Norderstedt. Hunderte feierten bei der Norderpride das LGBTQ-Spektrum. Wieso der Polizei bei dem CSD eine besondere Rolle zukam.
Norderstedts allererster Christopher Street Day begann schon in der U1: Wer am Sonnabend in Richtung Norderstedt zugestiegen ist, saß mit großer Wahrscheinlichkeit zwischen jungen Menschen mit Glitzer-Gesichtern, Netzstrumpfhosen, bunt gefärbten Haaren – und unmissverständlichem Stolz, ausgedrückt durch reichlich Regenbogen-Beflaggung.
Die Stadt hatte nämlich zur Norderpride aufgerufen, einem Aktions- und Demonstrationstag für Menschen, die sich dem LGBTQ-Spektrum (eine englische Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und queer) zuordnen – sowie allen anderen, die sich für die Rechte der Minderheiten einsetzen wollen.
CSD Norderstedt: So bunt war der erste Christopher Street Day
Nach einem klassischen Umzug versammelten sich die Teilnehmenden auf dem Rathausplatz, wo Kundgebungen abgehalten wurden. Anschließend klang die Veranstaltung bei Gesprächen und Musik aus.
Initialzünder der Norderpride war der SPD-Stadtvertreter und Vorstand des schleswig-holsteinischen Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) Danny Clausen-Holm. „Die Idee keimte schon seit langem“, sagt er. „Norderstedt ist nun mal eine aufstrebende Stadt, die viertgrößte Schleswig-Holsteins.“
Bis zu zwölf Prozent der Bevölkerung Teil des LGBTQ-Spektrums
Klar, in Hamburg gebe es bereits zahlreiche Pride-Veranstaltungen und andere Angebote von Coming-out-Gruppen bis zur Transberatung für die LGBTQ-Community. „Diese Infrastruktur ist natürlich ein Riesenvorteil“, so Clausen-Holm. „Aber aus dem gleichen Grund ist die Infrastruktur und sind die Beratungsstellen im Hamburger Umland nie richtig gewachsen.“
Dabei seien nach aktuellen wissenschaftlichen Studien acht bis zwölf Prozent der Bevölkerung nicht heterosexuell oder nicht cisgender – fühlen sich also einem anderen Geschlecht zugehörig als jenem, mit dem sie geboren wurden. Im Norderstedter Kontext können demnach bis zu 9.600 Personen dem LGBTQ-Spektrum zugerechnet werden. „Das ist mehr als ganz Tangstedt!“, verdeutlicht Clausen-Holm. Für diese Menschen will er mit der Norderpride eine Lanze brechen.
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"Es reicht nicht, dass wir ab und an eine Regenbogenflagge hissen“
Als Schirmherrin der Veranstaltung konnte er Oberbürgermeisterin und Parteigenossin Elke Christina Roeder gewinnen. „Wir müssen als städtische Familie ebenso wie als Gesellschaft buchstäblich Farbe bekennen“, gab sie der Menge nach dem gemeinsamen Umzug auf dem Rathausplatz zu verstehen.
Daher habe sie 2019 auch die Lübecker Erklärung im Namen der Stadt unterzeichnet, wodurch Norderstedt dem Bündnis für Akzeptanz beigetreten ist und sich seitdem offiziell dazu bekennt, gegen Homophobie und Diskriminierung sowie für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen einzustehen. Nun gelte es, nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln, so Roeder: „Wir müssen uns an unseren Taten im Alltag messen lassen. Es reicht nicht, dass wir eine Erklärung unterzeichnen, es reicht nicht, dass wir ab und an eine Regenbogenflagge hissen.“
Norderpride: Polizei hatte besondere Rolle vor Ort
Schon bevor der wahrlich bunte Menschenzug der Norderpride am Sonnabend um 14.30 Uhr vom Willy-Brandt-Park aus über das Lütjenmoor, die Marommer- und Ulzburgerstraße bis zum Rathausplatz aufbrach, machte es den Eindruck, als sei Norderstedts erster Christopher Street Day ein Erfolg. Insgesamt rund 400 Personen haben sich eingefunden, schätzt Christoph Nüser aus dem Polizeirevier Norderstedt. Für die Polizisten sei die Aktion in erster Linie ein Verkehrseinsatz gewesen.
Den Beamten kam im Rahmen der Norderpride außerdem eine besondere Rolle zu. So erhielten zum Abschluss der Parade auf dem Rathausmarkt nicht nur Clausen-Holm und Schrimherrin und Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder das Wort. Auch Jan Kubelke, Kontaktbeamter für Personen aus dem LGBTQ-Spektrum bei der Polizeidirektion Itzehoe, sprach zur Menge. Er riet den Anwesenden eindringlich, Hassverbrechen umgehend der Polizei zu melden. Noch immer gerieten zahlreiche Straftaten in das sogenannte Dunkelfeld, weil die Beamten nicht alarmiert würden.
Polizei sei mittlerweile "Freund und Helfer" für LGBTQ-Community
Denselben Ratschlag gab auch Clausen-Holm. Die Polizei sei zwar früher „Ausführungsgehilfe repressiver staatlicher Politik“ gewesen. „Es waren vor allem schwule Männer, lesbische Mütter und Transgender, die Politik und Polizei fürchten mussten“, sagte er am Sonnabend. Doch hätten sich verschränkte zu offenen Armen gewandelt.
So sei die Polizei „zum Freund und Helfer oder zur Freundin und Helferin“, formulierte es Beamter Kubelke, der Community geworden. Mittlerweile gibt es in Schleswig-Holstein eine hauptamtliche Ansprechperson für die LGBTQ-Community auf Landesebene – sowie in jeder schleswig-holsteinischen Polizeidirektion.
Clausen-Holm kam in seinem Wortbeitrag ebenfalls nicht umhin, an die tragischen Angriffe auf LGBTQ-Personen der jüngsten Vergangenheit zu erinnern. So gedachte er gemeinsam mit den Norderpride-Teilnehmenden etwa Malte, einem trans Mann, der am Rande des Christopher Street Days in Münster niedergeschlagen wurde und wenig später seinen Verletzungen erlag.
Diese „strukturelle Missachtung, die wie in Münster zu tödlicher Gewalt führt, beginnt viel früher“, mahnte Clausen-Holm auf dem Rathausplatz. „Sie beginnt in den Blicken. In der Sprache. Sie beginnt im Klassenzimmer. […] Sie beginnt in Medien. In denen über trans Menschen diskutiert wird, als wäre ihre Existenz eine Frage der Meinung.“
CSD in Norderstedt: „Wir sind gekommen, um zu bleiben“
Eigentlich wollte Clausen-Holm die erste Norderpride pünktlich zum Stadtjubiläum 2020 durch die Straßen ziehen sehen. Weshalb sich die Massenveranstaltung um zwei Jahre verschoben hat, erübrigt sich zu erwähnen. Doch sei’s drum, denn „Wir sind gekommen, um zu bleiben!“, verkündete der Organisator am Sonnabend. Er möchte den Christopher Street Day als jährliche Veranstaltung in Norderstedt etablieren und ruft schon jetzt zur freiwilligen Mithilfe für die nächste Pride auf.
Das Wochenendwetter in Norderstedt hat der diesjährigen Veranstaltung zwar keinen Abbruch getan und ein kurzer Schauer kaum die Stimmung getrübt. Die Norderpride 2023 soll trotzdem etwas eher stattfinden – im Sommer, wenn es noch richtig warm ist.