Bad Segeberg. Carsten Baumgärtner spielte als 14-Jähriger die Hauptrolle in einer Kinderinszenierung. Warum ihn das für sein Leben geprägt hat.
Wenn Carsten Baumgärtner nach Bad Segeberg reist, um sich eine Karl-May-Aufführung anzusehen, schwelgt er in Erinnerungen. Heute ist er Schrotthändler in Melle, aber 1980 war er der Held am Kalkberg: Für eine Kinder-Inszenierung verwandelte sich der damals 14 Jahre alte Junge aus Todesfelde eine Saison lang in den edlen Apachenhäuptling Winnetou. „Das war eine prägende Zeit für mich“, sagt Carsten Baumgärtner heute im Abstand von vier Jahrzehnten.
Offiziell sind in den Analen der Segeberger Karl-May-Spiele 14 Winnetou-Darsteller gelistet. Tatsächlich aber waren es 16: 1978 und 1979 spielte die heutige Oberärztin am Husumer Krankenhaus, Dr. Linda Flynn, den Apachenhäuptling. Damals hieß sie Linda Lim. 1980 betrat Carsten Baumgärtner die Bühne: In der Kinderinszenierung „Der Ölprinz“ in der Kalkberg-Arena war er der Held.
Karl-May-Spiele: Held von damals – wie aus Winnetou ein Schrotthändler wurde
1978, 1979 und 1980 wollten die damaligen Segeberger Stadtpolitiker so viele Zuschauer wie möglich anlocken – die Idee der Kinder-Inszenierungen wurde im Rathaus geboren, Intendant Harry Walther setzte sie um. Und zwar sehr erfolgreich: Das Ergebnis konnte sich sehen lassen, die Zuschauerränge waren oft voll besetzt. Nach drei Sommern allerdings wurde das Experiment beendet – was nicht zuletzt an einem Intendantenwechsel lag.
Jeweils rund 200 Kinder gingen hart zur Sache: Das waren keine Kindergartenspiele, es ging tatsächlich dramatisch zu am Segeberger Kalkberg. Wobei die oftmals brutalen Kämpfe der Erwachsenen stark abgemildert wurden. Kinder blieben Kinder, aus edlen Reitpferden wurden Ponys. Aber es funktionierte.
Carsten Baumgärtner ritt ohne Sattel und hatte stets Angst, kopfüber vom Pony zu fallen
Carsten Baumgärtner hatte schon 1979 bei den Kinder-Karl-May-Spielen mitgewirkt. Er agierte damals als Statist, war in einer Doppelrolle, aber auch als ein Indianerhäuptling zu sehen. 1980 dann der große Auftritt: Der Junge aus Todesfelde wurde als Winnetou besetzt. Warum? Carsten Baumgärtner kann es nur vermuten: „Meine Mutter saß im Vorzimmer des Kreisbaudirektors.“ Auch seine drei Geschwister durften kleinere Rollen übernehmen.
Es war offenbar aufregend. Vor allem erinnert sich Carsten Baumgärtner an die Ponyritte ohne Sattel, auf die er sich mit einem eigenen Pony gut vorbereitet hatte. In der Kalkberg-Arena aber ging es richtig zur Sache: „Ohne Sattel den Hang hinunterreiten, das war schon sehr gefährlich. Das Ding war wirklich steil.“ Er habe stets Angst gehabt, vor dem Pony auf dem Boden zu landen. „Ich hatte die Zügel und das Gewehr in der Hand, da musste ich mich ziemlich konzentrieren.“
In einem Buch wird über Carsten Baugärtners Erlebnisse als Winnetou berichtet
Aufgeregt sei er gewesen, damals. So aufgeregt, dass er die Zuschauer kaum registriert habe. „Ich weiß nicht mehr, wie voll es damals war, weil ich mich immer um mich selbst kümmern musste.“ In seiner Erinnerung waren die Aufführungen am Kalkberg, das ganze Drumherum, das Bootcamp in Hartenholm und das Lampenfieber schöne und prägende Erlebnisse. Einen Abstecher machte das Ensemble dann noch zum damaligen Abendblatt-Zelt am Doormannsweg in Hamburg.
