Viele Gläubige fordern eine zweite Chance für die Theologin. Ihre erste Predigt in Hannover nach dem Rücktritt begeistert die Zuhörer.
Hannover. Am Ende benutzt kaum jemand die beiden großen Seitenausgänge, weit über tausend Gläubige harren bis zu 20 Minuten geduldig in der mächtigen gotischen Marktkirche in Hannover aus, nur um ihr die Hand drücken zu können. Margot Käßmann tröstet weinende Frauen, bekommt Blumen, schenkt ein Lächeln.
Draußen vor den Stufen des Gotteshauses singen sie mit Inbrunst nach der Melodie "Komm, sag es allen weiter" ihren Wunsch: "Wir wollen Margot Käßmann als Bischöfin zurück. Sie ist doch für uns alle ein lang ersehntes Glück." Drinnen haben sie zum Schluss des Gottesdienstes schon massenweise ihr großes Foto mit dem Slogan "2. Amtszeit" hochgehalten.
+++ Käßmann bedankt sich und läßt berufliche Zukunft offen +++
Nach einer Trunkenheitsfahrt Ende Februar war Käßmann als Bischöfin der Landeskirche Hannover und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zurückgetreten, diese rasche und klare Entscheidung hat ihr viel Beifall eingebracht. Gestern stieg sie zum ersten Mal wieder die Stufen zur Kanzel der hannoverschen Bischofskirche hinauf - unter Beifall.
Für ihre Predigten ist sie in den zehn Jahren an der Spitze der größten evangelischen Landeskirche gerühmt worden, und sie erreichte ihre Zuhörer auch jetzt wieder sofort mit klaren Worten, die eben eindeutig aus sie selbst meinten. "Alle Menschen sind fehlbar", sagt sie und fügt lächelnd hinzu: "Niemand ist perfekt, nicht einmal Lena Meyer-Landrut, obwohl es ziemlich perfekt war und wir ihr natürlich alle gratulieren."
Dann wird sie sofort wieder ernst, spricht von Situationen, in denen das Leben in ein Chaos zu stürzen scheine: "Ich habe da inzwischen so einige Erfahrungen gemacht - da verstehst du dann einfach nicht, wie so etwas passieren kann." Und dann zitiert sie wieder Paulus und Martin Luther und macht Mut, nennt die Vergebung von Schuld "den tiefsten Urgrund christlicher Freiheit". Eben deshalb, so erläutert sie, engagiere sich die Kirche so vehement gegen die Todesstrafe: "Keine Schuld kann so schwer sein, dass sie anderen das Recht gibt, das fünfte Gebot zu überschreiten."
Da kommt sie für einen Moment noch einmal durch, die Ratsvorsitzende, die mit ihrer Kritik am Afghanistan-Einsatz Wirbel ausgelöst hat und zurückgetreten ist mit der ausdrücklichen Begründung, genau solche notwendigen Äußerungen könne sie nach der Trunkenheitsfahrt nicht mehr mit der notwendigen Autorität tun.
Während der Predigt bricht ein Rentner in einem Seitenschiff zusammen: Kreislaufkollaps. Ein Arzt und zwei Sanitäter stabilisieren ihn, wollen ihn aus der Kirche bringen. Nein, er schüttelt den Kopf, setzt sich wieder auf seinen Klappstuhl, nickt zu ihr herüber. Er will ihr zuhören und bleibt bis zum Predigtschluss.
Die ehemalige Bischöfin ist nach Fehlbarkeit und Vergebung jetzt bei den Konsequenzen angekommen: "Wir können gar nicht anders als Gott loben", Glaubenshaltung ist für sie "Lebenshaltung" eben, und ausgerechnet an diesem Tage, der ja wieder ein Stück Abschied ist von der eigenen auch gegen Widerstände erkämpften Karriere, demonstriert sie, was sie empfiehlt: "Weil wir geborgen sind, können wir mitten in einer Welt der Umbrüche und Ängste mutig unseren Mann und unsere Frau stehen, können antreten für Gerechtigkeit und Frieden."
Zur Aufforderung, doch wieder anzutreten für das Bischofsamt, sagte Käßmann gestern nichts. Aber sie schickte die Gottesdienstbesucher mit der Aufforderung nach Haus: lächeln bitte, mit heruntergezogenen Mundwinkeln kannst du Gott nicht loben." Und vielleicht denkt sie noch an einem weiteren Satz aus der eigenen Predigt, als sie danach über so viel Trauer und anhaltende Betroffenheit am Kirchenportal hinweglächelt: "Der Glaube an Gott macht unser Leben reich und froh in guten und schweren Zeiten."
Aus dem kirchlichen Umfeld ist zu erfahren, dass sie nicht erneut für das Bischofsamt kandidieren wird, trotz entsprechender Bitten und der Bittgesänge anschließend vor der Marktkirche. Dort demonstrierte der Mitarbeiter-Vertretungs-Verband der Evangelischen Kirchen (MVV) "für die zweite Amtszeit der Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann". Werner Massow, Vorsitzender des MVV, sagt in seinen kleinen Lautsprecher vor der Kirche auch den Satz, es gehe sogar um Arbeitsplätze, "weil nicht egal ist, wer an der Spitze der Kirche steht".