Norderstedt. Es tropft von der Decke. Trotzdem erwog die Politik, das Schulzentrum Süd nur zu sanieren, statt neu zu bauen. Schüler sind genervt.
- In den Räumen des Lise-Meitner-Gymnasiums und der Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark, die gemeinsam das Schulzentrum Süd bilden, tropft es von den Decken.
- Seit mehr als zehn Jahren wird über einen Neubau gesprochen.
- Schüler kritisieren, dass Norderstedts Politik erneut diskutiert, anstatt zu handeln.
Tom Marcinkowski kann sich an seinen ersten Tag am Lise-Meitner-Gymnasium in Norderstedt noch gut erinnern. Das war vor einem halben Jahr. Da hatte er die Schule gewechselt. Der 16-Jährige wartete vor dem Klassenraum, blickte an die Decke und entdeckte die vom Wasser aufgeweichten Platten. „Wir reden nicht mehr über den Zustand des Gebäudes“, sagte daraufhin ein neuer Mitschüler zu ihm.
Schnell merkte Marcinkowski, wie genervt die Schüler von der maroden Schule waren. Wenn es mal wieder von der Decke tropfte, der Teppich mal wieder voller Wasser stand. Doch vor allem störte sie eines: Dass seit Jahren über ein neues Schulgebäude geredet wurde – aber nichts passierte.
Auch Jonas Schüttauf kann diese Beobachtungen bestätigen. Der 15-Jährige besucht die Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark, die wie das Gymnasium zum Schulzentrum Süd gehört. „Wir nutzen dieselben Fachräume“, sagt er. Auch in den üblichen Räumen des Schulgebäudes befinden sich Löcher in den Decken und es tropfe herunter.
„Campus Glashütte“: Baukosten um etliche Millionen gestiegen
Seit mehr als einem Jahrzehnt wird in Norderstedt über einen Neubau diskutiert, der das alte Schulzentrum Süd ersetzen soll. Seit 2014 befindet sich das Konzept für den künftigen „Campus Glashütte“ in Entwicklung. Ende 2018 traf die Politik den Grundsatzbeschluss, den Altbau von 1974 abzureißen und eine neue Vorzeigeschule in der Stadt zu bauen. Doch zehn Jahre später steht der alte, gelbe Kasten noch immer.
Die Haushaltslage ist angespannt, die Baukosten sind um etliche Millionen gestiegen und liegen aktuell bei knapp 145 Millionen Euro. Vor diesem Hintergrund sahen sich CDU und SPD in der Verantwortung, die Verwaltung erneut zu beauftragen, der Politik aktualisierte und belastbare Zahlen vorzulegen: Wie viel kostet der Neubau? Wie viel eine Sanierung? Und wäre es nicht doch viel günstiger, den einstigen Beschluss zu kippen und den Altbau aufzupeppen?
Schulzentrum-Süd: KJB kritisiert erneute Diskussion um Neubau
„Als ich von der erneuten Diskussion gehört habe, dachte ich nur: Wie hirnrissig ist das?“, sagt Tom Marcinkowski. Der Schüler der 11. Klasse gehört wie Jonas Schüttauf dem Kinder- und Jugendbeirat (KJB) der Stadt Norderstedt an. Die Mitglieder haben gemeinsam einen Leserbrief an das Abendblatt verfasst und ihren Unmut kundgetan. „Dass jetzt wieder angefangen wird zu diskutieren, darf nicht infrage gestellt werden. Nach über zehn Jahren wird man aber mal sagen dürfen: ,Irgendwann ist es auch genug‘“, schreibt der KJB.
Marcinkowski kann verstehen, dass die Politik sich um den Haushalt sorgt. „Das ist natürlich auch für uns junge Leute wichtig“, sagt er. Aber mit einem Neubau des Schulzentrums Süd würde man aus seiner Sicht keine neuen Schulden machen – vielmehr sei er eine Investition in die Zukunft.
Außerdem hätten moderne Klassenräume etwas Motivierendes für ihn. Marcinkowski hat zuvor die Gemeinschaftsschule Harksheide besucht, die im Jahr 2014 neu gebaut wurde. Weil es dort keine Oberstufe gibt, wechselte er ans Lise-Meitner-Gymnasium, um sein Abitur zu machen. Die Schulgebäude in Norderstedt sind in sehr unterschiedlichen Zuständen, wie er nun festgestellt hat. Im Vergleich zu seiner alten Schule habe sich das Schulzentrum Süd „kaputtgespart“, sagt er.
Wegen Hin und Her: Schwierigkeiten bei Lehrergewinnung
Dieser Meinung ist auch Schulleiter Torben Krüger. „Seit 15 Jahren werden verständlicherweise zur Reparatur nur die günstigsten Materialien verwendet, weil die Schule ja neu gebaut werden soll“, sagt Krüger, der seit eineinhalb Jahren das Lise-Meitner-Gymnasium leitet.
