Ex-Bischöfin stellt am Mittwoch mit dem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Rücktritt ihr Buch “Das große Du - Das Vaterunser“ vor.
Hannover/München. In einer ihrer schwersten Krisen besinnt sich Margot Käßmann auf eine der Grunddisziplinen des Glaubens, das Gebet. In ihrem neuen Buch „Das große Du“ beklagt sie den Verlust der Fähigkeit zu Beten bei vielen Menschen und wirbt für das Vaterunser. Knapp drei Monate nach ihrer Trunkenheitsfahrt und ihrem Rückzug als Bischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sucht Käßmann (51) wieder das Rampenlicht. An diesem Mittwoch präsentiert sie ihr Buch zum Auftakt des Ökumenischen Kirchentags in München, auf dem weitere Auftritte der beliebten und profilierten Theologin vorgesehen sind.
Über die Alkoholfahrt spricht Käßmann in ihrem neuen Buch mit keinem Wort, vielmehr geht es um die Sprachlosigkeit der Menschen gegenüber Gott. Diese hatte Käßmann schon zu ihrer Zeit als Bischöfin beklagt und als einen Grund für die schwindende Verwurzelung vieler Menschen im Glauben ausgemacht. „Es ist traurig, wie wenig das Gebet zum Alltag gehört“, schreibt sie. „So fällt es vielen leichter, über Sex zu reden als über das Beten.“ Als „Träumer“ werde beschimpft, wer in einer anderen Wirklichkeit nach Antworten suche – gleichzeitig gebe es aber bei vielen Menschen eine Sehnsucht nach diesen Antworten und auch dem Gebet.
„Viele, die ihre Kirchensteuer sparen wollen, und die der Institution Kirche schon lange den Rücken gekehrt haben, ertappen sich in bestimmten Momenten dabei, dass sie das Gespräch mit dem suchen, aus dessen Gemeinschaft sie sich schon verabschiedet ahnten“, meint Käßmann. Seit Jahrhunderten tief eingeprägt habe sich das Vaterunser. Am Grab eines fünfjährigen Mädchens hätten die Menschen mit ihr in das Gebet eingestimmt und bei der Trauer für Nationaltorhüter Robert Enke hätten die Anhänger auf der Straße ebenfalls das Gebet gesprochen. „Wir brauchen solche gemeinsamen Worte, die größer sind als wir selbst, die uns verbinden durch die Jahrhunderte, die uns zusammenhalten als Christen.“
„Beten kann eine Antwort auf die Überforderung unserer Zeit sein“, meint die Theologin. „Wer betet, verändert sich – aber nicht restlos aus eigener Kraft. Das ist das Versprechen, das das Christentum dem Ego-Wahn unserer Zeit entgegensetzt“, wirbt Käßmann. „Selbst wer gar keine Worte findet, wen das Leid oder auch das Glück sprachlos machen, wird Gott hören und nicht verwerfen.“
Nach ihrem Ratgeber-Bestseller „In der Mitte des Lebens“ konzentriert Käßmann sich nun auf ihren seelsorgerischen Auftrag. Die in der Bevölkerung weiterhin sehr beliebte Theologin bietet mit ihrem Buch eine Glaubenshilfe – und deutet das Vaterunser Satz für Satz. Ob die profilierte Protestantin sich mit ihrem politischen Engagement vorerst zurücknimmt, bleibt abzuwarten. Ein Buch mit ihrer Kritik an der deutschen Afghanistan-Politik erschien noch nach ihrem Rücktritt, war allerdings bereits zuvor verfasst worden. Auf Käßmanns Plan stehen nach dem Kirchentag in München Predigten in Hannover und Berlin sowie Lesungen – Interviews will die zuvor in den Medien omnipräsente Kirchenfrau zunächst nicht mehr geben. Im Spätsommer geht Käßmann für einen viermonatigen Studienaufenthalt in die USA. Als Pastorin ist sie weiterhin der hannoverschen Landeskirche verbunden – beide werden für das kommenden Jahr über ihren künftigen Einsatz entscheiden müssen.