Schwarzenbek. Bevor die Grundschulen neu gebaut werden, probieren die Lehrkräfte innovative Konzepte nach dänischem Modell aus – mit Erfolg!

„Darf ich auch meinen Schulranzen verkaufen?“, fragt Lukas. „Ich würde auch meinen Arbeitsordner gerne anbieten“, ergänzt Lea. So lebhaft geht es im Augenblick in den Klassen 1 A uns 1 C der Grundschule an der Breslauer Straße zu, in denen die Lehrerinnen Eileen Wegner und Laura Steudten ein völlig neues Unterrichtskonzept als Pilotversuch ausprobieren. Laura Steudten war gemeinsam mit Grund- und Gemeinschaftsschulleiterin Bettina Kossek und dem Leiter der Grundschule, Uwe Bhend, in Aarhus und hat sich die unter Pädagogen europaweit als beispielhaft geltende Frederiksbjerg Skole angesehen. Sie haben im Januar eine Delegation um Bürgermeister Norbert Lütjens in die dänische Stadt begleitet, um sich Anregungen für die Schule der Zukunft zu holen.

Grundschule Schwarzenbek: Pilotversuche für die Schule der Zukunft

Eine wichtige Erfahrung bei dem Besuch war es, dass neue Konzepte versuchsweise ausprobiert werden sollten, bevor eine neue Schule gebaut wird. Dieser Prozess hat bis zur Fertigstellung der Frederiksbjerg Skole fast zehn Jahre gedauert. Denn anderer Unterricht braucht auch andere Räume. Angesichts der anstehenden Schulneubauten in Schwarzenbek mit einem Volumen von mindestens 30 Millionen Euro sind solche Pilotprojekte also eine wichtige Investition in die Zukunft. „Wir wollen schließlich etwas Bauen, was über viele Jahrzehnte Bestand hat und nicht in Ideen investieren, die hinterher nicht funktionieren“, betonte Bürgervorsteher und Sozialausschussvorsitzender Rüdiger Jekubik (SPD).

Minimalistisches Konzept im Klassenzimmer schafft viel Platz für Kreativität

Zurück zum Pilotversuch: Während Lukas fragt, ob er seinen Ranzen verkaufen darf, hören seine gut 20 Klassenkameraden in der 1A aufmerksam zu und Lehrerin Eileen Wegner lehnt sich an einen Tisch, der an den Rand des Klassenraums geschoben wurde, um das Gespräch zu moderieren. Überhaupt stehen nicht mehr viele Möbel im Klassenraum. Dieses minimalistische Konzept ist ebenfalls abgeleitet vom dänischen Modell.

Lehrerin Laura Steudten hilft Christian bei seinen Matheaufgaben. Christian hat sich entschieden, dass er gerne auf einem Stuhl am Tisch am Rande der Klasse sitzen möchte.
Lehrerin Laura Steudten hilft Christian bei seinen Matheaufgaben. Christian hat sich entschieden, dass er gerne auf einem Stuhl am Tisch am Rande der Klasse sitzen möchte. © Stefan Huhndorf | Stefan Huhndorf

Die Kinder sitzen nicht wie sonst üblich in Reihen an Tischen, sondern haben es sich auf drei im Rechteck angeordneten Gymnastikmatten aus dem Turnunterricht gemütlich gemacht. Das entspricht dem Vorbild der sogenannten „Marktplätze“ vor den Klassenzimmern in der dänischen Schule, auf denen kreatives und eigenständiges Lernen möglich ist. Zusätzlich dazu gibt es in jedem Klassenraum in einem abgetrennten Bereich eine „Treppe der Demokratie“, auf der der Unterricht beginnt. Dort treffen sich die Kinder mit ihrem Lehrer für zehn bis 15 Minuten, besprechen die Lernziele des Tages und wie sie dabei vorgehen wollen.

Matten dienen als Ort der demokratischen Entscheidung für den Unterrichtsalltag

„Eine Treppe können wir hier nicht provisorisch einrichten. Auch wenn uns das Konzept gefallen hat. Wir lösen das über den improvisierten Marktplatz auf den Matten“, erläutert Bettina Kossek. Das Konzept kommt bei den Schülern gut an. Am heutigen Tag steht Mathe auf dem Lehrplan. Am Prinzip eines Kaufmannsladens sollen die Kinder lernen, mit Zahlen umzugehen. Wer ist Verkäufer, wer ist Kunde? Wie soll es gehen? Wird die Ware gleich nach dem Kauf wieder zurückgegeben oder sind die Schüler ihre „verkauften“ Gegenstände für den Rest des Unterrichts los? Fragen wie diese klärt Eileen Wegner mit ihrer 1 A.

