Henstedt-Ulzburg. Viele Bürger kommen zur Einwohnerversammlung in Henstedt-Ulzburg. Es gibt neue Infos und teils starke Kritik an Großprojekten.

Wer die Bürgerinnen und Bürger zum offenen Austausch einlädt, bekommt nicht nur positive Worte zu hören. Das ist eine der Erkenntnisse einer durchaus bemerkenswerten Einwohnerversammlung auf dem Rhen, dem südlichsten Ortsteil von Henstedt-Ulzburg. Allein schon die Resonanz war ein Zeichen, dass die Menschen großen Gesprächsbedarf haben. 262 Menschen waren dabei in der Aula der Gemeinschaftsschule, das kann so genau gesagt werden, da es am Eingang für alle Besucherinnen und Besucher Abstimmungskarten gab.

Sie diskutieren drei Stunden intensiv und teilweise auch sehr kritisch mit ihrer Gemeindeverwaltung, die zu wichtigen Großprojekten informiert. Nicht alles verläuft harmonisch. „Angst“ und „Schandfleck“, diese Worte wählen Anwohner, als es um die geplante neue Unterkunft für Flüchtlinge geht. Bürgermeisterin Ulrike Schmidt antwortet diesen Aussagen entschlossen. Aber auch die potenziellen neuen Wohngebiete – Schäferkampsweg, Wagenhuber-Gelände, Wittmoor – stoßen nicht unbedingt auf uneingeschränkte Zustimmung. Genauso umstritten: das künftige Tempo 50 auf der Wilstedter Straße.

Einwohnerversammlung Henstedt-Ulzburg: Hitzige Diskussionen über Flüchtlinge und Wohngebiete auf dem Rhen

Zur Begrüßung zeigt sich Bürgervorsteher Henry Danielski zunächst aber „überwältigt“ von der vollen Aula. Und gibt die Spielregeln vor: Pro Thema 20 Minuten, „und die Redezeit sollte drei Minuten nicht überschreiten, damit möglichst viele zu Wort kommen“. Per Mehrheitsvotum – dafür sind die Karten gedacht – kann die Tagesordnung verändert werden. Und das geschieht sofort. Die „Ostküstenleitung“ wird gestrichen – kein Thema für den Rhen, sagen die meisten. Stimmt ja irgendwie auch, die Trasse verläuft durch einen anderen Bereich der Gemeinde. „Ich möchte Informationen zu dem geplanten Flüchtlingsheim haben“, fordert ein Mann, meint damit die Pläne für einen Neubau auf dem Grundstück Norderstedter Straße 4. Da heben fast alle die Karte, das war fast schon erwartet worden.

Bürgermeisterin Ulrike Schmidt hat fast alle Spitzen ihrer Verwaltung dabei. Sie leitet ein: „Es gibt einige Entwicklungen hier, es fehlt an bezahlbarem Wohnraum, die Gemeinde ist infrastrukturell nicht überall mitgewachsen, wir haben sehr große Spannungsfelder, unterschiedliche Bedarfe, die miteinander in Konkurrenz stehen. Und wir haben einen Haushalt, der ist nicht unendlich.“

Bürgervorsteher Henry Danielski (CDU) führte durch die dreistündige Veranstaltung.
Bürgervorsteher Henry Danielski (CDU) führte durch die dreistündige Veranstaltung. © Christopher Mey

Die Wilstedter Straße macht den Anfang. Die Politik hatte die Sanierung und den Ausbau im März beschlossen – einstimmig. Baulastträger ist hier der Wege-Zweckverband, dieser übernimmt aber nur einen Teil der Kosten von insgesamt 4,9 Millionen Euro. Das meiste zahlt Henstedt-Ulzburg (ungefähr 3,2 Mio. Euro), kann aber 60 Prozent Förderung erhalten nach Abschluss des Projektes.

Wilstedter Straße: Tempo 30 nur vor der Paracelsus-Klinik

Sechs Meter Fahrbahnbreite, in Richtung Westen ein Fahrradschutzstreifen, in die Gegenrichtung ein kombinierter Geh- und Radweg, künftig Tempo 50, das sind die Fakten. Warum nicht überall Tempo 30, fragt ein Mann. Volker Duda, Chef des zuständigen Fachbereichs für Planen, Bauen und Umwelt, antwortet offen: „Dann wäre die Maßnahme nicht mehr förderfähig.“ Diese Ansage hat es vom Land gegeben. Immerhin: „Vor der Paracelsus-Klinik können wir 30 km/h anordnen lassen durch die Verkehrsbehörde.“ Er betont: Die Wilstedter Straße sei in einem „desolaten Zustand“.

