Kreis Segeberg. Pflegekräfte bekommen mehr Geld, Energie wird teurer. Eigenanteil erhöht sich um Hunderte Euro – Bewohner sind geschockt.
Werden Plätze in Alten- und Pflegeheimen für Menschen mit einer kleinen oder normalen Rente unbezahlbar? Müssen Heimbetreiber in Norderstedt und Umgebung aufgeben, weil sie die zusätzlichen Kosten nicht mehr auffangen können? „Die Situation ist auf jeden Fall dramatisch“, sagt Ute Algier, langjährige Vorsitzende und jetzt Ehrenvorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Heimmitwirkung.
Die Lage sei in allen Heimen die gleiche: „Jeder Heimbewohner muss zwischen 500 und 900 Euro im Monat mehr bezahlen, im Einzelfall sogar 1000 Euro.“ Wer in einem Alten- und Pflegeheim lebt, muss einen Eigenanteil für Pflegeleistungen, Unterbringungs-, Verpflegungs- und Investitionskosten zahlen – und da wird jetzt ein kräftiger Aufschlag von 20 Prozent und mehr fällig.
Kosten explodieren: Einrichtungen müssen Tariflohn zahlen
Verantwortlich dafür sind zwei Preistreiber: die explodierenden Energiekosten, vor allem aber die Tarifbindung für Pflegekräfte zum 1. September. Heimbetreiber, die dieser Pflicht nicht nachkommen und keinen Tariflohn zahlen, können ihre Kosten nicht mit den Pflegekassen abrechnen. Die Tarifbindung bedeutet einen erheblichen Anstieg der Gehälter.
Kirsten Krause, die die Einrichtung „Haus zum Steertpogghof“ an der Ulzburger Straße in Norderstedt leitet, nennt Zahlen: Für ungelernte Kräfte steigt der Monatslohn von 2400 auf gut 2900 bis knapp 3400 Euro, je nach Dauer der Beschäftigung. Altenpflegehelfer sowie Gesundheits- und Pflegeassistenten mit einjähriger Ausbildung bekommen statt bisher rund 3000 nun bis zu 3550 Euro. Den größten Gehaltssprung machen voll ausgebildete Pflegekräfte mit einem plus von bis zu 1000 auf dann bis zu gut 4500 Euro.
„Diese Mehrkosten müssen momentan unsere Bewohner über ihren Eigenanteil finanzieren“, sagt Krause. Die exakten Summen stehen im Kreis Segeberg im Unterschied zu anderen Landkreisen noch nicht fest, denn: Eine neue Vereinbarung über die Höhe der Zuschüsse mit der Pflegekasse steht noch aus. Steigen die Zuschüsse, vermindert sich der Eigenanteil.
Höhere Heimkosten: Taschengeld der Bewohner könnte gestrichen werden
„Es ist ja richtig, die Pflegekräfte angemessen zu bezahlen, aber das darf nicht auf dem Rücken der alten Menschen ausgetragen werden, einer Generation, die Deutschland aufgebaut hat“, sagt Ute Algier. „Wir müssen allein durch die Tarifbindung schon 25.000 Euro mehr im Monat aufbringen“, sagt Dagmar Landrock-Junge, die das Haus Lütjenmoor in Norderstedt leitet.
Es bleibe nicht bei den Mehrkosten für die Pflegekräfte, auch die Löhne für Reinigungs-, Verwaltungs- und Küchenpersonal müssten entsprechend angehoben werden. Das sei zwar gesetzlich nicht vorgesehen, aber nur fair. Durch die Erhöhung sei die Rente weg. 120 Euro blieben den Bewohnern bisher als Taschengeld für den Friseur oder die Fußpflege.
Deprimierend: Ein Leben lang gearbeitet und doch ein Fall fürs Sozialamt
„Das Geld darf und kann man den Menschen nun wirklich nicht nehmen“, sagt Kirsten Krause. Reicht das eigene Geld nicht, schließt das Sozialamt die Lücke, denn: Trotz der gestiegenen Eigenanteile muss niemand das Heim verlassen. „Aber die Erkenntnis, sein Leben lang gearbeitet zu haben und nun auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein, ist für manchen deprimierend“, sagt Heimleiterin Landrock-Junge.
Das Haus Parkblick in Bad Segeberg hat die Preise schon angehoben. „Wir haben um ungefähr 500 Euro pro Person erhöht. Das mussten wir tun, denn wir wollen nicht Konkurs gehen“, sagt Einrichtungsleiter André Hoffmann. Als Gründe nennt er die gestiegenen Energiekosten und die Tarifbindung in der Pflege. „Da mussten wir nachbessern“, das habe zu höheren Personalkosten geführt.