Gleich nebenan ist Laura Steudten mit der 1 C schon einen Schritt weiter. Die Kinder sind bereits mit dem Handeln durch und bearbeiten Aufgaben in ihren Heften. Ein Teil der Kinder hat sich ruhige Plätze an den Tischen im Flur oder am Rand des Klassenraums ausgesucht, um alleine zu arbeiten. Viele andere liegen lieber auf den Matten und arbeiten in kleinen Gruppen. Es gibt auch große aufstellbare Aktenordner, die die Kinder als Abgrenzung zu ihren neben ihnen sitzenden Klassenkameraden nutzen können. So haben sie mehr Ruhe. In Dänemark werden sogenannte Lernateliers für diesen Zweck genutzt. Sie gleichen einer Wahlkabine, wie sie in deutschen Wahllokalen genutzt werden. Dieses Konzept will Liane Maier von der Grundschule Nordost ausprobieren, die ebenfalls mit einem Lehrerteam mit in Dänemark war.

Auf Socken sind alle Kinder gleich und soziale Unterschiede verschwimmen

Was noch auffällt: Keiner trägt Schuhe. Auch das gehört zum Konzept. Die Kinder sollen sich im Unterricht wohl fühlen. „Außerdem sind teure Schuhe Statussymbole. Wir haben keine Schuluniform, aber auf Socken werden auch soziale Unterschiede geringer“, erläuterte Jette Bjorn Hansen, Leiterin der Frederiksbjerg Skole bei dem Ortstermin in Aarhus. „Den Schülern gefällt das. Ohne Schuhe dürfen sie auch mal auf die Tische steigen, wenn der Bewegungsdrang überhand nimmt“, sagt Bettina Kossek. Aber Toben im Gang ist nicht. Überhaupt gelten auch bei dem scheinbar lockeren Konzept feste Regeln. „Wir achten darauf, dass die Kinder konzentriert arbeiten“, sagt Laura Steudten und wendet sich ab, weil sie zwei Jungen, die auf dem Gang toben, zur Ruhe bringen muss.

Für die Pilotversuche sollen die Grundschulen Geld aus dem städtischen Etat beantragen können. Die Politiker wollen auch darüber beraten, ob sie einen eigenen Etat für die Schulen bereitstellen wollen, damit diese Material für alternative Unterrichtsideen einkaufen können. „Wir sind Perspektivschule und haben Fördermittel bekommen. Schulrätin Gesine Weinhold hat uns darin bestärkt, dieses Geld für unsere Pilotversuche einzusetzen“, sagte Bettina Kossek.

Testphasen sollen auch auf höhere Klassenstufen ausgeweitet werden

Die Testphasen für neue Unterrichtskonzepte sollen in beiden Grundschulen in den kommenden Wochen und Monaten deutlich ausgeweitet und auch auf die höheren Klassen in der Gemeinschaftsschule übertragen werden. „Wir planen eine größere Informationsveranstaltung für das Kollegium und hoffen auf möglichst viele Mitstreiter. Die Ideen sollen in die weiteren Planungen für unseren Schulneubau einfließen“, so Kossek.

Derweil gehen auch die Planungen auf politischer und Verwaltungsebene weiter. Möglichst noch in diesem Jahr soll Baurecht für die neue Grundschule an der Breslauer Straße geschaffen werden. Auch die Planungen für das Gebäude selbst gehen voran. Ein Architektenentwurf liegt allerdings noch nicht vor. In einer ersten Präsentation haben der Sozialausschussvorsitzende Rüdiger Jekubik und Fachbereichsleiterin Kathrin Kipke jetzt Politikern, die nicht mit in Dänemark waren, von ihren Erfahrungen berichtet.

Expertenrunde diskutiert Erfahrungen aus Aarhus

In einer Expertenrunde mit Bürgermeister Norbert Lütjens sollen die Erfahrungen aus Aarhus auf breiterer Basis in den nächsten Wochen diskutiert werden. Dabei soll thematisiert werden, welche Ideen in den Schulbau einfließen sollten. Denn ein moderner, zukunftsträchtiger Unterricht braucht auch flexibel nutzbare Klassenräume. Das muss bei der Planung sehr genau berücksichtigt werden. Denn die Planungsfehler von heute lassen sich in der Zukunft nur schwer beheben.