Kripo verfolgt nach dem Sexualmord eine neue Gen-Spur. Die Norderstedter Zeitung sprach mit dem Chefermittler.
Henstedt-Ulzburg/Weddelbrook. Mehr als 26 Jahre musste der Täter sich nur von seinem Gewissen verantworten. Jetzt muss der Mörder von Gabriele Stender aus Henstedt-Ulzburg damit rechnen, demnächst vor Gericht zu stehen. Die Mordkommission aus Kiel wird ab Montag DNA-Proben von mehreren 100 Männern nehmen und sie mit den Spuren vom Tatort vergleichen. Die 18 Jahre alte Schwesternschülerin des Krankenhauses Kaltenkirchen war in der Nacht zum 4. Februar 1984 vergewaltigt und erdrosselt worden. Jugendliche entdeckten die Leiche eine Woche später in einer Fichtenschonung in Weddelbrook.
Dass die Ermittler diesen Fall erneut aufrollen und möglicherweise aufklären können, verdanken sie den Spezialisten der Kriminaltechnik des Kieler Landeskriminalamtes. Ihnen ist es gelungen, mit neuer hochmoderner Technik die Gen-Spur eines Mannes vom Tatort so präzise zu analysieren, dass sie dem Mörder eindeutig zugeordnet werden kann. Zwar hatten die Kriminalbeamten in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder nach neuen Anhaltspunkten bei der Aufklärung des Verbrechens gesucht und dabei auch Gen-Spuren analysiert. Doch erst eine nochmals verfeinerte DNA-Analyse führte zu einem Durchbruch. Auf welcher Spur die Ermittler das Gen-Material des Täters identifizieren konnten, will die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen nicht preisgeben.
Bei ihren Ermittlungen im Fall Gabriele Stender werden die Beamten der Mordkommission von Kollegen der Polizeidirektion Bad Segeberg unterstützt. Sie werden sämtliche Männer aus dem Umfeld von Gabriele Stender ansprechen und um eine freiwillige Speichelprobe bitten. Zum Umfeld zählen Freunde und Bekannten, Kollegen und Verwandte. Etwa die Hälfte der Männer leben noch im südlichen Schleswig-Holstein. Die anderen sind umgezogen oder wohnen im Ausland.
Stimmt die DNA-Probe eines Mannes mit der vom Tatort überein, können die Beamten sicher sein, den Täter vor sich zu haben. Die Polizei hat die neue Gen-Spur mit den DNA-Daten in den deutschen und europäischen Datenbanken verglichen, doch ohne Erfolg.
"Sie war sehr beliebt und stand kurz vor der Führerscheinprüfung"
Gabriele Stender verschwand in der Nacht zum 4. Februar. "Gabriele Stender wurde von allen als freundliche, zuverlässige, sympathische junge Frau beschrieben, die mit niemandem Probleme hatte", sagt Polizeisprecherin Tanja Emmen. "Sie war sehr beliebt und stand kurz vor der Führerscheinprüfung." "Ein nettes, hübsches Mädchen", sagt der Leiter der Mordkommission, Stefan Winkler, über die 18-Jährige, die bei ihren Eltern in Henstedt-Ulzburg lebte und den Tag bei einer Freundin verbracht hatte. Zunächst hatten die jungen Frauen geplant, abends gemeinsam zum Tanzen zu gehen. Als die Freundin sich jedoch entschied, zu Hause zu bleiben, machte sich Gabriele Stender am späten Abend allein auf den Weg zur Diskothek "Kutsche" in Alveslohe. Die junge Frau zählte zu den Stammgästen.
"Dort kam sie nie an", sagt Winkler. Ihre Spur verliert sich an diesem Freitag gegen 23.15 Uhr an der Hamburger Straße in Höhe der Kirche. Dort wurde sie zuletzt gesehen. Ein Zeuge hatte beobachtet, wie Gabriele Stender als Anhalterin an der Fahrbahn stand. Schön öfter hatte sie mit ihrer Freundin Autos angehalten, um zur "Kutsche" oder in die Disco "Bonanza" nach Kaltenkirchen zu fahren. Der Mann, der in dieser Nacht anhielt, war ihr Mörder.
