Trotz anbrechender Dunkelheit lies eine Schaffnerin wegen 2 Euro ein zwölfjähriges Mädchen allein auf dem Bahnsteig aussteigen. Ein Fall, der für Empörung sorgt. Deborahs Uroma zum Abendblatt: “Wie kann man nur ein Kind aussetzen!“

Bad Doberan. Irmgard Kummer versteht die Welt nicht mehr: "Es ist allerhand. Wie kann man nur ein Kind aussetzen! Deborah hatte doch kein Telefon und musste das schwere Cello bis nach Hause schleppen. Und es war auch schon dunkel." Die 80-Jährige aus Bad Doberan ist empört und aufgeregt über das Verhalten der Zugbegleiterin, die ihre zwölf Jahre alte Urenkelin in Parkentin (Kreis Doberan) aus dem Zug geworfen hat, weil diese keine Fahrkarte hatte.

Deborah hatte sich am späten Nachmittag auf den Weg zur Musikschule in Rostock gemacht. Seit sieben Jahren spielt das Mädchen Cello und fährt jede Woche mit dem Zug zum Unterricht. "Die Mama hatte ihr das Geld hingelegt, aber sie hatte vergessen, es einzustecken", berichtet Irmgard Kummer dem Hamburger Abendblatt. Dass es kein Geld dabei hatte, stellte das junge Mädchen erst fest, als es im Zug die Fahrkarte kaufen wollte. Die Schaffnerin ließ nicht mit sich reden und verwies das Kind des Zuges. Die Bundespolizei sucht mittlerweile Zeugen dieses Vorfalls.

Dabei ist die Rechtslage nach Angaben von Bahnsprecherin Erika Poschke-Frost eindeutig: "Mitarbeiter müssen sich entsprechend der Eisenbahnverkehrsordnung verhalten, und diese besagt, dass alleinreisende Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren nicht von der Fahrt ausgeschlossen werden dürfen. Das lernen die Mitarbeiter auch in der Ausbildung, betont die Sprecherin. Die Schaffnerin habe klar gegen Vorschriften verstoßen. Sie hätte das Kind allenfalls beim nächstgrößeren Bahnhof, also in Rostock, in die Obhut der Bahnpolizei übergeben dürfen. "Die würden dann die Eltern anrufen", so Poschke-Frost. Erwachsene dagegen können des Zuges verwiesen werden, wenn sie keine gültige Fahrkarte haben. "Aber hier war es ein Kind."

Um 17.30 Uhr wurde Deborah mit ihrem Cello an der Haltestelle in Parkentin vor die Zugtür gesetzt. Von einer Telefonzelle, bei der der Angerufene die Gesprächskosten übernimmt, versuchte sie, zu Hause anzurufen. Doch da war niemand, der ihr in ihrer misslichen Lage helfen konnte. Nicht ihre Uroma und auch nicht ihre Eltern Volkmar und Claudia H. Also wanderte das Mädchen mit dem schweren Instrument auf dem Rücken den fünf Kilometer langen Weg nach Bad Doberan. "Sie hat kein Fahrzeug angehalten, schließlich hat ihre Mutter ihr immer gesagt, sie dürfe nicht in fremde Autos einsteigen", erklärt Irmgard Kummer. Nach gut einer Stunde erreichte die Gymnasiastin ihr Zuhause - inzwischen war es dunkel und die Straßenlaternen waren angegangen.

"Wir haben von diesem Sachverhalt erst aus der Presse erfahren. Wir prüfen jetzt, ob ein strafrechtliches Fehlverhalten des Zugpersonals gegeben war", erklärt Erika Krause-Schöne, Sprecherin der Bundespolizei, die zuständig ist für alle Sicherheitsfragen auf Eisenbahnstrecken und auch für die Identitätsfeststellung von Schwarzfahrern. "Wir stellen die Personalien fest und prüfen, ob der Straftatbestand der Erschleichung von Leistungen oder Betrug gegeben ist", erklärt Krause-Schöne. Doch strafbar sei Deborahs "Schwarzfahrt" ohnehin nicht gewesen, da das Mädchen mit seinen zwölf Jahren noch gar nicht strafmündig sei. Die Polizei hat inzwischen auch Kontakt zu Deborahs Eltern aufgenommen. Die Eltern von drei Töchtern möchten auf jeden Fall verhindern, dass sich so ein Vorfall wiederholt.

Die Bahn hatte eine Entschuldigung bei Deborah und ihrer Familie "in aller Form" angekündigt. "Wir haben uns bei der Familie entschuldigt", sagte Poschke-Frost. Mit einem Blumenstrauß und einem Länderticket. Das Ticket hat einen Wert von 25 Euro und gilt einen Tag lang in Mecklenburg-Vorpommern. Uroma Irmgard muss dann wohl zu Hause bleiben, denn das Billigticket ist nur für fünf Personen gültig. Aber die 80-Jährige hat von der Bahn ohnehin bis auf Weiteres die Nase voll.