Das Anti-Atom-Bündnis Nordost hatte über besonders hartes Vorgehen gegen Protestler entlang der Strecke nach Lubmin geklagt.
Lubmin/Greifswald. Der Castor-Transport aus der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe (WAK) in das Zwischenlager Nord (ZLN) bei Lubmin ist abgeschlossen. Nach rund 28 Stunden und 900 Kilometern Fahrt hat der Zug mit hochradioaktivem Atommüll den Bestimmungsort in Mecklenburg-Vorpommern erreicht - unter Begleitung je tausender Atomkraftgegner und Polizisten. Mehrere Gleisblockaden von Atomkraftgegnern verzögerten die Ankunft. Zur Absicherung des letzten Castor-Transports nach Lubmin waren bundesweit rund 7.000 Polizisten zum Einsatz.
Und während man in Lubmin und dem Innenministerium des Landes zufrieden ist mit dem Polizei-Konzept, werfen Vertreter des Anti-Atom-Bündnisses Nordost der Polizei ein unverhältnismäßig hartes Vorgehen bei den Protestaktionen vor. Insbesondere an der Mahnwache Kemnitz seien Polizeibeamte in der Nacht zum Donnerstag mit übertriebener Härte gegen Demonstranten vorgegangen, sagte Sprecher Daniel Holtermann in Greifswald.
Dabei hätten Teilnehmer nach Angaben von Sanitätern Prellungen, Gelenkverdrehungen sowie geplatzte Lippen und Zahnverlust als Folge gezielter Schläge ins Gesicht erlitten. Eine junge Frau habe stationär behandelt werden müssen.
Kritisiert wurden ferner die Ingewahrsamnahme von Aktivisten und Sanitätern sowie zwei Platzverweise der Polizei. Diese seien am Mittwoch unter fadenscheinigen Gründen ausgesprochen worden und dann später vor Gericht gescheitert. „Es gab rausgeschlagene Zähne, blutige Lippen und Nasen“, sagte die Grünen-Politikerin Ulrike Berger.
Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) bestätigte Handgreiflichkeiten mit der Polizei bei Kemnitz, bei denen ein Demonstrant verletzt worden sein soll. Der Vorgang müsse ordnungsgemäß aufgearbeitet werden, sagte der Minister. Es würden dazu staatsanwaltschaftliche Ermittlungen aufgenommen.
Abgesehen davon ist Caffier zufrieden mit dem Ablauf des Castor-Transports von Karlsruhe nach Lubmin. Eine Verspätung von vier Stunden sei akzeptabel, sagte Caffier am Donnerstag in Lubmin. Die Aktionen der Atomkraftgegner seien abgesehen von einigen grenzwertigen Unternehmungen überwiegend friedfertig gewesen.
Etwaige Vorwürfe gegen einzelne Polizisten, unverhältnismäßig gehandelt zu haben, würden überprüft, transparent behandelt und gegebenenfalls geahndet, betonte Caffier. Eine Vorverurteilung lehnte der Innenminister ab.
Führer von Landes- und Bundespolizei zogen unterdessen ein positives Fazit ihres Einsatzes und wiesen zugleich die Kritik von Atomkraftgegnern zurück, die Beamten hätten unangemessen Gewalt angewendet. Die Vorwürfe, die Polizei sei „super brutal“ gegen Demonstranten vorgegangen, treffe nicht zu, sagte der Präsident der Bundespolizei Nord, Joachim Franklin, am Donnerstag in Anklam. In einem Falle sei ein Demonstrant in Kemnitz nahe Lubmin bei dem Versuch, die Schienen zu blockieren, verletzt worden und habe sich eine blutige Nasse geholt. Dass Demonstranten Zähne ausgeschlagen wurden, könne er nicht bestätigen. Franklin kündigte eine umfassende Prüfung der Vorgänge an. Der verletzte Atomkraftgegner hat inzwischen Strafantrag gegen die Polizei gestellt.
Minister Caffier bedankte sich bei den Polizisten für die Gewährleistung eines sicheren Transports nach Lubmin. Zum neuen Verkehrskonzept der Polizei rund um Lubmin sagte Caffier, es habe sich während des Castor-Transports bewährt. Im Unterschied zum Transport im Dezember hätten sich die Behinderungen für die Bevölkerung in Grenzen gehalten.
