Norderstedt. 2000 Stellen von Schulleitern deutschlandweit unbesetzt. Warum Torben Krüger von Hamburg zu einer Norderstedter Schule wechseln wollte.

Im Büro stapeln sich die Umzugskartons. Viel Zeit zum Auspacken hatte Torben Krüger noch nicht. Seit der 43-Jährige am 1. Juni seinen Posten als neuer Schulleiter des Lise-Meitner-Gymnasiums in Norderstedt angetreten hat, gibt es viel zu tun.

Fast zwei Jahre war die Stelle des Schulleiters vakant. Seit dem Weggang von Stephan Damp im September 2020 hatte Sylvia Poppendieck-Kruse die Schule kommissarisch geleitet. „Ich ziehe meinen Hut vor Frau Poppendieck-Kruse, die die Schule so lange kommissarisch geleitet hat“, sagt Torben Krüger.

Schule Norderstedt: Lise-Meitner-Gymnasium hat einen neuen Schulleiter

Die lange Suche nach einem Schulleiter ist kein Einzelfall: Der Allgemeinen Schulleitungsverbandes Deutschlands (asd) schätzt, dass in Deutschland mehr als 2000 Leitungsstellen vakant sind. „Da sich die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren permanent verändert haben, sind Schulleiter heute mehr Manager als Lehrer – ohne jedoch die entsprechende Bezahlung zu bekommen“, sagt Gudrun Wolters-Vogeler, Vorsitzende des asd und selbst Schulleiterin. Schulleiter sei heute kein finanziell attraktiver Job.

In Schleswig-Holstein sind laut Bildungsministerium etwa 25 von insgesamt 758 Schulleitungsstellen unbesetzt.

Unbeliebter Job: 2000 Stellen offene Stellen für Schulleiter

Torben Krüger vor einem Bild von Lise Meitner im Gymnasium in Norderstedt.
Torben Krüger vor einem Bild von Lise Meitner im Gymnasium in Norderstedt. © Miriam Opresnik | Miriam Opresnik

Dass ausgerechnet die Stelle des Schulleiters am Lise-Meitner-Gymnasium fast zwei Jahre vakant war, kann Torben Krüger kaum verstehen. „Das Lise-Meitner-Gymnasium ist eine großartige Schule und meine Wunschschule“, sagt der gebürtige Henstedt-Ulzburger, der seit 15 Jahren in Norderstedt lebt. „Die Schule ist vielfältig aufgestellt und die Leitlinien des nachhaltigen Lernens, der demokratischen Werte und des verantwortungsvollen Umweltschutzes haben mich sofort überzeugt“, so Krüger.

Da der Unterrichtsinhalte überall der gleiche sei, habe er bei seiner Suche nach einer Schule viele Wert auf das Schulkonzept und die Werte des Gymnasiums gelegt. „Mir ist es wichtig, den jungen Menschen mehr als Fachkompetenz mitzugeben. „Ich möchte, dass die Schule selbstbewusste und weltoffene Menschen in die Welt schicken“, sagt Krüger. Als Unesco-Schule decke man dieses Ziel bereits gut ab.

Abi nach 12 Jahren: Plan der Wirtschaft ist gescheitert

Derzeit gibt es etwa 300 Unesco-Schulen in Deutschland, die in ihren Schulprofilen, im Schulalltag und in der pädagogischen Arbeit die Ziele und Werte der UNESCO verankern. Sie setzen sich damit für Frieden, Weltoffenheit und nachhaltige Entwicklung ein.

Nachdem Krüger mehrere Jahre stellvertretender Schulleiter einer Stadtteilschule in Niendorf war und lange in Hamburg unterrichtete, hat er sich bewusst für einen Wechsel nach Schleswig-Holstein und das dortige G9-Konzept entschieden – also des Abiturs nach 13 Jahren und nicht nach 12 Jahren wie in Hamburg.

Schulleiter: G8 nimmt Jugendlichen wichtige Zeit der Findung

Die fachlichen Inhalte kann man Jugendlichen auch in acht Jahren am Gymnasium vermitteln - die Reife nicht“, sagt Krüger. Der Plan der Wirtschaft, Jugendliche schneller ihr Abitur machen zu lassen, damit sie dem Arbeitsmarkt früher zur Verfügung stehen, sei für ihn nicht aufgegangen. „Den Jugendlichen wird eine wichtige Zeit der Findung genommen“, sagt er. Das würden auch viele Abiturientinnen und Abiturienten so empfinden.

Die Folge: „Viele wollen oder können sich nach dem Abitur noch nicht auf einen Berufsweg festlegen und machen erstmal ein Jahr lang Work-and-Travel oder Jobben, um sich in dieser Zeit zu orientieren“, sagt Krüger und vergleicht die Situation heute mit seiner eigenen vor 23 Jahren. „Wir mussten damals Wehr- oder Zivildienst machen und waren daher bei der Berufswahl bis zu zwei Jahre älter als Jugendliche heute“, sagt Krüger.

Norderstedt: Neuer Schulleiter will Jugendlichen mehr mitgeben als nur Fachwissen

Er selbst hat in Kiel Englisch und Sport studiert. „In meiner Schulzeit hatte ich großartige Vorbilder und wusste bereits in der Oberstufe, dass ich Lehrer werden möchte, um mit den Kindern und Jugendlichen zu arbeiten und stets ein offenes Ohr zu haben.“ Es motiviere ihn jeden Tag aufs Neue zu erleben, welchen unmittelbaren, positiven Einfluss man in dem Beruf haben kann.

