Geesthacht. Bildungsträger Erfolgswind expandiert nach Geesthacht und will Fachkräftemangel bekämpfen. Wie das funktionieren soll.
„Deutschland benötigt die Einwanderung von Facharbeitern? Sie sind doch schon längst da“, wundert sich Ismail Hüseyin über eine immer wiederkehrende Forderung aus Wirtschaft und Politik. Der Geschäftsführer der Erfolgswind GmbH & Co KG hat täglich beruflich mit solchen Fällen zu tun. Flüchtlingen etwa, die viel Fachwissen mitbringen ins Land, die aber ein Problem haben: Ihre Kenntnisse werden in Deutschland vielfach nicht anerkannt.
„Die haben 30 Jahre als Bäcker gearbeitet, Tischler, Klempner oder Elektriker. Die beherrschen ihr Handwerk. Eigentlich müsste die erste Frage, wenn jemand nach Deutschland kommt, sein: Was kannst Du? Und nicht die danach, ob jemand hier bleiben dürfe“, ärgert sich Ismail Hüseyin.
Ein Käsereiunternehmer trägt nun Pakete aus
Er erzählt von einem besonders drastischen Beispiel: „Der Käse eines Familienunternehmens aus Syrien war in der ganzen arabischen Welt begehrt. Es war richtige Handarbeit. Dann brach 2011 der Bürgerkrieg aus. Zwei der Unternehmer gelangten auf der Flucht in die Türkei. Dort haben sie ihre Karriere fortgesetzt“, erzählt Ismail Hüseyin. Sein Klient floh nach Deutschland. Und fährt nun Pakete für ein Transportunternehmen aus.
Ismail Hüseyin kennt viele solche Fälle. „Ein Steinmetz aus Syrien hatte im Restaurant gearbeitet, seinen Beruf durfte er nicht ausüben.“ Aber es seien nicht nur Kräfte aus dem Ausland, die durchs Raster fallen. Ismail Hüseyin berichtet von 300.000 Pflegekräften, die trotz Pflegenotstandes nun ohne Job seien, weil sie sich nicht gegen Corona impfen lassen wollten.
Geesthacht als Sprungbrett für die Expansion in der Region
Der Bildungsträger Erfolgswind lebt davon, solche Menschen hierzulande wieder in Lohn und Brot zu bringen, gefördert von der Agentur für Arbeit oder von den Jobcentern. Erfolgswind selbst ist ein Erfolgsmodell. Gestartet wurde im März vor zwei Jahren auf einer Bürofläche von 13 Quadratmetern am Hamburger Rödingsmarkt, nun wird die gesamte Etage belegt. Zu den zwei Geschäftsführern aus der Gründerzeit kommen sechs Angestellte und 25 Dozenten, auf die zurückgegriffen werden kann.
Standbeine gibt es mittlerweile in Elmshorn und Buchholz, die Eröffnung des Büros in Geesthacht ist nun der erste Schritt in den Hamburger Osten. Geesthacht könnte das Sprungbrett sein für die weitere Expansion in der Region. Die Anstoß hierfür sei vom hiesigen Jobcenter gekommen, berichtet Ismael Hüseyin. „Wir hatten den Kontakt wegen eines Kunden aus Geesthacht gehabt, dort sagte man uns, ,es fehlt hier eigentlich jemand, der so arbeitet wie Sie’“.
Erfolg durch ein besonders enges Verhältnis zu den Teilnehmern
Das Konzept mit dem besonders engen Verhältnis zu den Teilnehmern, das vielfach auf Einzeltraining basiere, sei eine Marktlücke gewesen, berichtet Ismail Hüseyin. „Weil wir Expertisen haben, die andere Träger in Deutschland nicht so haben.“ Ziel: „Alle Hindernisse zur Seite räumen.“
Wirtschaftswissenschaftler Ismail Hüseyin kommt selbst aus der Branche, sattelte 2017 vom Coachen für Konzerne auf Pädagogik um und ist bestens vernetzt. Bei der Arbeit bei einem anderen Bildungsträger entwickelte er das Konzept, wie die Integration in den Job für Arbeitslose erfolgreicher gelingen könnte, überzeugte seine damalige Chefin und gründete mit ihr 2020 Erfolgswind.
Bandbreite vom Analphabeten bis zum Manager
Die Coaches werden je nach individuellen Erfordernissen dazu geholt, das können Wirtschaftspädagogen oder auch Start-up-Berater sein. „Einer kümmert sich um den Spracherwerb, einer um den Jobteil. Und vielleicht brauchen wir noch einen Resilienzcoach. Da steht dann der Aufbau der Persönlichkeit im Vordergrund“, berichtet Ismail Hüseyin. Das Coaching findet bis zu viermal pro Woche in Vollzeit statt, die maximale Maßnahmedauer beträgt 50 Unterrichtseinheiten.
Die Bandbreite gehe „vom Analphabeten bis zum Manager“, sagt Ismail Hüseyin. Erfolg gebe es auch bei Menschen mit wenig Bildung. „Eine Flüchtlingsfrau wurde mit 13 Jahren verheiratet. Sie war im Leben nur drei Monate in der Schule. Mit 24 ist sie zu uns gekommen. Wir haben ihr eine Vollzeitstelle besorgt in einem großen Warenhaus.“
Ehemaliger Ratsherr führt Geesthachter Büro
Wer das Büro in der Geesthachter Rathausstraße 34 betritt, stößt auf ein in der Stadt bekanntes Gesicht. Volker Samuelsson wurde erst vor zwei Wochen auf der konstituierenden Ratsversammlung als Ratsherr verabschiedet. Wegen eines Schlaganfalls vor einem Jahr kann er seine Tätigkeit beim Verkehrs- und Berufsbildenden Zentrum nicht fortführen, er musste seine Ausbildung zum Fahrlehrer abbrechen.
Der Kontakt zu Ismail Hüseyin kam über das VBZ zustande. Er erfuhr, dass Erfolgswind ein Büro in Geesthacht eröffnen wollte und einen Mitarbeiter suchte. „Geesthacht ist ein Standort, wo viel Potenzial drin steckt“, sagt er. So wurde mit dem DRK, dem Träger der Flüchtlingsunterkunft in Geesthacht, bereits Tuchfühlung aufgenommen. Mittlerweile sind über das Geesthachter Büro vier Frauen immerhin als Azubis in Unternehmen untergebracht. Eine von ihnen ist Ghanaerin und spricht fließend Französisch und Englisch.
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„Studierte Menschen sind zum Teil sehr mobil“, weiß Ismail Hüseyin. Soll heißen: Wenn sie in Deutschland keinen Job finden, dann eben woanders. „Deutschland braucht aber diese Menschen, jeden einzelnen.“