Unterdessen hoffen die Lubminer trotz des Atommülls auf weiteres Wachstum im Tourismus. „Das mit dem Verkehr hat diesmal schon viel besser geklappt, als im Dezember beim Castor-Transport“, sagte der Bürgermeister der 2000-Seelen-Gemeinde, Axel Vogt (CDU), am Donnerstag. Es habe beim Transport am Donnerstagmorgen nur in der letzten halben Stunde kurze Staus kurz vor der Einfahrt zum Zwischenlager Nord im benachbarten Rubenow gegeben. Für die Lubminer heiße das: „Na endlich ist er drin, jetzt haben wir wieder unsere Ruhe.“
+++ Der Verlauf des Castor-Transports zum Nachlesen +++
Rund um den neuerlichen Castor-Transport ins ZLN gab es deutlich weniger Verkehrseinschränkungen als vor zwei Monaten. Damals waren Kinder stundenlang nicht von Schulen und Kindergärten nach Hause gekommen, ihre Eltern standen ebenfalls stundenlang in Staus. Die Kritik riss nicht ab. „Das haben wir auf einer Versammlung mit der Polizei richtig ausgewertet, damals hat sich der zuständige Landespolizeichef auch bei den Lubminern entschuldigt“, erzählen Vogt und andere Lubminer.
Ein negatives Image wegen der Castor-Transporte befürchtet der Bürgermeister des Seebades am Greifswalder Bodden eher nicht. „Wir haben stetig steigende Gästezahlen und auch die Hauptsaison 2011 ist fast ausgebucht“, erklärt Vogt. Leute, die nicht in Lubmin Urlaub machten, weil es in der Nähe das Zwischenlager gibt, seien „Einzelfälle“. Eine derjenigen dürfte die 18-jährige Franzi aus der Nähe von München sein. Sie kam mit Freund Jonas, der Soziale Arbeit studiert und außerdem „gegen Tierausbeutung“ ist, am Mittwochabend erstmals nach Vorpommern und Lubmin – und fährt enttäuscht wieder ab.
Die beiden haben an Mahnwachen teilgenommen und versucht, für eine Sitzblockade auf die Gleise zu kommen. Einmal geraten sie dabei mit 50 Gleichgesinnten in einen Polizei-Kessel. Als sie wieder „entlassen“ werden, laufen sie von Beamten begleitet vier Kilometer über Felder, finden aber keine Lücke in der Absperrung. An der nächsten Mahnwache zieht die Polizei plötzlich ab - der Weg auf die Schienen wäre frei, doch da scheint die Müdigkeit die meisten Demonstranten zu besiegen. „Die gehen alle Tee trinken, statt zum Gleis zu laufen: Wir sind enttäuscht“, sagt Franzi – und legt sich im eigenen Transporter schlafen. Den vorbeifahrenden Castor-Zug sehen beide nicht mehr.
Bürgermeister Vogt ist dagegen zur Stelle: „Ich bin extra frühmorgens zu der Kreuzung gegangen, aus dem Dorf waren diesmal nur wenige da.“ Auch die Verkäuferin beim Bäcker in Lubmin ist zufrieden, dass der Zug durch ist: „Wat mutt, dat mutt, wenn sie das woanders hinbrächten, würde dort demonstriert“, erklärt die Frau pragmatisch.
Wenn es nach dem Anti-Atom-Bündnis Nordost ginge, würde in Deutschland künftig per Volksentscheid über die weitere Nutzung der Atomkraft entschieden. Die Bevölkerung, die mehrheitlich gegen die Kernenergienutzung sei, müsse selbst über die Zukunft der Energiewirtschaft entscheiden, sagte Holtermann. Konkrete Aktionen wie eine Unterschriftensammlung für einen Volksentscheid seien zunächst jedoch nicht vorgesehen.
Innenminister Caffier geht davon aus, dass kein weiterer Castor-Transport ins Zwischenlager rollen werde. Es seien im Innenministerium als auch beim ZLN keine derartigen Anträge oder Planungen bekannt. Gegenteilige Behauptungen wies der Ressortchef als Stimmungsmache zurück.
Mit Material von dpa und dapd