Lauenburg. Viele Süßigkeiten und schulfrei – was könnte es für Kinder Schöneres geben. Was hinter der uralten Lauenburger Tradition steckt.

Kontrastreicher als die Schipperhöge kann eine Veranstaltung kaum sein: Während im Hotel Bellevue schwarz gekleidete Herren nach den strengen Bräuchen der Schifferbrüderschaft ihren Mitgliedsbeitrag entrichten, zieht eine lärmende Kinderschar mitten durch die Stadt. So wollen es die uralten Traditionen der Lauenburger Schifferbrüderschaft von 1635 – aufgeschrieben im „schweinsledernen Buch“. Eine Führung zur Geschichte der Schipperhöge beginnt am Sonnabend, 14. Januar, um 14 Uhr im Elbschifffahrtsmuseum (Elbstraße 59).

Dass in diesem Jahr der erste Tag der Schipperhöge auf einen Freitag, den 13., gefallen ist, hat so manchem Schifferbruder Sorgenfalten auf die Stirn getrieben. Dazu reichte ein Blick auf den Wetterbericht, um zu fürchten, dass der Umzug mit der Lustigen Person und den Clowns in diesem Jahr ins Wasser fallen würde. Doch die Angst ist unbegründet. Am Vormittag lässt sich in Lauenburg sogar die Sonne sehen.

Ehrfurcht vor der geöffneten Lade der Schifferbrüderschaft

Punkt 9 Uhr: Die ersten Schifferbrüder haben sich im Festsaal des Bellevue versammelt, tauschen Neujahrsgrüße aus und stoßen an auf auf das neue Jahr. Niemand stört sich daran, dass um diese Zeit schon das eine oder andere Glas geleert wird – es ist schließlich Schipperhöge. Im Nebenraum geht es feierlich zu: Die Fahnen der Brüderschaft sind ausgerichtet, wie es sich gehört, Kerzen brennen.

Jemand hat schon die hölzerne Lade geöffnet, die aus dem Jahre 1637 stammen soll. Niemand würde es wagen, vor der Lade sich ungebührlich zu benehmen. Wer den Raum betritt, tut das „ohne Bier, Branntewein und Tobak“. Solche Frevel werden seit jeher geahndet. Auch das steht geschrieben in den alten Statuten.

Sascha Meyer ist der Erste, der seinen Mitgliedsbeitrag entrichtet. Natürlich hat er das Geld ordentlich abgezählt. Schließlich kennt sich der 34-Jährige mit den Sitten und Gebräuchen der Schifferbrüder seit seiner Kindheit aus. Sein Großvater war schon dabei, später sein Vater. Als er 18 war, ließ sich Sascha Meyer in die Mitgliederliste eintragen, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Den Aufnahmespruch kennt jeder Schifferbruder auswendig: „Freunde in der Not gehen zwo auf ein Lot, sollte es aber ein harter Stand sein, so gehen wohl hundert auf ein Quentlein“

Sascha Meyer (l.) zahlt seinen Mitgliedsbeitrag bei der Schifferbrüderschaft bar an Beisitzer Jörg Borchert
Sascha Meyer (l.) zahlt seinen Mitgliedsbeitrag bei der Schifferbrüderschaft bar an Beisitzer Jörg Borchert © Elke Richel | Elke Richel

Zusammenhalt wird noch heute groß geschrieben

Um 1635 wütete die Pest in Europa. Der „Schwarze Tod“ forderte viele Opfer, auch unter den Schiffern. Um die hohen Kosten von Beerdigungen aufbringen zu können, schlossen sich die einfachen Bootsleute Lauenburgs zu einer Sterbekassenbrüderschaft zusammen. Von den Beiträgen wurden Dielen für die Särge gekauft. Die Mitglieder trugen ihre Verstorbenen zu Grabe, zahlten Hinterbliebenen ein Sterbegeld aus.

Diese Versicherung auf Gegenseitigkeit wird noch heute aufrecht erhalten. Auch, dass die Männer unter sich bleiben, ist weiterhin Gesetz. „Natürlich kann man das diskutieren, vielleicht ändert sich das auch mal. Aber im Moment rüttelt niemand daran“, sagt Schriftführer Andreas Panz.

Das Heiligtum der Schifferbrüderschaft. Die Lade aus dem Jahre 1637.
Das Heiligtum der Schifferbrüderschaft. Die Lade aus dem Jahre 1637. © Elke Richel | Elke Richel

Neujahrsgrüße an die Kaufleute der Schifferstadt

Während die Schifferbrüder im Bellevue ihre alten Rituale feiern, hat der Umzug der Kinder – angeführt von der Lustigen Person – die ersten Stationen bereits hinter sich. Auch das ist eine Jahrhunderte alte Tradition der Schipperhöge. Die Lustige Person – gelegentlich auch Hans Wurst genannt – überbrachte den Lauenburger Kaufleuten die Neujahrsgrüße der Schifferbrüder. Zum Dank spendierten diese Naschwerk an die mitziehende Kinderschar.

Das ist heute nicht anderes. Schon von Weitem hört man den Jubel der Kinder, wenn Frank Fischer im Flickenkostüm der Lustigen Person händevoll Bonbons und Schokoriegel in die Menge wirft. Seit 2009 hat er die Rolle übernommen. „Immer lustig!“ ruft er. „Hurra!“ schallt es hundertfach zurück. Der Weg von der Weingartenschule bis in die Altstadt zieht sich hin. Viele Gewerbetreibende der Stadt haben tütenweise Süßigkeiten eingekauft.

Versonnen steht eine alte Dame am Rande des Geschehens. Rosemarie Zentgraf lebt mittlerweile in der Lausitz, hat aber in Lauenburg ihre Kindheit verbracht. „Es war kurz nach dem Krieg, als ich mitgelaufen bin. Wie habe ich mich gefreut, wenn ich irgendetwas Essbares fangen konnte. Bloß gut, dass es den Kindern heute besser geht“, sagt sie. Nur vor den Clowns habe sie immer Angst gehabt.

Geschichte der Schifferbrüderschaft steht auf dem Lehrplan

Auch heutzutage begleiten bunte Clowns den fröhlichen Zug der Kinder. Die traditionellen „Gehorsamshölzer“ haben sie zwar auch dabei, aber die dienen jetzt dazu, die Richtung des Zuges anzuzeigen. Schließlich ist es nicht ganz so einfach, die fröhliche Scharr zusammenzuhalten. Die Kinder der Weingartenschule haben am ersten Tag der Schipperhöge schulfrei – so will es die Tradition seit jeher.

Inzwischen sind die mitgebrachten Tüten der Kinder gut gefüllt. Im Unterricht haben sie darüber gesprochen, was es mit der Tradition der Schifferbrüderschaft auf sich hat. Im Moment ist das aber unwichtig. Schließlich fliegt gerade wieder eine Ladung Bonbons in die Menge. „Immer lustig! Hurra!!!“

Am heutigen Sonnabend, 14. Januar, startet um 8.45 Uhr an der Weingartenschule der zweite Kinderumzug mit der Lustigen Person und den Clowns. Um 14.30 Uhr beginnt am Hotel Bellevue (Blumenstraße 29) der traditionelle Umzug der Schifferbrüderschaft mit Musik und den prächtigen Schiffsmodellen.