Wirtschaftsforscher warnen die schwarz-gelbe Koalition. Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland immer größer
Berlin. Die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland klafft zusehends auseinander: Auf der einen Seite gibt es immer mehr und immer ärmere Haushalte, auf der anderen "immer mehr Reiche, die auch immer reicher werden". Das ist das Ergebnis einer Langzeitstudie, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gestern veröffentlicht hat.
Verlierer dieser Entwicklung in den letzten zehn Jahren sei die Mittelschicht, schreiben die Forscher. Dabei sei gerade sie "wichtig für den Erhalt der gesellschaftlichen Stabilität". Nach Angaben des DIW ist der Anteil der Mittelschicht an der Bevölkerung seit dem Jahr 2000 von 64 bis auf 60 Prozent gesunken und erst 2009 wieder leicht gestiegen. Zur Mittelschicht rechnen die Forscher Menschen mit einem Nettoeinkommen zwischen 860 und 1844 Euro. DIW-Experte Jan Goebel appellierte an die Bundesregierung, das geplante Sparpaket noch einmal zu überdenken. "Die Reicheren verdienen immer besser. Da stellt sich schon die Frage, ob diese Gruppe nicht auch einen Sparbeitrag leisten sollte."
Nach Angaben der Berliner Wirtschaftsforscher ist vor allem die Zahl der Menschen mit niedrigem Einkommen deutlich gestiegen - von 18 Prozent im Jahr 2000 auf fast 22 Prozent im vergangenen Jahr. Sie hatten auch immer weniger Geld: Verfügte ein Single-Haushalt der unteren Einkommensgruppe im Jahr 2000 im Schnitt über 680 Euro, waren es 2008 nur noch 645 Euro. Gleichzeitig stieg der mittlere Verdienst in den höheren Einkommensgruppen von 2400 auf 2700 Euro.
"Der Abstand zwischen Arm und Reich vergrößerte sich also erheblich", konstatieren die Forscher. Zur Schicht der Reichen zählten 2009 gut 16 Prozent der Deutschen. Zwar sei der Anteil der vermögenden Haushalte durch die Wirtschaftskrise im Vorjahr wieder leicht gesunken, stellten die Wissenschaftler fest. Allerdings hätten diese 2009 weit höhere Einkommen erzielt als noch in den Jahren zuvor.
Der Sozialverband VdK Deutschland bezeichnet die Ergebnisse der Studie als in höchstem Maße alarmierend. "Das geplante Sparpaket darf so nicht in Kraft treten. Hier muss die Notbremse gezogen werden", sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. Auch Opposition und Gewerkschaften appellierten an die schwarz-gelbe Koalition, ihr umstrittenes Sparpaket zu stoppen und wohlhabende Bürger stärker zu belasten.
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles erklärte, die Studie sei "ein weiteres großes Stoppschild für die Politik der Bundesregierung". Die schwarz-gelbe Koalition dürfe die Einkommensgegensätze zwischen ärmeren und reicheren Haushalten mit ihrem Sparpaket nicht weiter verschärfen. Um ein weiteres Abrutschen im unteren Einkommensbereich zu verhindern, müsste ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt und die Leiharbeit wirksam begrenzt werden. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, warf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, ihr Sparpaket enthalte keinen Ansatz, die Auseinanderentwicklung der Gesellschaft zu bremsen.
Claus Matecki, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), forderte die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine reformierte Erbschaftssteuer, eine Finanztransaktionssteuer und höhere Spitzensteuersätze. Die Mehrheit der deutschen Führungskräfte würde einen höheren Spitzensteuersatz zur Haushaltskonsolidierung sogar akzeptieren. In diesem Sinne zumindest äußerten sich 66 Prozent der mehr als 500 Verantwortlichen aus Wirtschaft und Politik, die das Institut für Demoskopie Allensbach für das "Capital-Elite-Panel" befragt hat.