Geesthacht. Nach krassen Abfallfunden in Geesthacht: „Will den Leuten nicht länger beibringen, dass es genug Gutmenschen gibt, die aufräumen.“
Als sie vom jüngsten Müllfund berichtet, kommt bei ihr der ganz Frust wieder hoch: Bettina Boll sitzt fassungslos am Küchentisch, geradezu niedergeschlagen ist die stadtbekannte GeesthachterUmweltschützerin. Einen Tag zuvor hat sie bei einer Radtour im Wäldchen bei der Schäferstwiete illegal abgeladene alte Autoreifen entdeckt. „30 Stück, mindestens“, erzählt sie. So genau lässt sich das nicht sagen, die zum Teil zerfetzten Reifen lagen weit verstreut in dem Hain, teilweise schon überwuchert.
Bettina Boll ist der Verzweiflung nahe. Was sie sagt, klingt nach Kapitulation: „Ich will den Leuten nicht länger beibringen, dass es genug Gutmenschen gibt, die aufräumen. Die Ohnmacht macht mich fertig“, sagt sie traurig. „Ich fahre mit dem Rad gern abseitige Strecken“, erklärt Bettina Boll. Und auf so eine Vermüllung treffe sie viel zu oft. Entlang der Gleise der Strecke von Geesthacht nach Bergedorf etwa oder auch im Grünstreifen hinter der Sporthalle des VfL Geesthacht.
Überall Müll – bekannte Umweltschützerin kapituliert
Bettina Boll klaubt auf ihren Touren auf, was möglich ist. Vor allem sind es die leeren Plastikhüllen von Getränken wie der Capri-Sonne. Hinterm Haus der Bolls am Rundweg im Stadtwald hat sie als Mahnmal gegen die Umweltverschmutzung aus ihnen eine Installation errichtet. Besonders absurd: Auch viele leer getrunkene Hüllen von Marken wie Babylove liegen in der Natur herum. Das Etikett verspricht 100 Prozent Fruchtsaft, daneben prangt auf dem Einweg-Müll das „Bio“-Siegel .
Aber es finden sich auch immer öfter Flaschen auch aus Plastik oder Glas, die noch zu dreiviertel gefüllt sind. Sie werden nur angenippt und dann schon wieder weggeworfen in die Umgebung. „Das Pfand ist definitiv nicht hoch genug. Oder du brauchst eine Umweltpolizei, die krasse Strafen verhängt“, meint Bettina Boll.
Bettina Boll: Müllsammeln ist eine wahre Sisyphus-Arbeit
Es ist eine wahre Sisyphus-Arbeit. Denn kaum ist einigermaßen saubergemacht, sieht die Stelle schnell wieder so aus, wie es vorher war. Bettina Boll stellt die Sinnfrage: „Viele Leute sind wie Kinder, die darauf warten, dass jemand hinter ihnen aufräumt“, meint sie. Um dann alles wieder verloddern zu lassen.
Der Müll werde entsorgt direkt aus ihren Autos heraus auf Parkplätzen, am Straßenrand oder auf Grünflächen an Ampeln beim Warten auf Grün wie zum Beispiel an der Kreuzung bei Escheburg, wo es zur A25 geht. Schlimm ist auch das Areal in der Umgebung von McDonald’s bei der Wärderstraße. An solchen Stellen sind besonders viele Coffee-to-go-Becher und Fast-Food-Verpackungen zu finden.
Aus dem Biotop ist ein „Müllotop“ geworden
Das Wäldchen bei der Schäferstwiete ist allerdings kaum zu toppen. Elf Hektar der Fläche wurden von 1950 bis in die Mitte der 70er-Jahre offiziell als Deponie für Hausmüll, Bauschutt und Industrieabfälle genutzt. Mittlerweile ist die Deponie aufgegeben und verfüllt worden. Unter der Erdoberfläche verbergen sich Altlasten, die das Grundwasser örtlich belasten. Das ist bekannt und wird regelmäßig überprüft. Die in der Nähe ansässigen Kleingärtner sollten ihr Brunnenwasser besser nicht für die Bewässerung von Nutzpflanzen verwenden, so die Empfehlung.
Über dem Altmüll hat sich nun reichlich neuer Müll angesammelt, diesmal illegal. Eigentlich sollte ein Biotop entstehen, stattdessen ist es ein „Müllotop“ geworden. Wohin das Auge auch schweift, irgendwo liegt immer etwas herum, was nicht in einen Wald gehört. Unfassbar, was sich hier schon bei einer kurzen Begehung findet. Der ganze Wald ist voller Müll: Neben den Unmengen an Reifen auch alte Autositze und Bürostühle, ein in einer Plastiktüte verpackter Hochdruckreiniger von Kärcher und Reste eines Herdes.