Dennoch sind Anwohner unglücklich. Mehrfach wird die Forderung nach sicheren Querungen für Kinder geäußert. „Wir wissen, dass sich niemand an die Geschwindigkeit hält. Wie wird sich das künftig entwickeln?“, ist eine Frage. Das Problem: Es hat Zählungen gegeben, wie viele Menschen hier die Straße überqueren – und es sind nicht ausreichend, damit hier die gewünschten (beispielsweise) Mittelinseln oder Ampelanlagen möglich wären. Nach dem Ausbau soll es aber eine weitere Untersuchung geben, auch, ob es in erhöhtem Maß Tempoverstöße gibt. Die Arbeiten sollen im kommenden Oktober beginnen und zwei Jahre dauern – das nun bei der Einwohnerversammlung in der Präsentation von „2024“ die Rede ist, scheint ein Versehen des zuständigen Ingenieurbüros zu sein.

Wohnungen für „55 plus“ neben der Tennisanlage

An gleicher Stelle, und zwar direkt gegenüber der Klinik und neben dem Tennisclub Alsterquelle, sollen Wohnungen gebaut werden. Die 11.500 Quadratmeter große Fläche war eigentlich für den Sport ausgewiesen, eine Investorin hat diese aber mit einer anderen Absicht erworben, sodass das Areal umgewidmet wird. „Menschen 55 plus sollen die Zielgruppe sein“, so Duda.

Volker Duda, Leiter des Fachbereichs Bauen, Planen, Umwelt, präsentierte mehrere laufende Vorhaben und beantwortete zahlreiche Nachfragen.
Volker Duda, Leiter des Fachbereichs Bauen, Planen, Umwelt, präsentierte mehrere laufende Vorhaben und beantwortete zahlreiche Nachfragen. © Christopher Mey

Es handelt sich um fünf Gebäude mit bis zu drei Vollgeschossen, bis zu 12,50 Meter hoch – hier gilt das Krankenhaus als Referenz. Und interessant: Die 30-Prozent-Quote für geförderten Wohnraum wird zwar erfüllt, aber nicht hier, sondern bei einem weiteren Vorhaben der Investorin auf dem ehemaligen Bade-Grundstück (Hamburger Straße 55). Erstmals wird das so gehandhabt. Warum? Es geht insbesondere um die Erreichbarkeit, heißt es.

Schäferkampsweg: Unklar, ob das neue Quartier überhaupt gebaut wird

Umstritten ist, was am Schäferkampsweg geplant ist. Der vordere Sportplatz soll weichen für den Wohnungsbau (rund 100 Einheiten), laut Verwaltung zur Hälfte gefördert. Die Erschließung würde – ausgenommen einer Not-Zufahrt – über die Norderstedter Straße geschehen. Nur: Im Kommunalwahlkampf hatte es wiederholt Aussagen aus der Politik gegeben, die das Vorhaben ablehnen. Aber, so Volker Duda: „Das ist noch nicht Gegenstand der gemeindlichen Beratungen. Derzeit ist die Verwaltung beauftragt, das Verfahren zu Ende zu führen.“

Die Kritik entzündet sich hier daran, dass ein Rasenplatz für den Sport wegfallen würde. Die Einwohnerversammlung votiert deutlich dafür, dass die Gemeindevertretung hierüber noch einmal beraten soll – und das wird im Juli der Fall sein.

Wohngebiet bei Wagenhuber: Zufahrt von der Schleswig-Holstein-Straße nicht möglich

Die Bebauung des Wagenhuber-Geländes ist ein weiteres langwieriges Verfahren. 118 Wohneinheiten sind für die „Rhener Gärten“ auf dem Areal des einstigen Betonwerks geplant. Es gibt keine Möglichkeit, dass der Fahrzeugverkehr aus diesem Quartier direkt auf die Schleswig-Holstein-Straße geleitet wird – „der Durchgangsverkehr hat Vorrang vor dem einbiegenden Verkehr“, so Volker Duda unter Verweis auf den zuständigen Landesbetrieb. Also bleibt nur die Norderstedter Straße. 400 Kfz-Bewegungen pro Tag werden erwartet, „niederschwellig“ nennt Duda diesen Zuwachs. Zwei neue Abbiegespuren – einmal rechts von der Schleswig-Holstein-Straße, einmal links von der Norderstedter Straße – sollen helfen.

Es kommt die Frage nach Schallschutzwänden auf. Bisher war das nicht möglich, weil sich ein Eigentümer weigerte. Aber, so Duda, es gibt offenbar neue Besitzverhältnisse, sodass eine solche Installation von Norderstedter Straße bis Gräflingsberg vielleicht doch realisierbar wäre. Übrigens: Weiterhin langfristig im Raum steht eine Erweiterung der Schleswig-Holstein-Straße, dann wäre der Lärmschutz sowieso Pflicht.

Unterkunft für Geflüchtete: acht bis zehn Wohnungen für Familien

Eine Herausforderung, den Spagat zwischen offener Debatte und klarer Haltung zu schaffen, stellt die Unterredung über die Unterkunft für Geflüchtete – aber auch Obdachlose – dar. Hier übernimmt die Bürgermeisterin die Aussprache. Sie berichtet über die derzeit rund 800 Menschen, die als Flüchtlinge nach Henstedt-Ulzburg gekommen sind und derzeit hier leben, darüber, dass die Gemeinde Immobilien akquiriert und anmietet. Und zwar auch Objekte, deren Eigentümer ansonsten nicht auf dem Wohnungsmarkt aktiv sind. Die Politik habe den Bedarf anerkannt, dass es Plätze für 200 Personen brauche. Und Ende April einigte man sich darauf, zumindest an der Norderstedter Straße etwas Neues zu bauen.