Die Autoren Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke haben dem jugendlichen Winnetou-Darsteller von einst in ihrem Buch „„Am Fuße des Kalkbergs“ ein kleines Denkmal gesetzt und über seine damaligen Erlebnisse berichtet. Die erweiterte und aktualisierte Neuauflage des Buches ist in diesem Jahr im Verlag Reinhard Marheinecke erschienen.
Das ganze Leben war für den Winnetou-Darsteller ein großes Abenteuer
Noch einmal hat das Theater im Leben von Carsten Baumgärtner eine Rolle gespielt: Als junger Mann war er nach einem dreijährigen Spanien-Aufenthalt für eine Saison am Theater Lüneburg als Requisiteur und Gehilfe tätig. Allerdings ohne große Leidenschaft. Es war mehr eine Art Gefälligkeit für seine Schwester, die dort als Schauspielerin engagiert war.
Überhaupt war sein Leben ein kleines Abenteuer: Bundeswehr, Fahnenflucht, Jobs auf diversen Schiffen und schließlich 1997 der Sprung in die Selbstständigkeit mit der Gründung des Unternehmens Schrott & Metalle Baumgärtner in Melle. Es existiert heute noch und sichert Carsten Baumgärtner und seiner Familie ein sorgloses Leben.
Während seiner regelmäßigen Besuche bei Verwandten in Colorado, Utah, Arizona und Nevada lernte er Angehörige verschiedener indigener Völker in den USA kennen. Im vergangenen Jahr verbrachte er einige Zeit auf einer Performance-Ranch in Colorado und stelle dabei fest, wie sattelfest er auch heute noch ist. „Reiten ist wie Fahrradfahren“, sagt Carsten Baumgärtner. „Man verlernt es nicht.“
Die Karl-May-Spiele gehören nach wie vor zu seinem Leben. Allerdings besucht er eher die Aufführungen im sauerländischen Elspe, weil er dorthin nicht so weit fahren muss. Dort war er mit seinen Eltern bereits in der Zeit, als Pierre Brice auf dieser Bühne noch als Winnetou aktiv war. Gelegentlich aber zieht es ihn auch in seine alte Heimat, um sich die Aufführungen in Bad Segeberg anzusehen.
Carsten Baumgärtner lobt die aktuelle Inszenierung, übt aber auch Kritik
So auch am vergangenen Sonntag, einen Tag nach der Premiere. Sein Fazit: „Eine gelungene Inszenierung.“ Einige Anmerkungen muss er aber trotzdem loswerden. Die Bühne ist seiner Ansicht nach zu klein geraten. „Da wurde einfach zu viel draufgestellt und -gebaut.“ In Elspe sei die Bühne wesentlich großzügiger und weitläufiger.
Auch an seinem „Nachfolger“ hat er etwas auszusetzen: Alexander Klaws sei als Winnetou-Darsteller zu jung. Winnetou sei für ihn stets ein erfahrener und weiser Mann gewesen – auch wenn es in „Winnetou I - Blutsbrüder“ mehr um eine Vorgeschichte und das Kennenlernen von ihm und Old Shatterhand gehe.
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Aufgefallen sei ihm auch die blasse Haut der Indianer. „Wir hatten damals Probleme, die rote Farbe nach den Vorstellungen wieder vom Gesicht zu bekommen“, erinnert sich Carsten Baumgärtner. „Aber das ist wohl eine Folge der Diskussionen um kulturelle Aneignung und Red Facing.“
Karl-May-Spiele: Als Winnetou auf einem Pony die Hänge herunterkam
Damit liegt Schrotthändler Baumgärtner nicht ganz richtig. „Wir schminken keine Hautfarben“, sagt Karl-May-Autor und -Mediensprecher Michael Stamp. „So wie jetzt geschminkt wird, geschieht es schon seit Jahrzehnten.“ Die Statisten bekämen ein Grund-Make-up, weil sie häufig ihre Identität wechseln müssten – vom Siedler oder Cowboy in einem Bild zum Indianer im anderen.
Die Hauptdarsteller bekämen alle ein Bühnen-Make-up. „Wenn jemand eine dunklere Gesichtsfarbe hat als andere, liegt das an der Sonnenbräune“, sagt Michael Stamp, der auch darauf hinweist, dass die Native Americans keineswegs eine rote Haut hatten. Der Begriff „Rothaut“ sei von der Kriegsbemalung abgeleitet worden.