Eigenanteil wurde reduziert, aber das gleicht die Mehrbelastungen nicht aus
Hoffmann betont, dass die höheren Eigenanteile teilweise durch einen Zuschuss aufgefangen werden, den der Bund über die Pflegekassen seit Anfang des Jahres Bewohnern von Altenheimen zahlt. Die Maßnahme hatte noch die letzte Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD beschlossen, um den schon damals steigenden Kosten entgegenzuwirken.
Im ersten Jahr trägt die jeweilige Pflegekasse fünf Prozent des pflegebedingten Eigenanteils, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 45 Prozent und danach 70 Prozent. „Das aber hilft nur bedingt, da die wenigsten Bewohner länger als zwei Jahre in den Einrichtungen sind“, sagt Ute Algier.
Hoffmann: „Kann ja nicht Heizungen runterdrehen und den Leuten Decken geben“
Auch André Hoffmann sagt: „Für die, die relativ neu ins Pflegeheim gekommen sind, ist es jetzt um einiges teurer.“ Der Eigenanteil in dem Heim, das 60 Plätze hat, betrage pro Bewohner aktuell 2260 Euro monatlich.
Auf die Frage, ob er wegen der steigenden Energiekosten noch einmal die Preise heraufsetzen muss, sagt er: „Das wird so sein. Es sei denn, es kommen jetzt aus Berlin weitere Entlastungen. Ich kann hier ja nicht die Heizungen runterdrehen und den Leuten Decken geben.“
Hohe Energiekosten treiben die Preise zusätzlich nach oben
Der Kreisverband Segeberg des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) ist Träger der Einrichtung „Am Ehrenhain“ in Bad Segeberg, des Seniorenzentrums Kaltenkirchen, der Einrichtung „Betreutes Wohnen Kaltenkirchen“ sowie der Seniorenvilla Bad Bramstedt. Auch in diesen Einrichtungen wurde der Aufenthalt für die Bewohner jetzt teurer. „Wir haben zum 1. September bei den Pflegekassen höhere Vergütungssätze beantragt. Dadurch sind auch die Eigenanteile für die Bewohner gestiegen“, sagt Michael Deerberg, Vorstand des DRK-Kreisverbandes.
Weitere Kostensteigerungen wegen der hohen Energiepreise schließt er nicht aus. Deerberg: „Glücklicherweise haben wir als DRK noch bis zum Jahresende 2022 fixierte Lieferverträge für Strom und Gas. Ab dem kommenden Jahr wird es jedoch erforderlich sein, die dann wirkenden Mehrkosten über die Vergütungssätze zu refinanzieren. Welche Auswirkungen dies für die zu Pflegenden hat, können wir heute noch nicht absehen.“
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480 Altenheim-Bewohner bekommen Beiträge vom Kreis erstattet
Nach Angaben von Sabrina Müller, der Sprecherin des Kreises Segeberg, gibt es derzeit insgesamt 3965 Pflegeplätze in Seniorenheimen im Kreis. Etwa 480 Bewohner von Altenheimen bekommen die Beiträge über den Kreis Segeberg als Sozialhilfeträger erstattet. Geht man von einer vollen Auslastung aus, bekämen zwölf Prozent der Bewohner die Eigenanteile über das Sozialamt erstattet.
Müller weist aber darauf hin, dass der Kreis Segeberg nur für solche Bewohner zahlt, die ihre Meldeadresse vor Einzug ins Heim im Kreis Segeberg hatten. Es sei aber anzunehmen, dass auch viele Hamburgerinnen und Hamburger in Seniorenheimen im Kreis Segeberg leben, für die dann eine Hamburger Behörde zuständig ist. Die Quote der Senioren, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, dürfte also tatsächlich höher liegen, Zahlen liegen aber nicht vor.
Die Nachrichten aus den Heimen haben offenbar auch die Landesregierung in Schleswig-Holstein aufgeschreckt. Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) drängt auf schnelle finanzielle Hilfen des Bundes. „Die Situation in der Pflege ist äußerst angespannt. Viele Einrichtungen können kaum noch auskömmlich wirtschaften, viele Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sind nicht mehr in der Lage, ihre Pflegeleistungen zu finanzieren“, sagte Touré.
Kosten explodieren: Sozialministerin fordert schnelle Hilfen vom Bund
„Wir haben jetzt einen Punkt erreicht, an dem Bund und Länder dringend gemeinsam handeln und helfen müssen. Pflege ist für alle da und muss bezahlbar bleiben“, so Touré. Die Ministerin hat vorgeschlagen, die Zuschüsse zu den Eigenanteilen der Bewohner deutlich anzuheben.
Sie sollen bereits im ersten Jahr auf 25 Prozent (bisher 5), im zweiten Jahr auf 50 Prozent (bisher 25) und bereits ab drittem Jahr auf 70 Prozent (bisher 45) steigen. Zudem fordert Touré, das Pflegegeld und den Entlastungsbetrag rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres um mindestens fünf Prozent anzuheben, um die bisherigen Kostensteigerungen zu kompensieren.