Geesthacht. Gewerkschaft IG BAU rechnet in 20 Jahren mit einem Bedarf von 9300 seniorengerechten Wohnungen. Davon existiert heute ein Bruchteil.

Der kleine Schritt in die Dusche, die Treppe zur Straße oder die Tür, die zu schmal für einen Rollstuhl ist – in den eigenen vier Wänden, in denen man ein Leben lang gerne gelebt hat, können im Alter und bei nachlassender Gesundheit leicht unüberbrückbare Hürden auftauchen. Wenn der oder die Betroffene gleichzeitig zu fit für ein Pflegeheim ist, kann ein Umzug in eine seniorengerechte Wohnung die Lösung sein – oder besser könnte.

Denn das Angebot an barrierearmen Wohnungen im Kreis Herzogtum Lauenburg ist begrenzt. Schon heute existieren bei den Anbietern lange Wartelisten. Und das Problem wird noch zunehmen. In 20 Jahren würden im ganzen Herzogtum über 9300 seniorengerechte Wohnungen gebraucht. Darauf weist die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) hin und warnt vor einer „grauen Wohnungsnot“, die der Generation der Baby-Boomer drohe. Zum Vergleich: Der Pflegestützpunkt im Kreis hat im bevölkerungsreichen Südteil des Kreises heute gerade einmal 1300 entsprechende Wohnungen erfasst.

Herzogtum Lauenburg: Wohnungsnot im Alter wird in 20 Jahren zunehmen

Mit dem Rollator zur Dusche: Im Herzogtum Lauenburg werden laut der IG BAU in 20 Jahren 9300 seniorengerechte Wohnungen benötigt. 
Mit dem Rollator zur Dusche: Im Herzogtum Lauenburg werden laut der IG BAU in 20 Jahren 9300 seniorengerechte Wohnungen benötigt.  © IG BAU | IG BAU

Nach Angaben der IG BAU zählen im Herzogtum Lauenburg (heute knapp 200.000 Einwohner) in 20 Jahren rund 59.500 Menschen zur Altersgruppe „67plus“. Das sind gut 17.300 mehr als heute. Die Gewerkschaft beruft sich auf neue Zahlen, die das Pestel-Institut bundesweit für Städte und Kreise ermittelt hat. Die Wissenschaftler haben die Bevölkerungsentwicklung im Rahmen einer Studie zur künftigen Wohnsituation von Senioren für den Bundesverband des Deutschen Baustofffachhandels (BDB) untersucht.

Nach Angaben des Instituts benötigen bereits heute mehr als 7000 Haushalte im Herzogtum eine Seniorenwohnung, weil Menschen im Rentenalter in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. „Und demnächst gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente. Dann steuern wir sehenden Auges auf eine ‚graue Wohnungsnot‘ zu“, sagt Achim Bartels, der Bezirksvorsitzende der IG BAU Hamburg.

Die Awo-Pflege betreut 191 Wohnungen

Cirstin Wolff (links) und Ilka Timm von der Awo-Pflege koordinieren die Betreuung im „Seniorenpark Am Elbufer“ an der Steinstraße in Geesthacht.
Cirstin Wolff (links) und Ilka Timm von der Awo-Pflege koordinieren die Betreuung im „Seniorenpark Am Elbufer“ an der Steinstraße in Geesthacht. © Dirk Schulz | Dirk Schulz

Eine Einschätzung, die Ilka Timm von der Awo-Pflege teilt. Sie koordiniert zusammen mit Cirstin Wolff die rund 60 Wohnungen im „Seniorenpark Am Elbufer“ an der Steinstraße in Geesthacht. „Mietinteressenten rennen uns die Bude ein. Wir haben schon 28 Leute auf der Liste. Sie warten auf den Tod eines anderen Menschen“, nimmt Timm kein Blatt vor den Mund. Die Wohnungen gehören meist Investoren, die Awo-Pflege kümmert sich in der Regel nur um die Betreuung der Bewohner.

In Geesthacht, Börnsen und Lauenburg sind 191 Wohnungen unter den Fittichen der Awo-Pflege. Diese gehören zum sogenannten Angebot „Wohnen mit Service“. Dabei leben die Senioren (Mindestalter 60 Jahre) autark in ihren Mietwohnungen, ein Hausmeister kümmert sich um alle Arbeiten am Gebäude, während die Awo die Betreuung, Pflege und teilweise auch das Tagesprogramm der Bewohner organisiert.

