Hans-Jürgen S. (64) aus Henstedt-Ulzburg hat gestanden fünf junge Frauen vergewaltigt und getötet zu haben. Die Kripo prüft drei weitere Fälle.
Kiel/Bad Segeberg/Hamburg. Ingesamt fünf Sexualmorde an jungen Frauen hat Maurer Hans-Jürgen S. (64) aus Henstedt-Ulzburg in Schleswig-Holstein gestanden. 27 Jahre nach dem Tod seines letzten Opfers - der Schwesternschülerin Gabriele S. - war der Mann am 5. April 2011 überführt und verhaftet worden. In den anschließenden Vernehmungen hat er nun die komplette Mordserie gestanden. "Es ist in allen Fällen von sexuellen Motiven auszugehen“, sagte die Kieler Oberstaatsanwältin Birgit Heß. Seine Opfer waren zwischen 15 und 22 Jahre alt.
Die Taten ereigneten sich nördlich von Hamburg und in einem Fall auch in der Hansestadt. Seine Opfer wählte Hans-Jürgen S. offenbar spontan aus. "Er ist nicht mit der Zielsetzung losgefahren, jemanden zu töten“, sagte der Leiter der Mordkommission, Stefan Winkler.
Der heute 64-Jährige ging immer nach dem gleichen Muster vor. "Das ganze Vorgehen war einzigartig grausam“, sagte Winkler. Zunächst habe der Maurer seine Opfer aus dem Auto heraus beobachtet und dann "überfallartig bei günstiger Gelegenheit angegriffen und schnell getötet". Teilweise habe er die Leichen anschließend abtransportiert und an entfernten Orten abgelegt.
Alle fünf Opfer wurden erdrosselt oder erwürgt. Auf die sexuellen Handlungen des Mannes wollte die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen nicht eingehen. Zweifel an seinen Angaben haben die Fahnder nicht. Die Ermittlungen dauern aber noch an, sagte Heß. Obwohl der 64-Jährige dies bestreitet, schließt die Polizei weitere Verbrechen des Mannes nicht aus. "Es wird bundesweit abgefragt“, sagte Winkler. Die Ermittler prüfen nun, ob er auch für den Tod dreier weiterer Frauen aus Norddeutschland verantwortlich sei. "Die passen genau in das Raster“, sagte Winkler.
Laut Oberstaatsanwältin Birgit Heß lebte der mutmaßliche Fünffachmörder von 1969 bis 1971 allein in Norderstedt. Später heiratete Hans-Jürgen S. und zog zunächst nach Kaltenkirchen. "Der Mann hat ein Doppelleben geführt“, sagte Winkler. Bei Befragungen habe sich S. allerdings keinesfalls als Bestie präsentiert. "Er hat gesagt, dass er reinen Tisch machen will“, so der Leiter der Mordkommission. Der 64-Jährige, der zuletzt bei einer Hamburger Bausanierungsfirma arbeitete, sei davon ausgegangen, dass er früher oder später ohnehin mit den anderen Taten in Verbindung gebracht worden wäre.
Diese Morde hat Hans-Jürgen S. gestanden:
Die erste Tat beging er bereits im Juni 1969. Damals tötete er die Optikerin Jutta M. (damals 22) in Harksheide . Er hatte seinem Opfer abends an einer Bushaltestelle aufgelauert.
Die zweite Tat ereignete sich wenige Wochen später. Am 30. September 1969 meldeten Angehörige die 16 Jahre alte Näherin Renate B. aus Norderstedt als vermisst. Sie hatte gegen 20 Uhr die Diskothek „Dandy“ an er Langenhorner Chaussee verlassen. Zeugen beobachteten sie, als sie an der Schleswig-Holstein-Straße stand und als Anhalterin Autos stoppte. In dem ersten Wagen der anhielt, saß ihr Mörder.
Das dritte Opfer kam aus Hamburg: Die 22 Jahre alte kaufmännische Angestellte Angela B. hatte am 31. Juli 1970 gegen 23 Uhr am Bahnhof Langenhorn-Markt die U-Bahn verlassen. Offenbar entdeckte S. sie dort. Die Leiche der jungen Frau wurde später an einem nahe gelegenen Trampelpfad in einem Gehölz gefunden.
