Lauenburg (ae) “Wir hatten die Kisten an Bord mit Sand gefüllt, falls auf uns geschossen wird“, erzählt Reinhard Strube über die spektakuläre Flucht seiner Familie aus der damaligen DDR. Auf Anregung des Heimatbund- und Geschichtsvereins hat er gemeinsam mit dem Vorsitzenden Horst Eggert Bilder und Kartenmaterial zusammengetragen .
Der Vortrag im "Zum Halbmond" fand großes Interesse, da auch viele Schiffer "von damals" den Blick zurück interessant fanden.
Sein Vater Otto Strube und sein Onkel Ernst Grote waren Inhaber des Frachtschiffs MS Kurier. Im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen, die 1958 bereits verstaatlich waren, blieben sie selbstständig und fuhren regelmäßig für Kiestransporte im Konvoi in den Westen. "Mein Vater hatte schon lange mit dem Gedanken gespielt, in den Westen zu flüchten, aber mein Onkel war sich nicht so sicher", so Reinhard Strube. Er selbst war damals 17 Jahre alt und wusste nicht recht, ob er seine Freunde und seine Heimat verlassen wollte. "Schlecht ging es mir da ja nicht", meint er rückblickend. Da er zum Zeitpunkt der Flucht noch keine 18 war, galt er damals als Verschleppter. Er erinnert sich noch genau an den entscheidenden Moment:
"Wir waren unterwegs von Magdeburg nach Dömitz. Nachdem wir an Schnackenburg vorbei waren, sagte mein Onkel zu meinem Vater 'Na, so sicher kannste dir ja auch nicht sein, sonst wärst du ja jetzt abgebogen'. Das waren die entscheidenden Worte. Während die Grenzsoldaten auf der einen Seite die Papiere prüfen mussten, drehte Otto Strube das Steuer nach links und fuhr im Schutze des Konvois die Elbe wieder einen Kilometer zurück und machte im Gorlebener Hafen im Westen fest. "Es hat recht lange gedauert, bis die überhaupt gemerkt haben, dass die MS Kurier weg war", berichtet Strube.
Groß war die Gefahr, dass die Grenzsoldaten die MS Kurier gewaltsam wieder in Besitz nehmen würden. Deshalb wurde das Schiff vier Wochen vom Bundesgrenzschutz im Gorlebener Hafen bewacht. Auch die Bürokratie nahm ihren Lauf. In Bonn wurde der Schiffsbrief geprüft und die DDR wurde aufgefordert, das Schiff im Schiffsregister zu streichen. "Das haben sie natürlich nicht gemacht", schmunzelt Strube.
Nachdem die Schiffseignerschaft bestätigt worden war, kam die Frage "Wie geht es jetzt weiter?" Das Schiff konnte von Gorleben aus nicht weiter auf der Elbe fahren, da es dann wieder die DDR-Hoheitsgebiet berührt hätte. Es blieb nur eine Lösung: Die MS Kurier musste mit ihren 80 Tonnen, 41,5 Meter Länge und 5,10 Meter Breite über Land in einen sicheren Westhafen transportiert werden. Damit begann das eigentliche Abenteuer. Die Lauenburger Werft Heidelmann übernahm dieses einzigartige Projekt. Die MS Kurier wurde in zwei Teile geteilt. Das Vorschiff und das Achterdeck wurden über Gartow, Lüneburg und Hoopte nach Lauenburg transportiert und dort wieder zusammengebaut.
Eine spektakuläre Flucht fand so ein glückliches Ende. Lauenburg wurde zur zweiten Heimat für Familie Strube. Nach einer Schlosserlehre und dem Maschinistenpatent fuhr Reinhard Strube noch von 1964 bis 1974 gemeinsam mit seinem Vater auf dem Frachtschiff. 1974 wurde das Schiff im Zuge einer Abwrackaktion verschrottet.