15 000 Menschen protestierten. Es begann friedlich, doch dann räumte die Polizei die besetzten Gleise.

Gorleben. Mitten im Wald treffen Polizei und rabiate Atomkraftgegner aufeinander. Mehrere Hundert Demonstranten haben sich bei Hitzacker im Dickicht zu den Gleisen durchgeschlagen, plötzlich gehen dort Holzbarrikaden in Flammen auf, Demonstranten werfen Knallkörper. Auf den Bahngleisen kommt es am Sonntag im Wendland schon Stunden vor dem erwarteten Eintreffen des Atommüll-Zuges aus Frankreich zu Ausschreitungen.

Die Polizei treibt gewalttätige Demonstranten mit Schlagstöcken auseinander. Wasserwerfer sind im Einsatz, um Feuer auf den Schienen zu löschen. Den ganzen Tag über belagern Protestgruppen an vielen Stellen die Schienen - sie wollen den Transport ins Atommüll-Zwischenlager Gorleben stoppen. Die Polizei, die mit mehr als 10 000 Beamten die Strecke in Niedersachsen sichert, spricht von einem "Katz-und-Maus-Spiel" mit den insgesamt 15 000 Demonstranten. Viele Aktionen bleiben aber friedlich.

Am Nachmittag versammeln sich Hunderte Atomkraftgegner mit roten Zipfelmützen auf den Gleisen - sie hören irische Dudelsackmusik und pusten Seifenblasen in die Menge. Freiwillig geben auch sie ihre Sitzblockade nicht auf, aber die Polizisten können sie ohne größere Zwischenfälle von der Zugstrecke wegtragen.

Im Schutz der Dämmerung kommt es dann plötzlich zu immer neuen Blockaden. Die Polizei, die schweres Räumgerät bereithält, spricht von gewalttätigen Demonstranten im dicht bewaldeten Gelände.

Die heiße Phase der Proteste steht traditionell dann bevor, wenn der Zug die Verladestation in Dannenberg erreicht hat und der Atommüll für die Weiterfahrt mit Lastwagen bis nach Gorleben vorbereitet wird. Dort harren seit Sonnabend Hunderte Menschen auf der Straße vor dem Zwischenlager aus, wo die Behälter nach rund 1000 Kilometern Fahrt aus Frankreich gelagert werden.

Auch Grünen-Chefin Claudia Roth, ihr designierter Amtskollege Cem Özdemir und die Fraktionsvorsitzende Renate Künast sind unter den Demonstranten. Kritisch beäugt von vielen Wendländern: "Die haben uns das alles eingebrockt", schimpft ein Demonstrant mit Blick auf den unter Rot-Grün beschlossenen Atomkonsens.

Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg dagegen gewinnt der größten Anti-Atom-Demonstration seit Jahren nur Positives ab: "Wir sind wieder im Spiel", sagt er selbstbewusst. Auch Jochen Stay, Sprecher der Kampagne x-tausendmal quer, ist zufrieden: "Es gibt eine Renaissance der Anti-Atomkraft-Bewegung." Dabei geht es vor allem um die weltweit ungelöste Endlager-Frage.

"Mit jedem Castor, der nach Gorleben geschafft wird, werden Fakten für ein potenzielles Endlager geschaffen", empört sich Axel Horns (39) aus Hamburg-St. Pauli. "Und das, obwohl überhaupt nicht klar ist, ob der Gorlebener Salzstock geeignet ist." Deshalb ist der gebürtige Dannenberger wie viele andere jedes Mal wieder bei den Protesten dabei. "Es geht um unsere Heimat", sagt Claus Vogel (67). Zusammen mit seiner Frau Inge (63) saß der Rentner aus Lüneburg auf einem Strohballen vor der Einfahrt zum Zwischenlager.

Hier im Wendland ist schnell bekannt, dass es Anschläge auf Signale der Bahnstrecke Hamburg-Berlin gegeben hat, die die Polizei im Zusammenhang mit dem Atommülltransport sieht. Auch bei Reinbek wurde ein Brandanschlag verübt. In zwei Schaltkästen entdeckte die Polizei Brandbeschleuniger.

Gegen Abend richten sich die Demonstranten vor dem Tor zum Zwischenlager für die Nacht ein. Es gibt Livemusik, eine Suppenküche. An einem Info-Stand liegt die "Kleine Blockadefibel". Immer mehr Menschen strömen herbei. Aber auch die Zahl der Polizisten wird erhöht, bis zum Abend greifen sie aber nicht ein.

"Die Stimmung ist friedlich", so Polizeisprecher Matthias Rose. Überall machen die Wendländer mit Aktionen ihrem Protest gegen die Atommülltransporte Luft. "Wenn es losgeht, sind wir auf der Straße", beschreibt die Dannenbergerin Susanne Ehlert (45) das immer gleiche Ritual. Dazu gehören auch die Trauer und die Wut, wenn die nächsten Atombehälter im Zwischenlager sind.