„Wohnen mit Service“ gegen die Alterseinsamkeit

„Jeder hat ein Notrufgerät, das er rund um die Uhr benutzen kann. Wer allerdings täglich mehr als drei Besuche eines Pflegeteams braucht oder nachts nicht mehr allein zurecht kommt, muss langsam in ein Pflegeheim umziehen“, sagt Ilka Timm. Einmal wöchentlich fahren die Bewohner gemeinsam einkaufen, und für die Geselligkeit gibt es einen großen Gemeinschaftsraum. Denn, so Ilka Timm: „Alterseinsamkeit ist die größte Volkskrankheit.“

Neben dem Mangel an altersgerechten Wohnungen befürchtet die IG BAU auch eine zunehmende Altersarmut durchs Wohnen. So drohten bei der Boomer-Generation künftig zwei Dinge „fatal aufeinander zu treffen“: Erstens die Gefahr eines sinkenden Rentenniveaus. Und zweitens steigende Kosten fürs Wohnen. Mieter seien hier genauso betroffen wie Menschen mit Wohneigentum, wenn beim Einfamilienhaus oder bei der Eigentumswohnung Sanierungen fällig würden.

Nach den Bedürfnissen von Senioren bauen

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Beim "Wohnen mit Service" im Seniorenpark Am Elbufer in Geesthacht haben alle Bewohner Zugang zum großen Gemeinschaftsraum. © Dirk Schulz | Dirk Schulz

„Wenn die Wohnkosten weiter in dem Tempo der letzten Jahre steigen, werden viele Senioren, die damit heute längst noch nicht rechnen, ihren Konsum einschränken müssen. Ältere Menschen werden die hohen Mietpreise oft kaum noch bezahlen können. Für viele wird es dann finanziell richtig eng. Deshalb werden auch im Herzogtum künftig deutlich mehr Menschen als heute auf staatliche Unterstützung angewiesen sein, um überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben“, warnt Achim Bartels.

Zudem zeichnet sich ab, dass es, bedingt durch den demografischen Wandel, deutlich zu wenig stationäre Pflegeplätze geben wird und somit der Bedarf an ambulanter Pflege steigt, wenn es denn entsprechende Wohnungen dafür gebe. Daher appelliert Ilka Timm: „Das Wichtigste ist, dass Wohnungen neu gebaut werden und zwar nach den Bedürfnissen der Senioren. Dafür müssten sich doch Investoren finden lassen, schließlich sind es allein bei uns an der Steinstraße 60 Mal monatliche Mieteinnahmen.“

Fördertopf des Bundes reicht nicht aus

Der Bezirksvorsitzende der IG BAU Hamburg Achim Bartels fordert: „Wir brauchen für den heimischen Wohnungsmarkt klare finanzielle Anreize. Angesichts der drohenden ‚grauen Wohnungsnot‘ ist deutlich mehr Geld für den Neubau von Seniorenwohnungen, aber auch für die altersgerechte Sanierung bestehender Wohnungen erforderlich.“ Hier seien alle gefordert – Kommunen, Land und Bund.

Das Bundesbauministerium stellte in diesem Jahr einen Fördertopf von 75 Millionen Euro über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für den altersgerechten Umbau von Wohnungen zur Verfügung. „Das Geld wird dringend gebraucht. Aber es reicht bei Weitem nicht. Das hat das letzte Jahr gezeigt. Da gab es exakt die gleiche Fördersumme. Und der Topf war ruckzuck ‚leergefördert‘: Schon nach sechs Wochen war kein einziger Förder-Euro mehr da. Da muss mehr passieren“, so Bartels.

Richtige Politik in Geesthacht: SPD fühlt sich bestätigt

In Geesthacht hat die Kommunalpolitik bereits beschlossen, das große Neubauprojekte einen 25-prozentigen Anteil an sozial-gefördertem Wohnraum haben müssen. „Dass diese Wohnungen barrierearm sind, also mit Fahrstuhl, ohne Türschwellen und breiten Türen, ist meines Wissens Standard“, sagt Petra Burmeister, die Fraktionsvorsitzende der SPD. Die Sozialdemokraten waren maßgeblich an der Einführung der 25-Prozent-Quote beteiligt.

Burmeister fühlt sich bestätigt im gemeinsamen Vorgehen von Politik und der Verwaltung in Geesthacht. „Es zahlt sich aus, dass wir mit der WoGee eine eigene Wohnungsbau-Gesellschaft haben und es auch mutig war, im Neubaugebiet Finkenweg Nord Geschosswohnungen anzubieten“, sagt Burmeister. „Wir als Geesthachter SPD sind aber der Überzeugung, dass wir weiter im Wohnungsbau aktiv sein müssen.“

Wenn Senioren Frage zur Pflege oder einer Seniorenwohnung haben, können sie sich an den Pflegestützpunkt im Kreis Herzogtum Lauenburg wenden, der vom Kreis mit finanziert wird und der trägerunabhängig über die Angebote informiert. Das Büro in Geesthacht ist in der Bogenstraße 7, Telefon 04152/80 57 95.