Bad Segeberg. Was der Berg für die Entwicklung der Stadt bedeutete. Und warum der jetzt 91 Meter hohe Kalkberg kräftig geschrumpft ist.
Der Segeberger Kalkberg mag aus der Sicht eines Schweizers oder Österreichers eher ein Hügel sein. Aber aus norddeutscher Sicht ist der Felsen, der heute die Heimat Winnetous ist, schon ein kapitales Stück. Viel Höheres hat Schleswig-Holstein nicht zu bieten – und schon gar keinen Berg, der für die Stadt, in der er steht und für die ganze Region eine derart herausragende Bedeutung hat.
Vor genau 101 Jahren retteten die damaligen Stadtpolitiker den Berg praktisch vor dem Untergang: Sie beschlossen, ihn für schlappe 50.000 Mark zu kaufen, um daraus später ein Naturdenkmal und eine touristische Zugnummer zu machen, dessen Stellenwert damals noch gar nicht richtig eingeschätzt werden konnte.
Karl-May-Spiele: Die Geschichte von Winnetous Wohnzimmer
Am 12. März 1922, vor 100 Jahren also, ging der Berg dann in den Besitz der Stadt Segeberg – damals noch kein Bad – über. Heute weiß ganz Deutschland: Hier ist Winnetous Wohnzimmer.
Eigentlich war der Kalkberg nichts anderes als eine Geldquelle für den preußischen Staat: Jahr für Jahr wurden mit dem Gipsabbau nicht unbeträchtliche Gewinne eingestrichen. Das hatte zur Folge, dass der Berg auch Jahr für Jahr schrumpfte. Im Laufe der Jahrhunderte büßte er etwa neun Zehntel seiner ursprünglichen Masse ein.
Früher war der Kalkberg völlig kahl
Wie wichtig der Kalkberg eines Tages für Segeberg sein würde, ahnte damals noch niemand. Aber einige Bürger der Stadt fanden schon, dass aus ihm mehr gemacht werden könnte. Bereits im Jahre 1884, mit Beginn des Segeberger Kurbetriebes, bemühte sich der Segeberger Verschönerungsverein um den Erhalt des ursprünglich kahlen Rest-Kalkberges, den er mit Bäumen bepflanzte, mit Wegen und Bänken ausstattete und auf dem Gipfel mit einem Fernrohr bestückte.
Der Charakter des Kalkfelsens wurde dadurch nachhaltig verändert. Naturschützer stimmt das zumindest nachdenklich, für die seit 1952 dort laufenden Karl-May-Spiele jedoch ist das ein Vorteil: Die angegrünte Kulisse ist sicher prächtiger als ein nackter Kalkfelsen.
Der Berg wurde zum Ausflugsziel, aber Gipsabbau ging weiter
Obwohl der Berg allmählich zu einem Ausflugsziel wurde, ging der Gipsabbau munter weiter. Der preußische Bergfiskus, vertreten durch das Preußische Oberbergamt in Clausthal hielt die Geldquelle am Leben.
Nachdem ein paar Segeberger Jungen 1913 per Zufall das Höhlensystem inner- und unterhalb des Berges entdeckten hatten, läuteten bei den Stadtpolitikern die Glocken: Daraus könnte Kapital geschlagen werden – ein weit verzweigtes Höhlensystem könnte viele Besucher anlocken und Geld in die Stadtkasse spülen.
Die Stadt pachtete die Höhlen für 300 Mark im Jahr und öffnete sie für Besucher
So war es denn auch: Die Stadt pachtete die Höhlen für 300 Mark im Jahr und ließ die Menschen gegen Eintritt hinein. Der angedachte Ankauf des ganzen Berges kam wegen des beginnenden Weltkrieges zunächst nicht zustande. Die Verhandlungen mussten abgebrochen werden.
Aber immerhin war damit eine Geldquelle erschlossen worden: Schon wenige Jahre später pilgerten pro Jahr bis zu 100.000 Menschen nach Bad Segeberg, um in die Tiefen der Höhlen hinabzusteigen – aus Neugier, aus Abenteuerlust und aus gesundheitlichen Gründen.
Für 50.000 Mark gab die Stadt für den Kalkberg aus
Die Höhlenluft bringt vor allem Menschen mit Atemwegserkrankungen Erleichterung. Asthma und Keuchhusten werden gelindert. Sie waren ganzjährig geöffnet, weil die dort abhängenden Fledermäuse zunächst noch wenig Beachtung fanden. An einen Fledermausschutz dachte damals noch niemand. 100 Jahre später wurde wegen dieser Tiere sogar ein Autobahn-Baustopp ausgesprochen...
Was später geschah, rekonstruierte der Stadthistoriker Hans-Werner Baurycza, der im Stadtarchiv nach alten Akten suchte und schließlich fündig wurde, obwohl er Vieles unübersichtlich und unsortiert vorfand. Immerhin ist ersichtlich, dass die Stadt nicht nur 50.000 Mark für den Erwerb des Berges ausgab, sondern wenig später auch weitere 225.000 Mark für ein Dienstgebäude, elf Hektar Land und den Gipsbruch ohne Inventar.
