Schwarzenbek. Helmut Stolze (78) gehört zu einem von rund 14.700 Haushalten in Schleswig-Holstein, die auskunftspflichtig sind. Doch er ist sprachlos.

Woher stammen die Eltern, wie hoch sind die Einkünfte, welche Zinseinnahmen werden innerhalb einer Woche erzielt und gibt es überhaupt einen Arbeitsplatz? Ein Katalog mit 52 Seiten und weit über Hundert Fragen liegt auf dem Esszimmertisch von Helmut Stolze (78) in dessen Wohnung in einer Seitenstraße von Schwarzenbek. „Es passiert mir selten, aber ich bin sprachlos. Ich soll hier absolut persönliche Informationen weitergeben und das innerhalb nur weniger Tage Frist“, sagt der Rentner, der viele Jahre kommunalpolitisch in der FDP tätig war.

Was den Kaufmann im Ruhestand so erregt, ist der Mikrozensus, eine bundesweite Stichprobenbefragung der statistischen Landesämter, bei der ein Prozent der Bevölkerung Post bekommen hat und auskunftspflichtig ist.

810.000 Menschen in Deutschland werden beim Mikrozensus befragt

Von Januar bis Dezember 2023 werden bundesweit rund 810.000 Personen in etwa 380.000 Haushalten angeschrieben. In Hamburg betrifft die Befragung etwa 9900 und in Schleswig-Holstein etwa 14.700 Haushalte. Befragt werden Haushalte in Gebäuden, die nach einem mathematischen Zufallsverfahren ausgewählt werden. Beim Mikrozensus werden nicht direkt die Personen ausgewählt, die befragt werden, sondern die Gebäude, in denen die Personen wohnen. Dazu wird das Bundesgebiet in Flächen mit etwa gleich vielen Wohnungen (6 bis 12) eingeteilt. Deshalb haben auch Stolzes Nachbarn Post vom Statistikamt Nord bekommen.

Das Ausfüllen des Bogens oder das Beantworten der Fragen eines Interviewers ist verpflichtend, wer sich verweigert bekommt zunächst eine „Erinnerung“ verweigert er sich weiter, droht ein Bußgeld. Das gilt auch bei falschen Angaben. Es können 300 bis 5000 Euro fällig werden. Die Auskunftspflicht besteht nach dem Mikrozensusgesetz (MZG) in Verbindung mit dem Bundesstatistikgesetz (BStatG).

Viele Fragen können übersprungen werden, wenn sie nicht zutreffen

„Der Fragenkatalog ist sehr umfangreich, vieles kann man aber auch überspringen, wenn ein Themenkomplex für die betreffenden Personen nicht zutreffend ist. Aber die Beantwortung ist zwingend. Die Daten werden benötigt, um beispielsweise Migrationsbewegungen zu ermitteln aber auch um Auskünfte über Wohnverhältnisse, Einkommens- und Lebenssituation der Menschen in Deutschland zu erhalten“, sagt Alice Mannigel, Pressesprecherin des Statistikamtes Nord in Hamburg, das für die Hansestadt und Schleswig-Holstein zuständig ist. „Wir haben sehr gut geschulte ehrenamtliche Interviewer, die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Wer sich von ihnen befragen lässt, ist in der Regel sehr schnell mit der Beantwortung fertig“, so Alice Mannigel.

„Da ich ja vom Prinzip her immer für alle Statistiken Verständnis gehabt habe, kann ich hier nur mit Unverständnis reagieren. Einmal die Zeitsetzung von nur gut einer Woche und zum anderen den Fragenkatalog auf 48 Seiten plus vier Seiten Erläuterungen, der aus meiner Sicht jeglicher Grundlage entbehrt“, wettert der Schwarzenbeker. Vor zehn Jahren hat er bereits am sogenannten Zensus teilgenommen. Da gab es nur wenige Fragen, die sich in erster Linie auf die Wohnverhältnisse bezogen. Der jetzt anstehende Mikrozensus geht bei den abgeforderten Angaben aber wesentlich weiter in die Tiefe.