Am 24. Oktober 1972 verschwand die damals 15-jährige Norderstedterin Ilse G. Um 18.20 Uhr hatte sie ihre Lehrstelle im Lebensmittelgeschäft Sager am Erlengang im Stadtteil Friedrichsgabe verlassen und wollte mit ihrem Fahrrad zum Haus ihrer Eltern fahren. Doch dort kam sie nie an. Wenige Tage später fanden Polizisten 150 Meter vom Haus das rote Fahrrad und den Einkaufsbeutel des Mädchens. Die Leiche entdeckte ein Spaziergänger im Mai 1973 in einem Graben im Quickborner Ortsteil Heide. Der Täter hatte den Unterkörper seines Opfers entblößt. „Die Jacke war um den Hals geschlungen und mit den Ärmeln zusammengeknotet“, hieß es im damaligen Bericht der Sonderkommission.
Bereits nach seiner Festnahme hatte der Mann gestanden, die 18 Jahre alte Schwesternschülerin Gabriele S. im Februar 1984 vergewaltigt und erdrosselt zu haben. Schüler hatten die Leiche des Mädchens neun Tage nach ihrem Verschwinden in einer Fichtenschonung nahe Weddelbrook bei Bad Bramstedt entdeckt. Zwar gingen die Ermittler bereits damals von einem Sexualmord aus. Bei der Aufklärung der Tat halfen aber erst 27 Jahre später verfeinerte DNA-Untersuchungsmethoden. Experten stellten damit tatrelevante Spuren fest. Danach suchte die Mordkommission mehr als 150 bereits damals bei den Ermittlungen in den Fokus geratene Personen auf. Eine Speichelprobe brachte den entscheidenden Hinweis.
Im Zuge der Ermittlungen wurde auch bekannt, dass der mutmaßliche Fünffachmörder bereits 1993 nach Anzeige einer Prostituierten in Hamburg wegen gefährlicher Körperverletzung und Vergewaltigung zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden war.
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Der Mörder aus der Nachbarschaft
Eine kleine Siedlung steht unter Schock: Nach der Festnahme des mutmaßlichen Mädchenmörders aus Henstedt-Ulzburg hat sich bei den Menschen am Eschenweg schnell herumgesprochen, dass einer ihrer Nachbarn sich für die grausige Tat verantworten muss. Zwei Jahrzehnte haben die Bewohner fast Tür an Tür mit Hans-Jürgen S. gelebt, der 1984 die Schwesterschülerin Gabriele Stender vergewaltigt und erdrosselt haben soll.
"Still, ruhig und sehr unauffällig" - so beschreiben Nachbarn den bärtigen 64-Jährigen, der bei der Mordkommission ein umfassendes Geständnis abgelegt hat und seit Mittwoch in Untersuchungshaft auf seinen Prozess wartet. Das gepflegte Mittelreihenhaus wirkt verlassen. Dort lebte S. mit seiner Mutter, sie hat vor zwei Monaten ihren 90. Geburtstag gefeiert. Bekannte fürchten, dass sie an dem Schmerz zerbrechen könnte, einen Sohn zu haben, der eines furchtbaren Verbrechens beschuldigt wird. Für die Mordkommission besteht kein Zweifel mehr, dass S. der Mann war, der im Februar Gabriele Stender als Anhalterin mitnahm. Sie wollte zur Diskothek Kutsche nach Alveslohe fahren. Ihre Leiche entdeckten spielende Kinder neun Tage später in einem Waldstück in Weddelbrook.
Auf kriminalistischen Umwegen kamen die Fahnder dem Täter auf die Spur
Beamte der Mordkommission hatten Hans-Jürgen S. am Dienstag verhaftet. Eine DNA-Analyse hatte ihn überführt - allerdings erst auf kriminalistischen Umwegen. Zunächst war der Bruder von S. ins Visier der Ermittler geraten. Die Mordkommission hat den Mann bereits kurz nach der Tat überprüft. Obwohl er und das Opfer sich nicht kannten, passte er ins Raster bei der Tätersuche. "Dafür sprachen seine Ortskenntnisse in Henstedt-Ulzburg und Weddelbrook", sagte ein Beamter.
Als die Mordkommission im vergangenen Herbst den Fall erneut aufrollte, überprüften die Ermittler ihn und 150 weitere Männer erneut und baten um eine Speichelprobe für ein neuartiges Verfahren zur DNA-Analyse. Spezialisten des Landeskriminalamtes (LKA) war es gelungen, eine Spur von der Kleidung der Getöteten zu identifizieren. Vor etwa zwei Wochen folgte eine Meldung aus dem LKA, die die Fahnder elektrisierte: Die DNA des Mannes stimme zwar nicht 100-prozentig mit der vom Tatort überein. Wahrscheinlich sei jedoch, dass ein naher Verwandter - vermutlich der Bruder - der Täter sei. Schnell geriet damit Hans-Jürgen S. in den Mittelpunkt der Ermittlungen.
