Schleswig-Holsteins Ministerpräsident will mit einem einmaligen Sparprogramm Geschichte schreiben. Dabei steht das Land auf dem Spiel.
Kiel. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) will Geschichte schreiben. Sein Sparprogramm, das heute von der schwarz-gelben Koalition beraten und morgen vom Kabinett verabschiedet wird, soll Schleswig-Holstein nach 40 Jahren Politik auf Pump aus der Schuldenfalle führen. Scheitert das riskante Unterfangen, gehen nicht nur für die schwarz-gelbe Koalition in Kiel die Lichter aus. Auf dem Spiel steht auch die Zukunft Schleswig-Holsteins als eigenständiges Bundesland.
"Es geht langfristig um das Wohl und Wehe des Landes Schleswig-Holstein", sagte Carstensen dem Abendblatt. "Ich gehe davon aus, dass es für meinen Kurs eine breite Zustimmung gibt." Zumindest außerhalb des Landeshauses zeichnet sich das Gegenteil ab. Nach dem Bericht des Abendblatts über die geheime Streichliste kündigte auch die Gewerkschaft der Polizei Proteste an. "Die Verärgerung ist groß", sagte Geschäftsführer Karl-Hermann Rehr. Auf den Barrikaden stehen bereits Lehrerverbände, Blindenvereine, Kommunen, Kitas und die Kulturszene.
Für Frust bei den gut 6000 Polizisten sorgt die geplante Anhebung des Pensionsalters von 60 auf 62 Jahre. Hinzu kommen weitere Einschnitte, von der Auflösung des beliebten Polizei-Orchesters bis zur Einstellung der gut besuchten Polizei-Sport-Shows. Im Gegenzug soll eine alte Forderung der Polizei erfüllt werden. Carstensen will mehr Beförderungsstellen einrichten, so die Gemüter beruhigen.
Nach dem gleichen Muster geht der Ministerpräsident in anderen Bereichen vor. Er will das beitragsfreie dritte Kita-Jahr ab August streichen, aber mit einem Teil der Sparsumme den Landeszuschuss für die Kitas erhöhen. Bei den Lehrern ist es ähnlich. Viele Pädagogen sollen mehr Unterricht geben, aber mit einer im Bundesvergleich üppigen Altersermäßigung entschädigt werden.
Die kleinen Beruhigungspillen haben ihre Wirkung bisher allerdings verfehlt. Kita-Eltern denken über eine Volksinitiative für beitragsfreie Tagesstätten nach, die Lehrergewerkschaft GEW ruft zu einem Streik am 3. Juni auf. An diesem Tag feiert Schulminister Ekkehard Klug (FDP) seinen 54. Geburtstag. Bereits in dieser Woche beginnen die Proteste des Blinden- und Sehbehindertenvereins. Er will am Donnerstag mit einer Mahnwache vor dem Landeshaus gegen eine Kürzung des Landesblindengeldes demonstrieren.
Viele andere Sparopfer dürften folgen, weil Carstensen es kräftig krachen lässt. Der Tourismusagentur soll bis 2014 der Geldhahn zugedreht werden, dem Schleswig-Holstein Musik-Festival bis 2020. Bluten sollen auch viele Einrichtungen im Kultur-, Sozial- und Umweltbereich. Das Land will zudem Förderprogramme eindampfen, Häfen wie etwa Glückstadt abgeben und sich aus dem Kieler Flughafen und wohl auch der AKN zurückziehen.
Angesichts der Protestwelle hat Carstensen ein erstes Zugeständnis gemacht. Demnach kann jeder Sparvorschlag durch einen besseren ersetzt werden. Gleichwohl ist die Stimmung in der schwarz-gelben Koalition angespannt. CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher räumte offen ein, dass der Sparkurs bei einigen Abgeordneten für "Bauchgrummeln" sorgt.
Klar ist, dass Carstensen sich keinen Abweichler leisten kann. Die schwarz-gelbe Koalition hat im Landtag nur eine Ein-Stimmen-Mehrheit und muss von Juni bis Dezember eine Sparmaßnahme nach der anderen beschließen. Verlieren CDU und FDP nur eine Abstimmung, wäre Carstensen und mit ihm wohl auch die schwarz-gelbe Koalition in Kiel am Ende.
Der Ministerpräsident wird deshalb nicht müde, seinen Sparkurs als alternativlos darzustellen. Berufen kann er sich auf die Landesverfassung, in die der Landtag vor einer Woche eine Schuldenbremse nach Bundesvorbild einbaute. Die Regelung verpflichtet das Land, sein strukturelles Haushaltsdefizit von 1,25 Milliarden ab 2011 in zehn Schritten von jeweils 125 Millionen Euro abzubauen und so 2020 einen Etat ohne Neuverschuldung vorzulegen.
Für den Doppelhaushalt 2011/12 ergibt sich eine Sparsumme von mindestens 250 Millionen Euro. Eine solche Summe wäre selbst für besser betuchte Länder wie Hamburg oder Niedersachsen nur schwer zu erbringen. Für Schleswig-Holstein ist die Sparvorgabe kaum zu bewältigen, weil der Löwenanteil des Neun-Milliarden-Etats für Personal, Pensionen und Zinsen draufgeht. Kurzfristig kürzen kann das Land vor allem bei Förderprogrammen und Zuschüssen. Das erklärt, warum es in der aktuellen ersten Sparrunde viele Vereine und Verbände trifft.
Auf der Streichliste stehen zugleich einige Strukturbeschlüsse, die sich in den Sparrunden ab 2013 auszahlen sollen. So will Carstensen bis 2020 jede zehnte Stelle im Landesdienst abbauen, die bunte Hochschullandschaft stärker in Kiel konzentrieren und für die sanierungsbedürftigen Uni-Klinika einen finanzkräftigen Partner suchen. Helfen soll auch der Bund. Carstensen ist in Berlin vorstellig geworden, damit Schleswig-Holstein nicht mehr alle Bundesvorgaben erfüllen muss.
Carstensen glaubt, mit diesem Crashkurs die Sparvorgaben bis 2020 einhalten zu können, SPD-Chef Ralf Stegner glaubt es nicht. "Aus eigener Kraft allein wird Schleswig-Holstein die Schuldenbremse nicht erreichen", sagte er dem Abendblatt. Schleswig-Holstein könne es nur schaffen, wenn der Bund Steuern erhöhe und Millionen an die Länder weiterleite.
Unbestritten ist, dass Schleswig-Holsteins Weg aus der Schuldenfalle mit Risiken gepflastert ist. Bestes Beispiel sind die Zinsausgaben. Das Land zahlt für seine Schulden von 24 Milliarden derzeit eine Milliarde Euro Zinsen. Steigt der Zinssatz um nur einen Prozentpunkt, muss das Land 72 Millionen Euro zusätzlich berappen. Klar ist ohnehin, dass Schleswig-Holstein einen langen Schuldenbremsweg hat. Carstensen geht davon aus, dass die Landesschulden bis 2020 auf knapp 40 Milliarden Euro steigen.
Im Landeshaus mag denn auch niemand die Hand dafür ins Feuer legen, dass Schleswig-Holstein das Himmelfahrts-Sparkommando gelingt. Scheitert es, ist Land unter. Schleswig-Holstein würde als Erstes die Bund-Länder-Hilfe für den Sparkurs, 80 Millionen Euro im Jahr, verlieren und müsste dann absehbar bei seinem Nachbarn Hamburg um Anschluss bitten.