Die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann sucht nach ihrem Rücktritt neue Ziele und schaut zurück. Es war wie: “gehe zurück auf Los!“
Hannover. An ihrem 52. Geburtstag, am 3. Juni dieses Jahres, ist Margot Käßmann aufgewacht, und ihr erster Gedanke war: "Das ist so ein bisschen wie Monopoly, gehe zurück auf Los." Die ehemalige hannoversche Landesbischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) war im Februar von allen Ämtern zurückgetreten. Nun sucht sie nach neuen Aufgaben, neuen Zielen.
An diesem Wochenende hat sie in den beiden ersten Interviews seit ihrem Rücktritt Auskunft gegeben über Gefühle. Und sie hat sich auch ohne Amt wieder eingemischt in die Politik, von Afghanistan bis Sparpaket.
Im August packt sie für vier Monate die Koffer, für eine Gastprofessur in den USA. Aber wie es danach weitergeht für die Pastorin der Landeskirche, ist völlig offen, wie sie im Gespräch mit dem "Spiegel" feststellte: "Ich habe keinen Arbeitsplatz, ich habe keine Wohnung, jetzt ist auch meine jüngste Tochter ausgezogen. Ich werde ohne Familie irgendwo neu anfangen." Geduldig hat sich Käßmann auch bohrende Nachfragen zu ihrer Alkoholfahrt gefallen lassen, aber an einem Punkt wurde sie energisch: "Ich glaube, wir beenden jetzt dieses Gespräch." Da nämlich wollte der "Spiegel" auch noch erfahren, wer denn am späten Abend des 20. Februar neben ihr saß, als sie wenige Hundert Meter entfernt von ihrer Wohnung von Polizisten beobachtet wurde, wie sie ein Ampel-Rotlicht missachtete: "Ich muss sagen, ich finde das absurd. Was hat das mit meinem Leben und allem zu tun? Und welchen Anspruch von Öffentlichkeit gibt es da?"
Klar habe es bei ihr und den vier Töchtern Tränen gegeben nach der Alkoholfahrt: "Wir haben alle geheult, durch die Bank." Nach der Entscheidung aber für den Rücktritt und auf der Pressekonferenz, zu der alle vier Mädchen die Mutter begleiteten, gab es eine klare Anweisung: "Ich habe auch meinen Töchtern gesagt, wir werden nicht weinen. Das haben sie auch nicht, da sind sie Töchter ihrer Mutter."
Angesprochen auf das bundesweite Medienecho noch über ihren Rücktritt hinaus, fragte Käßmann zurück: "Wo ist denn die Verhältnismäßigkeit, da war ein Erdbeben in Haiti." Und mochten einige auch spotten über die Kirchenobere, die Wasser predige und Wein trinke, tröstlich war der Anblick der Kisten, in denen getrennt nach Tenor mehr als 2600 Briefe und über 12 000 E-Mails sortiert wurden: "Die Positivkisten wurden immer voller, die Negativkisten blieben sehr leer."
Ein älterer Mann bot gar an, ihre Punkte in Flensburg zu übernehmen. Schließlich sei er mehrfach unter Alkoholeinfluss gefahren, aber nie erwischt worden.
Und was nun ihre offene Zukunft angeht, rückt Käßmann die Maßstäbe zurecht, erinnerte daran, dass ihr Vater mit 52 Jahren gestorben ist: "Mir geht es mit 52, trotz allem, gut. Ich falle auch ohne Amt nicht auf Hartz IV zurück. Ich habe viele Privilegien in meinem Leben." Angesprochen auf das Sparpaket der Bundesregierung und soziale Einschnitte, wurde Käßmann im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst deutlich. Es gehe nicht an, gerade Hartz-IV-Familien und Wohngeldempfänger zu belasten: "Diese Schieflage müssen die Kirchen anprangern, der soziale Frieden ist in Gefahr, wenn viele Menschen immer ärmer werden."
Mit ihrer Kritik am Bundeswehreinsatz in Afghanistan hatte Käßmann für Aufregung gesorgt. Jetzt begrüßt sie ausdrücklich Pläne, die Wehrpflicht abzuschaffen: "Unter den jetzigen Bedingungen macht eine Freiwilligenarmee wesentlich mehr Sinn."
Den von einem deutschen Offizier befohlenen Luftangriff auf Tankfahrzeuge mit vielen zivilen afghanischen Opfern nannte Käßmann einen Schock für die Gesamtgesellschaft: "Auf einmal ist klar, wir laden als Nation wahrscheinlich Schuld auf uns. Das ist viel zu lange tabuisiert worden."