Der Bundestag beschließt Zwangsrabatte bei Medikamenten. Reicht das, um die von der Pleite bedrohten Krankenkassen zu retten?
Berlin. Der Bundestag hat den Startschuss zu Milliardeneinsparungen im Gesundheitswesen gegeben. Mit den Stimmen von Union und FDP beschloss das Parlament, befristet bis Ende 2013 den Pharma-Zwangsrabatt auf verschreibungspflichtige Medikamente von sechs auf 16 Prozent zu erhöhen. Die Preise sollen rückwirkend auf dem Stand vom 1. August 2009 eingefroren werden. Diesen Rabatt müssen die Firmen gewähren.
Die Koalition will mit den ab August startenden Regelungen in diesem Jahr rund 500 Millionen Euro und ab 2011 pro Jahr 1,15 Milliarden Euro bei den Krankenkassenausgaben sparen. Um nach weiteren Sparmöglichkeiten zu suchen, kamen die Gesundheitsexperten zu einer zweitägigen Klausur in Berlin zusammen.
Gesundheitsminister Philipp Rösler betonte, notwendig seien Kürzungen in Milliardenhöhe, um das drohende Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von elf Milliarden Euro in den Griff zu bekommen. Darüber hinaus müsse es strukturelle Veränderungen auf der Einnahmenseite geben. Ansonsten kämen viele Kassen in Schwierigkeiten. Damit meint Rösler sein Konzept der Kopfpauschalen, die er „Gesundheitsprämie“ nennt.
„Nichtstun ist keine Lösung“, sagte Rösler. Die Koalition müsse sich ihrer Regierungsverantwortung stellen. Zugleich forderte der FDP-Politiker die CSU auf, eigene Sparvorschläge zu unterbreiten.
Die Gespräche waren anberaumt worden, nachdem die Koalitionsspitzen ein Reformmodell Röslers auf Druck der CSU gekippt hatten. Es sah einen langfristigen Einstieg in eine pauschale Gesundheitsprämie für die Arbeitnehmer vor, sollte aber auch die drohende Finanzlücke in den Griff bekommen. Ergebnisse werden von der Klausur wegen vieler Streitpunkte nicht erwartet. Ein weiteres Treffen ist für den kommenden Mittwoch geplant.
Bei den Einsparungen werde es „keine Tabus“ geben, kündigte Rösler an. Ärzte und Krankenhäuser würden ebenso betroffen sein wie andere Ausgabenfelder. Ein Papier der CDU-Fachleute mit Einsparungen im Umfang von 2,2 Milliarden Euro bezeichnete er als gute Grundlage für die Beratungen, da dort alle Bereiche tangiert würden.
Das Konzept sieht unter anderem eine Nullrunde für Kliniken und Zahnärzte und geringere Honorarsteigerungen für die übrigen Ärzte vor. Insgesamt will die Koalition zusammen mit dem Arznei-Sektor vier Milliarden Euro sparen. CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn mahnte, notwendig sei eine Kombination aus kurzfristigen Einsparungen und einer langfristigen neuen Finanzierungsgrundlage. Da die Kassen Planungssicherheit bräuchten, müsse die Koalition sich „in den nächsten Tagen“ einigen. „Wir haben nur noch diesen einen Schuss, und der muss bis zur Sommerpause sitzen.“
Immer stärker kristallisiert sich heraus, dass die Koalition vermutlich auf eine Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge setzen wird, die finanzschwache Kassen schon heute erheben können und die einer Pauschale für die Arbeitnehmer gleichkommen. Im Gespräch ist, die Obergrenze von ein Prozent des Einkommens heraufzusetzen, wodurch auf gesetzlich Versicherten Mehrkosten zukämen.
Spahn betonte, wenn die Beitragssätze von Arbeitnehmern und Arbeitgebern stabil bleiben sollten und die Zuschüsse des Bundes begrenzt seien, gebe es kaum andere Möglichkeiten. Ab einer gewissen Höhe müssten die Zusatzbeiträge allerdings sozial ausgeglichen werden.
Für die CSU zeigte sich Unions-Fraktionsvize Johannes Singhammer zu Ausgabenkürzungen bereit. Etwa gehe es darum, bei Ärzten und Kliniken die Zuwächse für 2011 zu begrenzen. Unklar war, inwiefern Singhammer und CSU-Sozialexperte Max Straubinger bei der Klausur Prokura haben, um im Namen der Parteispitze zu verhandeln. Frühere Vereinbarungen waren später vom CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer oder dem bayerischen Gesundheitsminister Markus Söder wieder einkassiert worden. Eine Teilnahme Söders wurde in der CSU-Landesgruppe nicht erwartet.
Kritik an dem vom Bundestag beschlossenen Zwangsrabatt kam vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). „Das ist ein Foul an der standortgebundenen deutschen Pharmaindustrie“, sagte der Vorsitzende Bernd Wegener. Die Unternehmen seien durch den seit Jahren andauernden massiven Preisverfall im Generikamarkt ohnehin extrem belastet.