Um so wichtiger ist es, die Schüler noch mehr für das Thema Umweltschutz zu sensibilisieren. „Wenn wir Jugendlichen nicht dazu bekommen, sich für den Klimaschutz zu engagieren und ihnen Handlungsspielräume anbieten, wenn sie kreative Ideen haben - dann ist irgendwann alles andere unwichtig, weil wir keinen Planeten mehr haben“, sagt Krüger deutlich.

Sylvia Poppendieck-Kruse, hat das Lise-Meitner-Gymnasium fast zwei Jahre lang kommissarisch geleitet.
Sylvia Poppendieck-Kruse, hat das Lise-Meitner-Gymnasium fast zwei Jahre lang kommissarisch geleitet. © FUNKE Foto Services | Claas Greite

Niedrigschwellige Angebot für Schüler, die eigene Ideen einbringen wollen

Das Lise-Meitner-Gymnasium sei auch in diesem Punkt bereits gut aufgestellt. „Daher muss ich hier gar nichts umkrempeln, um meine Ideen zu verwirklichen“, so der neue Schulleiter, der im kommenden Schuljahr mit Kollegen, Eltern und Schülern Ideen für die Schulentwicklung sammeln und weiterentwickeln möchte. Er möchte der Schule nicht seine Visionen aufdrücken, sondern gemeinsam mit allen Beteiligten das bestehende Konzept erweitern.

Damit sich auch die Schüler unkompliziert einbringen können, kann sich Krüger eine Art digitale Pinnwand vorstellen, auf der die Jugendlichen, Eltern und Lehrkräfte ihre Ideen posten und Interessierte finden können. Auch in den Klassenlehrerstunden kann darüber gesprochen werden, wofür das LMG steht und wie jeder sich in das Schulleben einbringen kann.

Norderstedt: LMG wird keine Musikschule und kein Olympiastützpunkt

„Ich gehe nicht davon aus, dass wir uns grundlegend verändern, sondern auf unsere Stärken und Alleinstellungsmerkmale setzen und uns in der Schulentwicklung hier klar und transparent positionieren,“ sagt Krüger. Die weiteren Bereiche des Schullebens, wie der Sport oder die Künste, seien wichtige Bestandteile des LMG. Eine grundlegende Neuausrichtung, beispielsweise zu einem Musikschwerpunkt oder einem Olympiastützpunkt, halte er jedoch für unwahrscheinlich.

Sein größtes Ziel ist es, die Schule so aufzustellen, dass die Jugendlichen stolz auf ihr Gymnasium seien. Dass sie sich bewusst für das LMG entscheiden und nicht nur aufgrund der Lage zu ihrem Wohnort.

Die Kooperation mit der Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark liegt ihm hierbei ebenfalls am Herzen. „Wir sind ein Schulzentrum und nicht nur ein Gymnasium“, sagt Krüger. Er wolle sich für die Zusammenarbeit mit der Gemeinschaftsschule einsetzen, Gemeinsamkeiten finden und Kooperationen ermöglichen.

Er weiß, dass genau das ein Punkt ist, der bei vielen Eltern zu Bedenken führt. Nicht alle können sich mit dem Konzept eines Schulzentrums identifizieren und bevorzugen eine eigenständige Schule.

Schulzentrum Süd setzt auf Diversität: Schüler sollen voneinander lernen

„Wir verstehen die Vielfalt und Diversität unserer Schülerschaft als Vorteil. Wenn wir die Wege des guten Miteinanders beider Schulen im Alltag optimieren, können alle voneinander lernen und gegenseitig voneinander profitieren.“

Außerdem möchte er noch einen Punkt klarstellen: „Wir haben zwar nicht die meisten Anmeldungen von Fünftklässlern. Das bedeutet aber nicht dass wir unbeliebter als andere Schulen sind.“ Meistens spiele einfach das Einzugsgebiet eine große Rolle, wie viele Anmeldungen eine Schule habe.

Pilotprojekt: Im nächsten Schuljahr gibt es am LMG in Norderstedt vier Profile

Da es in Norderstedt Mitte und Garstedt die höchste Bevölkerungsdichte gebe, seien die Anmeldezahlen dort dementsprechend hoch. In Glashütte und Friedrichsgabe hingegen lebten vergleichsweise weniger Menschen - und dementsprechen geringer seien die Schülerzahlen an den dortigen Schulen wie dem LMG. „Die meisten entscheiden sich aufgrund der Wohnortnähe für eine Schule“, so die Erfahrung.

Um jedoch zu verhindern, dass Schüler des Lise-Meitner-Gymnasiums die Schule verlassen, weil sie dort im Hinblick auf das Abitur nicht die passenden Kurse finden, soll das Angebot an Oberstufen-Profilen bereits ab Sommer aufgestockt werden. Dann wird es statt den bisherigen drei Profilen vier geben. Ein MINT-Profil mit dem Profilfach Physik, Ein Mint-Profil mit dem Profilfach Biologie, ein sprachliches Profil mit dem Profilfach Englisch und ein gesellschaftswissenschaftliches Profil mit dem Profilfach Geschichte.

„Als kleine Schule können wir zwar nicht so viele Profile anbieten wie beispielsweise eine sechszügige Schule - aber wir wollen alles tun, damit die Schüler bei uns ein für sie passendes Profil finden“, so der Anspruch von Torben Krüger.

Schule Norderstedt: Lise-Meitner-Gymnasium wird maximal Vierzügig

An der Größe der Schule werde sich auch nach dem Neubau nichts ändern. „Das Lise-Meitner-Gymnasium ist auf vier Züge ausgelegt“, sagt Krüger, der sich für die nächsten Wochen vor allem eins vorgenommen hat: geduldig zu sein. „Schulentwicklung braucht Zeit. Aber ich freue mich auf den Weg, der vor uns liegt.“