Als er sich für die Position des Schulleiters beworben hat, wusste er natürlich von den Plänen rund um den „Campus Glashütte“. „Mich hat der Neubau ungemein gereizt. Wir können hier wirklich etwas bewirken“, sagt er. Allerdings habe er auch schnell gemerkt, was die bislang unerfüllten Zusagen mit den Menschen, die an der Schule arbeiten und lernen, gemacht haben. „Erst wird den Menschen etwas zugesagt, dann wieder weggenommen beziehungsweise die Zusage immer wieder neu hinterfragt. Das macht etwas mit ihnen. Die Politik muss das Vertrauen zurückgewinnen.“
Manche Parteien seien sich der Bedeutung einer erneuten Neubau-Diskussion nicht bewusst gewesen, meint Krüger. Für ihn sei es schwer, durch das ständige Hin und Her neue und dringend benötigte Lehrkräfte für seine Schule zu gewinnen. In seinem Büro hängen an einer Magnetwand Ausdrucke des geplanten Neubaus. Bei Bewerbungsgesprächen präsentiert er den Anwärtern das künftige Lehrerzimmer. Eine Gewissheit, ob das Schulzentrum Süd wirklich einmal so aussehen wird, hat er allerdings nicht.
Schulleiter: Neubau-Diskussion schadet Ruf der Schule
Auch die Unsicherheit bei den Eltern sei groß, berichtet Krüger. Ein hochmodernes Gebäude als Lernort für ihre Kinder ist für viele Mütter und Väter reizvoll. Bei einer drohenden Sanierung müsste ihr Nachwuchs allerdings jahrelang in Containern unterrichtet werden. Den Neubau mitten in der Anmeldephase der neuen fünften Klassen infrage zu stellen, ist für das Lise-Meitner-Gymnasium ein sehr ungünstiger Zeitpunkt.
„Wir können noch so gute Arbeit leisten – die unklare Sicht nach außen sorgt für Verunsicherung“, sagt Krüger. Der Ruf der Schule leide darunter. „Die Politik trägt eine große Verantwortung. Dieser wird sie mit einer verantwortungsbewussten Haushaltsführung gerecht, und das schätze ich. Sie sollte sich aber auch über die Auswirkungen ihrer Diskussion bewusst sein“, sagt der Schulleiter.
Krüger wünscht sich Planungssicherheit. Das B-Planverfahren für den Neubau sollte möglichst schnell eröffnet und mit den Arbeiten begonnen werden. „Ich freue mich schon auf die erste Baggerfahrt. Ich habe mich schon zum Mitfahren angemeldet“, sagt Krüger, der sich selbst als Optimist bezeichnet.
„Campus Glashütte“ kostet 144,9 Millionen Euro
Aller Voraussicht nach werden die Bagger im vierten Quartal dieses Jahres anrücken und mit dem Bau der neuen Schule beginnen. Nachdem die Stadtverwaltung im Ausschuss für Schule und Sport auf Wunsch von CDU und SPD erneut die Kosten von Neubau und Sanierung gegenübergestellt hat, dürfte sich die Politik endgültig für die Realisierung des bisher teuersten Bauprojektes der Stadtgeschichte entscheiden.
Der Neubau des „Campus Glashütte“ wird die Stadt 144,9 Millionen Euro kosten, 5,4 Millionen Euro sind bereits in die Planung und andere Leistungen geflossen. Zum Vergleich: Eine Sanierung des alten Bestandsgebäudes würde nach Schätzungen der Stadt 120,9 Millionen Euro kosten. Die Mutmaßung der Politik, dass eine Sanierung nur ein Drittel der Kosten eines Neubaus ausmachen könnte, bestätigte sich bei weitem nicht. Unter dem Strich ist sie „nur“ 24 Millionen Euro günstiger.
Sporthalle: Unterschied zwischen Sanierung und Neubau liegt bei 17,8 Millionen
Hinzu kommt: Sollte die Neubauplanung tatsächlich über den Haufen geworfen werden, hätte die Stadt Steuergelder in Höhe von 5,4 Millionen Euro für die Planung umsonst ausgegeben. Des weiteren würde eine Vertragsstrafzahlung von bis zu 4,8 Millionen Euro drohen. Der Unterschied zwischen Neubau und Sanierung liegt nach dieser Rechnung am Ende also bei knapp 15 Millionen Euro.
„Ich bin erleichtert, dass die Auswertung der letzten Sitzung nun eindeutig ist und erneut den Neubau bestätigt“, sagt Torben Krüger.
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Sparpotenzial sieht Ingrid Betzner-Lunding, Fraktionschefin der Grünen, lediglich noch bei der Sporthalle. „Da macht der Unterschied zwischen Sanierung und Neubau immerhin 17,8 Millionen Euro aus. Darüber kann man sicher noch diskutieren“, sagte sie dem Abendblatt. Aber das würde den Beschluss für einen Neubau nicht tangieren.
Schulleiter Torben Krüger hofft, dass die Politik bei ihrem bisherigen Beschluss bleibt, auch die Sporthalle neu zu bauen. „Es geht um mehr als nur Schule“, sagt er. Vereine wie das HT Norderstedt nutzen die Halle schon seit Jahren, um ihre Handballspiele dort auszutragen. Sie würden ebenfalls von einem Neubau profitieren, sagt Krüger. Zudem weist er darauf hin, dass die größere Halle bereits im Sportentwicklungsplan beschlossen sei. „Dieser Beschluss müsste erst mal gekippt werden.“
Den Schülern des KJB ist vor allem eines wichtig: „Wir wollen sehen, dass endlich etwas passiert“, sagen Tom Marcinkowski und Jonas Schüttauf.