„Ich hoffe, dass wir auch die für die anderen Plätze politische Beschlüsse bekommen.“ Auf der Fläche, vor Jahren von der Gemeinde aufgekauft, steht ein Wohnhaus, dieses ist seit vielen Jahren vakant. Nach Auskunft der Verwaltung ist der Zustand nicht so, dass dort jemand leben könnte, auch keine Flüchtlinge.

Bürgermeisterin weist pauschale Aussagen zu Flüchtlingen zurück

40 bis 50 Personen könnten in einem neuen Wohnhaus unterkommen. Diese Kapazität beruht indes auf einer alten Schätzung eines Investors, der hier einst bauen wollte. Ob das so bleibt? Lars Möller, verantwortlich für die Liegenschaften der Gemeinde, sagt, das „muss erstmal die Planung zeigen. Dann werden wir schauen, was vernünftigerweise möglich ist und was nicht“. Ein Bauleitverfahren wird es sowieso geben, also auch Möglichkeiten für die Bevölkerung, sich einzubringen.

Bei der Diskussion um die Unterbringung von Geflüchteten ergriff Bürgermeisterin Ulrike Schmidt das Wort und warb für die dezentrale Strategie sowie einen Neubau an der Norderstedter Straße.
Bei der Diskussion um die Unterbringung von Geflüchteten ergriff Bürgermeisterin Ulrike Schmidt das Wort und warb für die dezentrale Strategie sowie einen Neubau an der Norderstedter Straße. © Christopher Mey

Doch wer würde dort einziehen? „Wird es eine Art Sammelunterkunft?“, fragt eine Anwohnerin. Generell fehlt es dem Rhen an Infrastruktur, von Ärzten bis zum Einzelhandel, sagen einige. Andere applaudieren da. Möller: „Wir haben an der Lindenstraße und am Kirchweg Gebäude für Familien und Alleinreisende gebaut. Der Bedarf an Wohnraum für kleinere Familien ist sehr groß.“ Und genau das wäre an der Norderstedter Straße vorgesehen – „acht bis zehn Wohnungen“.

„Wenn große Heime gebaut werden, haben Sozialarbeiter Angst, dort hinzugehen ohne Polizeischutz“, behauptet eine Frau. Und: „Jeden Tag gehen Kinder an der Stelle vorbei.“ Sie habe „Angst“, dass sich diese nicht mehr dort hin trauen würden, „weil es viele Leute gibt, die sich nicht an Recht und Ordnung halten.“ Diese Pauschalisierung geht der Bürgermeisterin dann doch zu weit, genauso wie der Begriff „Schandfleck“, den ein Mann wählt.

Flüchtlinge: Unterkünfte für 200 Personen „der falsche Ansatz“

„Wir betreiben eine gute Integrationsarbeit. Es gibt auch deutsche Menschen, die sich nicht an Recht und Ordnung halten. Es sind Familien, die zu uns kommen, wir wollen sie deshalb dezentral unterbringen, damit sie sich in die Nachbarschaft einleben.“ Sie appelliert: „Sagen Sie Bescheid, wenn Probleme auftreten, da müssen wir Hand in Hand arbeiten.“ Schmidt wird deutlich: „Unterkünfte für 200 Personen im Gewerbegebiet, ohne Kontakt zu Bürgern, das wäre der falsche Ansatz.“

Aber perfekt läuft auch nicht alles. Für den Kirchweg, dort wohnen Einzelpersonen, wird ebenso eine Situation beschrieben, bei der Anwohner abends nicht mehr allein auf die Straße gehen wollen. Das sei „berechtigte Angst“. Die Bürgermeisterin antwortet allgemeiner: „Da haben sie Recht. Ich kann ihnen heute nicht garantieren, dass die Integration gelingen wird.“

Henstedt-Ulzburg: Möglicherweise gibt es weitere Einwohnerversammlungen

Verpflichtet ist Henstedt-Ulzburg dennoch, seinen Teil beizutragen. Mit kleinen Einheiten habe man gute Erfahrungen gemacht, so Lars Möller. Das scheint auch der Wunsch vieler Rhener zu sein – eine Unterbringung so kleinteilig wie möglich. Inwieweit das praktisch möglich ist, dürften die Beratungen zeigen – das Neubauprojekt an der Norderstedter Straße wird (Planung und Errichtung) sicher zwei Jahre dauern.

Auch wenn nicht alle zu hören bekommen, was sie wollen – das Format einer Einwohnerversammlung scheint zu funktionieren. Eine Wiederholung in anderen Ortsteilen ist nicht ausgeschlossen. „Ich werde das im Auge behalten“, so Bürgervorsteher Danielski. Und lädt die Menschen in die Sitzungen von Ausschüssen und Gemeindevertretung ein. „Da hat jeder die Möglichkeit, Fragen zu stellen.“