Helmut Stolze: „Fragen sind ein Skandal und kommen einem Offenbarungseid gleich“

„Datenabfragen zu den lange verstorbenen Eltern, die Schulausbildungen bis hin zu den Einkommensverhältnissen, um nur einige beispielhaft zu benennen, sind aus meiner Sicht ein Skandal und kommen einem Offenbarungseid gleich. Unabhängig vom Datenschutz fühle ich mich als Bürger bei Beantwortung aller Fragen nicht mehr sicher und fühle mich zurückversetzt in die alten hoffentlich vergangenen Zeiten“, so Stolze weiter.

Hinsichtlich der zeitlichen Enge gibt die Pressesprecherin Stolze recht, begründet das aber mit dem organisatorischen Aufwand. „Die für die Durchführung des Mikrozensus zuständige Fachabteilung hat 14 Tage Zeit, um die Daten der ausgewählten Haushalte einzuholen, daher hat auch der Erhebungsbeauftragte eine relativ kurze Frist, um alle in seiner Zuständigkeit liegenden Haushalte – bis zu 60 – anzuschreiben und die Interviews zeitlich zu planen“, erläutert Alice Mannigel.

Die kurzen Fristen auf dem Ankündigungsschreiben des jeweiligen Haushalts beruhen auch darauf, dass der Interviewer einen ersten Terminvorschlag vermerkt. „Dieser kann aber nach Rücksprache selbstverständlich angepasst werden, darauf wird auf dem Ankündigungsschreiben auch hingewiesen. Sollte der Haushalt innerhalb von 14 Tagen der Verpflichtung zur Lieferung aller Angaben nicht nachgekommen sein, folgt ein Heranziehungsbescheid mit einer Erinnerung zur Pflicht über die Beantwortung“, so die Pressesprecherin weiter.

Statistikämter tauschen keine Daten mit anderen Behörden aus

„Die Daten sind bei uns sicher und werden nicht einzelnen Personen zugeordnet. Wir sind als Statistikämter unabhängig und haben keinen Austausch mit anderen Behörden. Deshalb müssen wir beispielsweise auch Daten erheben, die bei Finanzämtern verfügbar wären“, erläutert Alice Mannigel. Denn das ist einer von vielen Kritikpunkten Stolzes. „Ich gebe eine Steuererklärung ab. Meine Daten liegen vor“, so der Schwarzenbeker.

Was ihn auch stört, ist der eng gefasste Zeitraum, der bei der Datensammlung betrachtet wird. Die Angaben beziehen sich immer auf eine Woche, in diesem Fall vom 16. Juni bis zum 25. Juni. Für diesen Zeitraum sind Angaben zu machen über Einkommen aus Erwerbstätigkeit, ehrenamtliches Engagement und auch Zinseinkünfte. „Das ist schwer auszurechnen und vor allem wird das Bild total verfälscht, wenn beispielsweise gerade jetzt eine Arbeitslosigkeit eintritt oder eine Krankheit vorliegt“, kritisiert er. „Wir haben bundeseinheitlich immer eine Woche bei allen Befragungen genommen, um Vergleichbarkeit zu schaffen. Da die Befragungen in den kommenden vier Jahren jährlich wiederholt werden, relativiert sich das Bild auch, wenn es in einem Fall durch besondere Faktoren von der normalen Lebenssituation abweichende Angaben gegeben hat“, erläutert die Pressesprecherin.

Stolze will jetzt in jedem Fall auf „Zeit spielen“. „Ich werde erst einmal die Online-Unterlagen anfordern. Das gibt mir ein bisschen Luft, mich rechtlich beraten zu lassen. Aber die Fragen, die ich nicht beantworten will, werde ich wohl auch nicht beantworten“, sagt der 78-Jährige.