Das Schicksal der 18-Jährigen blieb zunächst rätselhaft
Noch wissen die Ermittler nicht genau, was danach geschah. Fest steht, dass der Unbekannte sein Opfer auf einem einsam gelegenen Weg im Weddelbrooker Waldstück "Vogelzunge" vergewaltigte und mit ihrem eigenen Schal erdrosselte. Dort ließ er die Leiche zurück und flüchtete. Ob Gabriele Stender nach Weddelbrook entführt wurde oder ob ein Bekannter sie unter einem Vorwand in das Dorf bei Bad Bramstedt lockte, ist bislang rätselhaft. Ebenfalls unklar ist, ob eventuell mehrere Täter an dem Verbrechen beteiligt waren.
Als Gabriele Stender am Sonnabend nicht nach Hause zurückgekehrt war, begannen ihre beiden Brüder und die anderen Familienmitglieder, sie zu suchen. Kurz darauf schaltete die Familie die Polizei ein und erstattete Vermisstenanzeige. Doch das Schicksal der 18-Jährigen blieb zunächst rätselhaft. Trotz einer umfangreichen Suche mit Unterstützung von Polizeihubschraubern und Aufrufen in den Medien blieb die junge Frau verschwunden.
Fortschritte beim genetischen Fingerabdruck gehen weiter
Bis zum Sonntag, 12. Februar. 25 Kilometer von Henstedt-Ulzburg entfernt entdeckten zwei 14 Jahre alte Jungen eine Leiche in Weddelbrook. Kurze Zeit später bewahrheiteten sich die schlimmsten Befürchtungen der Angehörigen: Bei der Toten handelte es sich um Gabriele. Rechtsmediziner stellten eindeutig fest, dass sie vergewaltigt worden war. "Es hat ein Kampf stattgefunden", sagt ein Ermittler. Ins Visier der Mordkommission geriet damals ein Jugoslawe, nach dem wegen Vergewaltigung eines anderen Mädchens gefahndet wurde. Nach seiner Festnahme saß er in Untersuchungshaft. Inzwischen ist jedoch sicher, dass der Mann nicht der Mörder von Gabriele Stender ist.
"Wir hoffen, dass alle Männer ihre Proben im Interesse der Aufklärung der Tat abgeben", sagt Winkler. Sollte der Gen-Abgleich im Umfeld der Getöteten zu keinem Erfolg führen, schließt er einen Massentest in der Region nicht aus.
Der Fall Gabriele Stender ist der erste in Schleswig-Holstein, der mit Hilfe der nochmals verfeinerten DNAAnalyse aufgeklärt werden könnte. In anderen Bundesländern standen bereits Täter vor Gericht, denen nach Jahrzehnten ein Verbrechen nachgewiesen werden konnte. "Besonders im Bereich der Minimalspuren gehen die Fortschritte der Technik immer weiter", sagt Winkler. Polizeisprecherin Emmen weist außerdem auf die Bedeutung einer erfolgreichen Polizeiarbeit für die Hinterbliebenen hin. "Eine Aufklärung des Verbrechens ist für die Angehörigen zumeist ein wichtiger Aspekt im Rahmen der Trauerarbeit", sagt sie.
Für Hinweise, die zur Aufklärung der Tat und zur Ergreifung des Täters führen, hat die Staatsanwaltschaft Kiel eine Belohnung in Höhe von 1500 Euro ausgesetzt. Die Mordkommission bittet Zeugen um Hinweise unter Telefon 0431/160 33 33 oder 110.
Erst vor wenigen Tagen war es der Polizei mit Hilfe des genetischen Fingerabdrucks gelungen, nach 25 Jahren den Mord an der 26 Jahren alten Gabriele E. in Stapelfeld aufzuklären. Ihr Mörder Andreas K. aus Tangstedt hatte vor wenigen Wochen eine junge Frau in Bargteheide verschleppt und vergewaltigt. Danach ließ er sein Opfer frei und brachte sich um. Eine DNA-Spur des Toten führte zum Fall Gabriele E.