„Es kommt alles zu uns zurück“, ist sich die Umweltschützerin sicher
Gleich um die Ecke sieht es am westlichen Entwässerungsgraben des Gebietes neben der Kleingartenkolonie Am Moor nicht viel besser aus. Der Graben ist kaum noch zu sehen, er ist zugeschüttet mit Grasschnitt und Gartenabfällen, Autoreifen, Plastikstühlen für den Garten. Am Rand liegt ein Cerankochfeld, als Krönung des Ganzen baumelt hoch in einem Baumwipfel ein dort hinaufgeworfener roter Hundekoteutel mit Inhalt.
Der Graben mündet in einen Sammler beim Knollgraben, das Wasser kann von dort über eine Zuleitung in die Elbe fließen. Und die Elbe strömt zur Nordsee. So könnte theoretisch auch Plastikmüll aus Geesthacht zum globalen Problem der Verschmutzung der Meere beitragen. Und als Mikroplastik im Bauch von Fischen landen. „Es kommt alles zu uns zurück“, ist sich Bettina Boll sicher.
Der Müll liegt knöchelhoch um die Bank
Nächster Stopp ihrer Besichtigungstour der anderen Art ist bei einer Bank an einem Reitweg, der von der Straße Am Knollgraben abzweigt. Der Blick schweift hier über Felder, geht er zu Boden, bleibt er an diversen Mittagessen hängen. Hier liegen Plastikschalen mit den Resten von Saucen, Chipstüten, Flaschen und Getränkedosen. Die ganze Bank ist knöchelhoch umringt. Es gibt hier keinen Abfalleimer, jemand hat eine Plastiktüte aufgehängt. Sie weht leer an einem Ast.
Kaum verwunderlich also, dass Bettina Boll die Lust am Aufräumen verliert. Zumal die Menge des Mülls nicht abnimmt, im Gegenteil, es kommen ständig neue hinzu. Manche sind brandgefährlich. So liegen in Feld und Flur nun auch vermehrt Überbleibsel von Einweg-Zigaretten aus Kunststoff herum, Bettina Boll sammelt sie immer öfter vom Boden auf.
In den verpafften Einweg-Zigaretten steckt Rohstoff für den Akku von 11.000 E-Autos
Die Röhren mit Mundstück gibt es ab fünf Euro, 600-700 Züge kann man mit dem aufwendig produzierten Wegwerfgerät machen, je nach Preislage, dann sind sie nutzlos. Unfassbar: In ihnen ist zum Erhitzen des Liquids eine Lithium-Ionen-Batterie verbaut.
Wer täglich eine ganze Einweg-E-Zigarette konsumiere, werfe umgerechnet wöchentlich mehr als einen iPhone-Akku weg, berichtet die Zeitung „Der Standard“. Laut „Financial Times“ seien es weltweit etwa 90 Tonnen Lithium, die Jahr für Jahr in E-Zigaretten verbaut würden – genug für 11.000 E-Auto-Batterien. Außerdem verbrauche die Produktion rund 1100 Tonnen Kupfer pro Jahr.
Immer häufiger kommt es zu Bränden in Müllwagen
Die kleinen Verdampfer sind Elektrogeräte, die bei den Wertstoff- und Recyclinghöfen der Kommunen abgegeben werden müssten. Werden sie aber so gut wie gar nicht. Viel zu viele landen außer in der Umwelt auch im Hausmüll. Vertreter der Abfallwirtschaft können ein böses Lied davon singen. Immer häufiger komme es zu Bränden in Müllfahrzeugen, berichtet Prokurist Olaf Stötefalke von der AWSH.
Geesthacht will ein Kataster für seine Müllbehälter aufbauen
Ein vom Gesetzgeber angeordneter Hinweis auf solchen Geräten, ähnlich wie der über die Gesundheitsgefährdung auf Zigarettenpackungen, über die richtige Entsorgung „wäre natürlich hilfreich“, wünscht sich Olaf Stötefalke. Andere aus seiner Branche fordern ein Verbot, ähnlich wie es bei Wattestäbchen oder Trinkhalmen aus Plastik durchgesetzt wurde.
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Im Geesthachter Stadtgebiet seien Mülleimer mit Fassungsvermögen von 40 bis 60 Litern verbaut, teilt Sprecherin Katharina Richter von der Stadtverwaltung mit. Ergänzend dazu gebe es die Hundestationen. Die Stadtverwaltung habe die aufgestellten Mülleimer mengenmäßig bisher nicht erfasst, was jetzt aber im Rahmen eines Flächen-Katasters nachgeholt werden solle.
Monatlich werden 12 Container aus Geesthacht zur Entsorgung nach Wiershop gefahren
Die Behälter werden zurzeit mit einer Müllpresse auf unterschiedlich festgelegten Routen täglich abgefahren. Ergänzend soll zukünftig die Leerung vereinzelnder Mülleimer durch die Grünpflege hinzukommen. Der Gesamtabfall wird mehrfach monatlich in circa zwölf Kubikmeter großen Containern bei der Firma Buhck in Wiershop fachgerecht entsorgt.