Das LKA ist sicher, mit einer DNA-Analyse den Mörder von Gabriele Stender zu finden
Die Finger stecken in Handschuhen, eine Plastikhaube wölbt sich über die Haare von Sandra Humboldt. Auch der Mund ist bedeckt. Ohne Schutzkleidung darf kein Besucher ins Labor gehen. "Nicht eintreten!" steht auf der Eingangstür des Raumes im zweiten Stock des Landeskriminalamtes in Kiel. Sandra Humboldt arbeitet mit Spuren. Spuren, die ein Verbrecher am Tatort hinterlassen hat: Haare, Hautschuppen, Sperma oder eine Zigarettenkippe, an der sein Speichel klebt. Spuren, in denen ein sogenannter genetischer Fingerabdruck steckt, der den Täter genauso eindeutig überführt wie ein klassischer Fingerabdruck.
In diesem LKA-Labor haben Sandra Humboldt und ihre Kollegen auch die DNA-Spur entdeckt, die jetzt auf die Spur des Mörders von Gabriele Stender aus Henstedt-Ulzburg führen könnte. Was der Täter vor mehr als 26 Jahren hinterlassen hat, will die Mordkommission nicht verraten. Doch sicher ist: Die Spur könnte ihm zum Verhängnis werden. Stimmen die genetischen Daten, die im Labor entdeckt wurden, mit denen eines Verdächtigen überein, können die Ermittler sicher sein, Gabrieles Mörder vor sich zu haben.
Als zwei Kinder damals an einem kalten Februartag Gabriele ermordet in einem Wald in Weddelbrook entdeckten, war der Begriff "genetischer Fingerabdruck" noch unbekannt. Die DNA-Analyse war noch nicht erfunden. Die Beamten ahnten damals noch nicht, dass sie auch Gen-Spuren des Täters sicherstellten, als sie Kleidung und andere Gegenstände am Tatort in Tüten verpackten. Die Fundstücke liegen auch heute noch in einem Keller der Polizei. Mord verjährt nie.
Erst Mitte der 90er-Jahre sei das Verfahren für die forensische DNA-Analytik entwickelt und von der Polizei genutzt worden, sagt Dr. Andreas Fesefeldt, Sachverständiger für DNA-Analysen im Kieler LKA. Damit stand den Ermittlern neben dem klassischen Fingerabdruck und der Serologie, bei der zum Beispiel Blutgruppen untersucht wurden, ein neues Instrument für die Tätersuche mit unschlagbaren Vorteilen zur Verfügung: Die Merkmale einer Gen-Spur sind fast einmalig. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei zwei Menschen übereinstimmt, geht gegen Null. Sich vor dem Verlust von Spuren des eigenen Körpers zu schützen, halten Experten für nahezu unmöglich. Der Täter müsste sich komplett mit Folie bedecken, sagt Mikrobiologe Fesefeldt.
Hat ein Mensch Schuppen, Haare oder Speichel hinterlassen, versuchen die 16 DNA-Experten im LKA in dem Material Chromosomen zu finden, selbst wenn die Spur nur mikroskopisch klein ist. Die DNA-Fahnder suchen nicht nach Inhalten des Erbmaterials, sondern messen die Längen bestimmter Fragmente der Chromosomen. Nur diese Messergebnisse und die Bestimmung des Geschlechts zählen. Weder dürfen die Analytiker sich mit den Gen-Codes beschäftigen und nachschauen, ob der Unbekannte blonde Haare oder schwarze Haut hatte, noch haben sie dafür die technische Ausstattung. "So ein Verfahren ist in Deutschland verboten", sagt Fesefeldt.
Doch warum wird der Fall Gabriele Stender erst jetzt neu aufgerollt? Erst heute sind die Analyseverfahren so fein, dass in den Spuren vom Fundort der Leiche Gen-Spuren entdeckt werden konnten. Fünf bis zehn menschliche Zellen können reichen, um die Chromosomen-Fragmente zu vermessen. Der Mord an der jungen Frau aus Henstedt-Ulzburg gehört zu einer Reihe von Verbrechen, die nach Jahrzehnten mit Hilfe modernster Technik aufgeklärt werden könnten. Im Kreis Stormarn hat die Polizei 2200 Männer zu einem Massengentest aufgefordert. Die Mordkommission aus Lübeck sucht dort den Mörder der 15 Jahre alten Silke B., die im Juni 1985 auf dem Weg zu einer Schulparty getötet wurde. Fest steht lediglich, dass ihr Mörder ein anderer ist als im Fall Gabriele Stender.
900 000 Datensätze kann die Polizei derzeit in der zentralen deutschen DNA-Analysedatei abrufen, die 1998 gegründet wurde und der Polizei spektakuläre Erfolge ermöglichte. Ronny Rieken aus Niedersachsen war der erste Sexualstraftäter, der damals überführt wurde. Er hatte zwei Mädchen im Alter von elf und zwölf Jahren getötet und freiwillig seine Speichelprobe abgegeben. Er verbüßt seine lebenslängliche Gefängnisstrafe in Celle.
Seit den 90er-Jahren hat das LKA jedes Mal, wenn die Technik eine nochmalige Verfeinerung der Analyse ermöglichte, die Spurenträger aus den "Altfällen" erneut untersucht. Das Problem: Bei manchen Untersuchungen in den 80er-Jahren ist nicht viel übrig geblieben.
Fesefeldt und viele Ermittler vermuten, dass eine Welle weiterer Aufklärungserfolge im kommenden Jahr folgen könnte. Im Sommer sollen die DNA-Daten von 27 europäischen Ländern miteinander vernetzt werden. Dann können zum Beispiel auch die Gen-Daten dänischer Straftäter mit den Unbekannt-Spuren der Fälle Gabriele Stender und Silke B. abgeglichen werden. "Bei dem Abgleich wird eine Menge passieren", sagt Fesefeldt.
80 Prozent der Datensätze im DNA-Register stammen von Personen. Der Rest setzt sich aus unbekannten Spuren von schweren Straftaten zusammen, die noch keinem Täter zugeordnet werden konnten. Auch die Spuren in den Fällen Gabriele Stender und Silke B., die vor Jahrzehnten sichergestellt wurden, hat die Polizei dort gespeichert.
Doch trotz stetig verfeinerter Analyseverfahren und europäischer Datenvernetzung stehen die Ermittler der Mordkommissionen und die DNA-Spezialisten im LKA immer wieder vor neuen Herausforderungen: Nicht jede Gen-Spur, die am Tatort oder am Opfer gefunden wird, muss zwangsläufig dem Täter gehören. Und nicht jeder, der am Tatort war, kommt als Täter infrage. Um Zeugenaussagen und der Suche nach anderen Indizien kommt eine Mordkommission auch in Zeiten der DNA-Analytik nicht herum.