Er war offenbar völlig überrascht, als die Kriminalbeamten am Dienstag vor der Haustür standen und ihn um eine Speichelprobe baten. Sofort fuhren Polizisten mit der Probe ins LKA nach Kiel. Eine Sofortuntersuchung brachte Gewissheit, diese DNA-Spur war ein Volltreffer.
Der Druck, der jetzt aus S. lastete, war so groß, dass er das Verbrechen bis ins Detail gestand. Dabei nannte er auch Details, die nach einer juristischen Bewertung des Amtsgerichts Kiel zu einem Haftbefehl wegen Mordes führten. Hätte der Vorwurf lediglich auf Totschlag und Vergewaltigung gelautet, wäre S. frei gewesen. Beide Taten wären verjährt.
Vor der Haustür am Eschenweg steht der alte BMW von Hans-Jürgen S. Der 64-Jährige ist begeisterter Fan des Hamburger Sportvereins. Er hat Vereinsaufkleber am dem Wagen befestigt, in dem Fahrzeug liegen HSV-Kissen. Täglich ist Hans-Jürgen S. mit dem Wagen zur Arbeit gefahren. Der Festgenommene hat den Beruf des Maurers gelernt. Er arbeitete bei einer Bausanierungsfirma in Hamburg. Hans-Jürgen S. ist seit Jahren geschieden. Als Gabriele Stender 1984 starb, lebte er gemeinsam mit seiner Frau in einem Reihenhaus in Kaltenkirchen. Seine Töchter waren nur wenige Jahre jünger als das Opfer. Hans-Jürgen S. lässt sich von dem Rechtsanwalt Horst Schumacher aus Henstedt-Ulzburg vertreten.
"Ich bin geschockt", sagt ein Nachbar von Hans-Jürgen S. "Der war ein sehr ruhiger, stiller Mann." Alle Mitglieder der Familie seien Fans des HSV - "durch und durch!" Nachbarn sorgen sich besonders um die Mutter des Tatverdächtigen: "Wir nennen sie hier alle liebevoll Oma. Sie muss ja einen Schock bekommen haben, als ihr Sohn zu Hause festgenommen wurde." Ein anderer Anwohner sagt: "Er ist ein guter Handwerker. Dass er so eine Tat begangen haben soll, das hätten wir nie gedacht." Auffällig sei gewesen, dass Hans-Jürgen S. engere Kontakte in der Nachbarschaft stets vermieden habe. Ein Ermittler der Kripo sprach von einem "auffällig unauffälligen" Leben des mutmaßlichen Mörders.
Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft betonen, dass Täter und Opfer sich vor dem Verbrechen nicht kannten. Staatsanwältin Birgit Heß spricht von einer "schicksalhaften Begegnung". Dass Hans-Jürgen S. nach der Scheidung nur wenige 100 Meter vom Elternhaus seines Opfers entfernt nach Henstedt-Ulzburg zog, ist vermutlich nur ein Zufall.
Die Mutter der Toten lebt in der Gemeinde, der Vater ist gestorben
"Ich bin froh, dass dieser Mord aufgeklärt ist", sagt Henstedt-Ulzburgs Bürgervorsteher Carsten Schäfer. Er hofft, dass die Hinterbliebenen von Gabriele Stender die Kraft finden, emotional die Belastungen zu ertragen. Gabriele Stenders Vater ist gestorben, ihre Mutter lebt in der Großgemeinde. Schäfer sorgt sich auch um das Umfeld von Hans-Jürgen S.: "Meine Gedanken sind auch bei der Familie des mutmaßlichen Täters."
Günter Santjer vom Weißen Ring Schleswig-Holstein geht davon aus, dass die Hinterbliebenen des Opfers nach der Festnahme ein Gefühl der Genugtuung erleben. "Für sie ist eine quälend lange Zeit der Ungewissheit vorbei." Gleichzeitig bestehe die Gefahr der Retraumatisierung. Santjer: "Diese Sekundäropfer durchleben einen Spagat zwischen Genugtuung und einem erneuten Aufwühlen der Gefühle." Der Weiße Ring biete kostenlose Unterstützung an und vermittle bei Bedarf therapeutische Hilfe.