Jahre alt werden und wandern über viele Hundert Kilometer zwischen ihren Sommer- und Winterquartieren hin und her. Durch den stetigen Kontakt zu einem Quartier bilden sich Nutzungstraditionen aus, die von Tier zu Tier und an die nächste Generation weitergereicht werden.“
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Der Nabu strebt einen noch umfassenderen Schutz der Fledermäuse an. Das betrifft die Sicherung der dunklen, naturnahen An- und Abwanderungsrouten rund um dem Kalkberg, heißt es. „Wir bringen uns in dieser Sache aktiv und konstruktiv auf allen demokratischen Ebenen ein“, so Lüders, „sei es bei der planerischen Entwicklung der Stadt Bad Segeberg oder bei Infrastrukturprojekten wie dem geplanten Weiterbau der A20. Hier geht es darum sicherzustellen, dass die Fledermausarten des Segeberger Kalkberges zukünftig eine Autobahn sicher überwinden könnten.“
Schleswig-Holstein: Seit über 30 Jahren kein Fortpflanzungsnachweis der seltenen Art mehr
Dann könnte das Große Mausohr vielleicht wieder komplett heimisch werden in der Region. Denn Sommerkolonien, in den Jungtiere geboren werden, gibt es in Schleswig-Holstein keine, der letzte Fortpflanzungsnachweis aus der Region um Mölln liegt über 30 Jahre zurück.
In Erinnerung bleiben wird die Entdeckung der Großen Mausohren insbesondere den jungen Menschen, die bei Noctalis ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr absolvieren. Stefan Lüders: „Wir brauchen junge engagierte Personen, die sich zukünftig für den Natur- und Artenschutz einsetzen und mit ihrer guten Energie und solidem Faktenwissen andere Menschen für die Natur positiv einnehmen und begeistern können.“