Hans-Jürgen S. (64) aus Henstedt-Ulzburg hat gestanden in Hamburg und Umgebung insgesamt fünf Frauen vergewaltigt und getötet zu haben.

Kiel/Bad Segeberg/Hamburg. Hans-Jürgen S., der 64 Jahre alte mutmaßliche Mörder der Schwesternschülerin Gabriele S. aus dem Kreis Segeberg, hat vier weitere Morde an jungen Frauen gestanden. Der Mann ließ die Taten, die er in Hamburg und Umgebung zwischen 1969 und 1972 begangen haben soll, über seinen Rechtsanwalt einräumen. Das gab die Staatsanwaltschaft am Freitag in Kiel bekannt.

Hans-Jürgen S. war am 5. April 2011, nach einer neuen DNA-Analyse, ermittelt und verhaftet worden. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft - 27 Jahre nach seiner letzten Tat, dem Mord an der damals 18 Jahre alten Schwesternschülerin Gabriele S. Sie hatte er im Februar 1984 vergewaltigt und erdrosselt. Schüler hatten die Leiche des Mädchens neun Tage nach ihrem Verschwinden in einer Fichtenschonung nahe Weddelbrook bei Bad Bramstedt entdeckt.

Dass Maurer Hans-Jürgen S., der zuletzt bei einer Hamburger Bausanierungsfirma arbeitete, ein Serienmörder ist, überraschte nun auch die Ermittler. Die erste Tat beging S. - laut seinem Geständnis - bereits im Juni 1969. Damals tötete er die Optikerin Jutta M. (damals 22) in Harksheide . Er hatte seinem Opfer abends an einer Bushaltestelle aufgelauert.

Die zweite Tat ereignete sich wenige Wochen später. Am 30. September 1969 meldeten Angehörige die 16 Jahre alte Näherin Renate B. aus Norderstedt als vermisst. Sie hatte gegen 20 Uhr die Diskothek „Dandy“ an er Langenhorner Chaussee verlassen. Zeugen beobachteten sie, als sie an der Schleswig-Holstein-Straße stand und als Anhalterin Autos stoppte. In dem ersten Wagen der anhielt, saß ihr Mörder.

Das dritte Opfer von Hans-Jürgen S. kam aus Hamburg: Die 22 Jahre alte kaufmännische Angestellte Angela B. hatte am 31. Juli 1970 gegen 23 Uhr am Bahnhof Langenhorn-Markt die U-Bahn verlassen. Offenbar lauerte S. ihr dort auf. Die Leiche der jungen Frau wurde später an einem nahe gelegenen Trampelpfad in einem Gehölz entdeckt.

Am 24. Oktober 1972 verschwand die damals 15-jährige Norderstedterin Ilse G. Um 18.20 Uhr hatte sie ihre Lehrstelle im Lebensmittelgeschäft Sager am Erlengang im Stadtteil Friedrichsgabe verlassen und wollte mit ihrem Fahrrad zum Haus ihrer Eltern fahren. Doch dort kam sie nie an. Wenige Tage später entdeckten Polizisten 150 Meter vom Haus das rote Fahrrad und den Einkaufsbeutel des Mädchens. Die Leiche entdeckte ein Spaziergänger im Mai 1973 in einem Graben im Quickborner Ortsteil Heide. Der Täter hatte den Unterkörper seines Opfers entblößt. „Die Jacke war um den Hals geschlungen und mit den Ärmeln zusammengeknotet“, hieß es im damaligen Bericht der Sonderkommission.

Lesen Sie dazu auch den Abendblatt-Bericht:

Der Mörder aus der Nachbarschaft

Eine kleine Siedlung steht unter Schock: Nach der Festnahme des mutmaßlichen Mädchenmörders aus Henstedt-Ulzburg hat sich bei den Menschen am Eschenweg schnell herumgesprochen, dass einer ihrer Nachbarn sich für die grausige Tat verantworten muss. Zwei Jahrzehnte haben die Bewohner fast Tür an Tür mit Hans-Jürgen S. gelebt, der 1984 die Schwesterschülerin Gabriele Stender vergewaltigt und erdrosselt haben soll.

"Still, ruhig und sehr unauffällig" - so beschreiben Nachbarn den bärtigen 64-Jährigen, der bei der Mordkommission ein umfassendes Geständnis abgelegt hat und seit Mittwoch in Untersuchungshaft auf seinen Prozess wartet. Das gepflegte Mittelreihenhaus wirkt verlassen. Dort lebte S. mit seiner Mutter, sie hat vor zwei Monaten ihren 90. Geburtstag gefeiert. Bekannte fürchten, dass sie an dem Schmerz zerbrechen könnte, einen Sohn zu haben, der eines furchtbaren Verbrechens beschuldigt wird. Für die Mordkommission besteht kein Zweifel mehr, dass S. der Mann war, der im Februar Gabriele Stender als Anhalterin mitnahm. Sie wollte zur Diskothek Kutsche nach Alveslohe fahren. Ihre Leiche entdeckten spielende Kinder neun Tage später in einem Waldstück in Weddelbrook.