Segeberg kassierte für den Gipsabbau pro Tonne drei Mark
Um die enormen Ausgaben etwas zu kompensieren – die Stadt musste eine Anleihe mit einer Tilgung von anderthalb Prozent aufnehmen – wurde der Gipsabbau im Steinbruch an ein Unternehmen in Kassel verpachtet. Der Kaufmann Dörnfeldt musste sich allerdings verpflichten, den Abbau so zu betreiben, dass weder der Kalkberg, noch die darunter liegenden Höhlen beschädigt werden.
Die abgebauten Gipssteine musste er in Büchern dokumentieren, die von der Stadt jederzeit eingesehen werden könnten. Denn Segeberg profitierte auch vom Abbau: Für jede Tonne geförderte Gipssteine musste der Kasseler Unternehmer drei Mark an die Stadtkasse Segeberg zahlen.
Außerdem kassierte die Stadt jährlich 2000 Mark von der Maler- und Einkaufsgenossenschaft Neumünster für die Vermietung eines 40 Quadratmeter großen Lagerraums auf dem Gipsmühlengrundstück.
1930 versiegte die Einnahmequelle, weil der der Gipsabbau beendet wurde
Die Stadt Segeberg, die erst 1924 Bad Segeberg hieß, war übrigens nicht die einzige Interessentin am Kalkberg. Auch die Deutsche Gips-Compagnie AG aus Katzenstein bei Osterode im Harz gab ein Kaufangebot beim Oberbergamt Clausthal ab. Jedoch vergeblich. Die Entscheidung fiel zugunsten Segebergs.
Ob der Erwerb des Kalkbergs für die Stadt tatsächlich ein lohnendes Geschäft war, ließ sich vor 100 Jahren noch nicht absehen. Kurzfristig klingelte es in der Stadtkasse – aber nur bis 1930. Denn acht Jahre nachdem der Berg in den Besitz der Stadt übergegangen war, endete der Gipsabbau. Diese Einnahmequelle also war versiegt. Die Malerinnung zahlte noch bis 1937 Miete für den Lagerraum.
Mit dem Segeberger Gips wurde der Lübecker Dom und die Marienkirche gebaut
Der hier gewonnene Gips hatte in der Region eine enorme Bedeutung. Er wurde unter anderem beim Bau des Lübecker Doms und der Segeberger Marienkirche verwendet. Durch den Gipsabbau ragt der Gipfel heute nur noch 91 Meter, statt ehemals 120 Meter in die Höhe.
Nach Ende des Gipsabbaues wurde es zunächst still um den Berg, Allerdings nur kurze Zeit. Denn schon 1937 reiste Reichtspropagandaminister Joseph Goebbels nach Bad Segeberg, um hier die Nordmark-Feierstätte der Nationalsozialisten zu eröffnen.
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Max Schmeling fungierte am Kalkberg als Ringrichter beim Boxen
Nach dem Krieg wurde das Kalkbergstadtion für verschiedenste Veranstaltungen genutzt. Zum Beispiel für große Boxevents, bei denen auch Max Schmeling auftrat. Nicht als Boxer, weil er wegen seiner angeblichen Nähe zu den Nazis noch Boxverbote hatte. Aber als Ringrichter trat er auf und lockte auf diese Weise die Massen in die Arena.
Seit 1952 gibt es die Karl-May-Spiele am Kalkberg, später kamen die bis heute beliebten Open-Air-Konzerte hinzu. David Bowie, die Beach Boys, Stevie Wonder, Bob Dylan und viele andere internationale Größen traten hier auf. Die Stadt profitiert heute von der Weitsicht der Politiker vor 100 Jahren und kassiert heute mit, wenn Winnetou einreitet oder Peter Maffay singt.
Kalkberg Bad Segeberg: Aussichtsplattform auf Gipfel im staatlichen Besitz
Aber nicht jedes Fleckchen des Kalkberges gehört der Stadt Bad Segeberg. Hans-Werner Baurycza: „Die Aussichtsplattform auf dem Gipfel ist bis heute im staatlichen Besitz geblieben, weil sich dort ein Messpunkt befindet.“ Der Segeberger Heimatforscher freut sich über die Popularität des Berges und der dazugehörenden Arena, aber ist er auch der Ansicht, dass dieses Areal touristisch noch mehr erschlossen werden müsste.
„Natürlich ist der Berg ein Glücksfall für die Stadt, aber in den letzten 10 bis 15 Jahren wurde das Gelände doch etwas vernachlässigt.“ Der Abriss des Bergschlösschens vor sieben Jahren zum Beispiel hat ihn etwas verärgert. Der Platz des früheren Restaurants, dass über Jahrzehnte ein touristisches Ziel war, ist heute verwaist.