Auf kriminalistischen Umwegen kamen die Fahnder dem Täter auf die Spur

Beamte der Mordkommission hatten Hans-Jürgen S. am Dienstag verhaftet. Eine DNA-Analyse hatte ihn überführt - allerdings erst auf kriminalistischen Umwegen. Zunächst war der Bruder von S. ins Visier der Ermittler geraten. Die Mordkommission hat den Mann bereits kurz nach der Tat überprüft. Obwohl er und das Opfer sich nicht kannten, passte er ins Raster bei der Tätersuche. "Dafür sprachen seine Ortskenntnisse in Henstedt-Ulzburg und Weddelbrook", sagte ein Beamter.

Als die Mordkommission im vergangenen Herbst den Fall erneut aufrollte, überprüften die Ermittler ihn und 150 weitere Männer erneut und baten um eine Speichelprobe für ein neuartiges Verfahren zur DNA-Analyse. Spezialisten des Landeskriminalamtes (LKA) war es gelungen, eine Spur von der Kleidung der Getöteten zu identifizieren. Vor etwa zwei Wochen folgte eine Meldung aus dem LKA, die die Fahnder elektrisierte: Die DNA des Mannes stimme zwar nicht 100-prozentig mit der vom Tatort überein. Wahrscheinlich sei jedoch, dass ein naher Verwandter - vermutlich der Bruder - der Täter sei. Schnell geriet damit Hans-Jürgen S. in den Mittelpunkt der Ermittlungen.

Er war offenbar völlig überrascht, als die Kriminalbeamten am Dienstag vor der Haustür standen und ihn um eine Speichelprobe baten. Sofort fuhren Polizisten mit der Probe ins LKA nach Kiel. Eine Sofortuntersuchung brachte Gewissheit, diese DNA-Spur war ein Volltreffer.

Der Druck, der jetzt aus S. lastete, war so groß, dass er das Verbrechen bis ins Detail gestand. Dabei nannte er auch Details, die nach einer juristischen Bewertung des Amtsgerichts Kiel zu einem Haftbefehl wegen Mordes führten. Hätte der Vorwurf lediglich auf Totschlag und Vergewaltigung gelautet, wäre S. frei gewesen. Beide Taten wären verjährt.

Vor der Haustür am Eschenweg steht der alte BMW von Hans-Jürgen S. Der 64-Jährige ist begeisterter Fan des Hamburger Sportvereins. Er hat Vereinsaufkleber am dem Wagen befestigt, in dem Fahrzeug liegen HSV-Kissen. Täglich ist Hans-Jürgen S. mit dem Wagen zur Arbeit gefahren. Der Festgenommene hat den Beruf des Maurers gelernt. Er arbeitete bei einer Bausanierungsfirma in Hamburg. Hans-Jürgen S. ist seit Jahren geschieden. Als Gabriele Stender 1984 starb, lebte er gemeinsam mit seiner Frau in einem Reihenhaus in Kaltenkirchen. Seine Töchter waren nur wenige Jahre jünger als das Opfer. Hans-Jürgen S. lässt sich von dem Rechtsanwalt Horst Schumacher aus Henstedt-Ulzburg vertreten.

"Ich bin geschockt", sagt ein Nachbar von Hans-Jürgen S. "Der war ein sehr ruhiger, stiller Mann." Alle Mitglieder der Familie seien Fans des HSV - "durch und durch!" Nachbarn sorgen sich besonders um die Mutter des Tatverdächtigen: "Wir nennen sie hier alle liebevoll Oma. Sie muss ja einen Schock bekommen haben, als ihr Sohn zu Hause festgenommen wurde." Ein anderer Anwohner sagt: "Er ist ein guter Handwerker. Dass er so eine Tat begangen haben soll, das hätten wir nie gedacht." Auffällig sei gewesen, dass Hans-Jürgen S. engere Kontakte in der Nachbarschaft stets vermieden habe. Ein Ermittler der Kripo sprach von einem "auffällig unauffälligen" Leben des mutmaßlichen Mörders.

Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft betonen, dass Täter und Opfer sich vor dem Verbrechen nicht kannten. Staatsanwältin Birgit Heß spricht von einer "schicksalhaften Begegnung". Dass Hans-Jürgen S. nach der Scheidung nur wenige 100 Meter vom Elternhaus seines Opfers entfernt nach Henstedt-Ulzburg zog, ist vermutlich nur ein Zufall.

Die Mutter der Toten lebt in der Gemeinde, der Vater ist gestorben

"Ich bin froh, dass dieser Mord aufgeklärt ist", sagt Henstedt-Ulzburgs Bürgervorsteher Carsten Schäfer. Er hofft, dass die Hinterbliebenen von Gabriele Stender die Kraft finden, emotional die Belastungen zu ertragen. Gabriele Stenders Vater ist gestorben, ihre Mutter lebt in der Großgemeinde. Schäfer sorgt sich auch um das Umfeld von Hans-Jürgen S.: "Meine Gedanken sind auch bei der Familie des mutmaßlichen Täters."

Günter Santjer vom Weißen Ring Schleswig-Holstein geht davon aus, dass die Hinterbliebenen des Opfers nach der Festnahme ein Gefühl der Genugtuung erleben. "Für sie ist eine quälend lange Zeit der Ungewissheit vorbei." Gleichzeitig bestehe die Gefahr der Retraumatisierung. Santjer: "Diese Sekundäropfer durchleben einen Spagat zwischen Genugtuung und einem erneuten Aufwühlen der Gefühle." Der Weiße Ring biete kostenlose Unterstützung an und vermittle bei Bedarf therapeutische Hilfe.