Geesthacht/Rönne. Unfertige Aufstiegshilfe Süd sei nach alter Verordnung geplant. Landwirtschaftsministerin unterstützt Forderung auf Nachbesserung.
Etwa 120 Fischarten müssen das Wehr beim Geesthachter Stauwehr passieren. Die meisten sind zur Überwindung des Hindernisses dringend auf die Fischtreppen an beiden Ufern angewiesen. Das Problem: Beide funktionieren zurzeit nicht so, wie sie sollten. Jetzt gibt es einen weiteren Tiefschlag für die Naturschützer.
Die nach der Verformung einer Spundwand im Jahr 2019 vollständig verfüllte Aufstiegshilfe auf der Südseite, die eigentlich schon im vergangenen Jahr wieder in Betrieb hätte gehen sollen, fällt weiterhin aus. Ob die Fertigstellung in diesem Jahr rechtzeitig zum Oktober klappt, wenn viele Fische zu den Laichplätzen wandern wollen, ist fraglich. Angestrebt wird erst ein Termin Ende des Jahres. Verzögert wurde die Fertigstellung durch Faktoren wie Materialengpässe und die Corona-Pandemie.
Nabu Geesthacht: Fischtreppen-Umbau entspricht nicht neuesten Verordnungen
Noch schlimmer als die Verzögerung: Die Fischtreppe sei nicht nach neuester Verordnung gebaut worden, ist der Geesthachter Naturschutzbund überzeugt – und könne deshalb für einige Arten sogar zur Todesfalle werden. Nach Erkenntnissen des Nabu weist die Anlage einige Mängel auf, die für den Neubetrieb behoben werden müssten. Die Umweltschützer mahnen nun dringend zu prüfen, ob die Fischaufstiegsanlage Süd den Anforderungen des neuen Merkblatts der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA-M509) entspricht.
Die Fischaufstiegsanlage Süd wurde 1998 als Umgehungsrinne errichtet, damals noch nach den Regeln vom Deutschen Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau (DVWK / Merkblatt 232/1996). Dieses Merkblatt ist mittlerweile überarbeitet worden, basierend auf einem Monitoring von Vattenfall. Das Energieunternehmen war bis Dezember 2021 im Besitz der Fischtreppe auf der Nordseite, nun ist es der Bund. Die gesammelten Daten belegen, dass es im Südbereich für einige Fischarten eine selektive Wirkung beim Raugerinne gibt – wie es durch Steine am Gewässerboden entsteht – im Vergleich zum sogenannten Schlitzpass auf der nördlichen Elbseite.
Und das solle nicht mehr sein. „Nach DWA-M509 darf eine Fischaufstiegsanlage nicht artenselektiv sein. Der Aufstieg muss für schwimmstarke und schwimmschwache Arten aller Größen- und Leistungsklassen gewährleistet sein“, erläutert der zweite Nabu-Vorsitzende Jens Gutzmann. Hintergrund für die neue Verordnung sind demnach die Erkenntnisse, die Vattenfall zusammengetragen hat. Sie wurden für eine Modifizierung verwendet und das Merkblatt für Fischaufstiegsanlagen, in dem die Bemessung, Gestaltung und Funktionskontrolle geregelt ist, wurde aktualisiert.
Als stark überarbeitete Fassung des Merkblattes 232 wurde schließlich 2014 das Merkblatt 509 („Fischaufstiegsanlagen und fischpassierbare Bauwerke – Gestaltung, Bemessung, Qualitätssicherung“) veröffentlicht, diesmal von der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA). Hier sind nun die Anforderungen von Aufstiegsanlagen vorgegeben.
Aufstiegswillige Fische schwimmen in eine Sackgasse
Der Nabu Geesthacht hat nun einen Katalog erarbeitet, in dem die Bestandteile der Anlage aufgelistet sind, die die Naturschützer für nicht regelrecht erachtet. Die Liste ist lang. Sie sehen unter anderem eine sogenannte Longitudinalfalle, eine Art Sackgasse für aufstiegswillige Fische, die der starken Strömung am Wehr folgen. Sie entstünde, weil das Unterwasser nicht bündig mit dem Wehrpfeiler angeschlossen wurde. Fische, die in dieser Sackgasse gelandet seien, fänden nach Auffassung des Nabu nicht in den Einstig der Aufstiegsanlage zurück. Immerhin: In dem von der Wasserstraßenverwaltung geplanten konstruktiven Durchstich auf Pfeilerhöhe wird eine geeignete Abhilfe gesehen.
Weitere Problemstellen für den Nabu: Die Abstände der Findlinge in der Anlage seien zu gering, besonders für große Fischarten wie Lachs und Meerforelle. Die Fließgeschwindigkeit werde zu hoch, sodass die Durchwanderbarkeit für schwimmschwache Arten und Jungfische stark eingeschränkt sei. Und die derzeit installierte Fang- beziehungsweise Schützanlage sei ein Manko mit Gefahr für Leib und Leben der Fische. Der glatte Beton innerhalb dieser Anlage sorge für eine Beschleunigung des Wassers, das den Aufstieg der Fische erschwere. So sei es den leistungsschwachen Fischen nicht möglich, die glatte Sohle bei den dort herrschenden hohen Fließgeschwindigkeiten zu überwinden. Das kommt für den Nabu einer Selektierung gleich, die es nicht mehr geben dürfte.
Turbulenzen befürchtet wie in einer Waschmaschine
Und durch die Konstruktion und den Unterbau der Fang- und Schützanlage werde der Querschnitt deutlich verkleinert. Dadurch entstünden neben der höhren Strömungsgeschwindigkeit zudem starke Turbulenzen wie in einer Waschmaschine, die den Aufstieg der Fische nochmals erschwerten. Arten wie Zander meiden hingegen turbulente Bereiche, sodass ihr Aufstieg definitiv beeinträchtigt sei.
Die Naturschützer befürchten, dass durch die Turbulenzen ein großer Teil der gefangenen Fische getötet werde. Aufsteigenden Fische drohten Brüche der Wirbelsäule, Entschuppung, Abrasuren und massive Quetschungen, absteigende Fische würden durch den hohen Wasserdruck gegen die Kastenreusen gepresst und regelrecht zu Tode gequetscht, heißt es mit Verweis auf die Schriftenreihe Elbfisch-Monitoring der Vattenfall Europe Generation.
Die Positionierung der Kastenreusen im oberen Drittel der Fischaufstiegsanlage wird vom Nabu als nicht sinnvoll erachtet. Solche Monitoringeinrichtungen müssten immer oberhalb errichtet werden, damit nur diejenigen Fische gefangen würden, welche die Anlage tatsächlich vollständig passiert hätten. Und auch die mit der Fanganlage kombinierte Schützanlage für eine eventuelle Trockenlegung der Anlage sei falsch positioniert, da so das obere Drittel der Aufstiegsanlage nicht trockengelegt, inspiziert und gewartet werden könne. Der Nabu fordert Nachbesserungen in Form eines neuen Einlaufbauwerks, welches eine Trockenlegung der gesamten Anlage ermögliche.
Ministerin Miriam Staudte sieht Bundesverkehrsministerium in der Pflicht
Unterstützung gefunden haben die Umweltschützer durch die Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Niedersachsen, Miriam Staudte (Grüne). Die gebürtige Geesthachterin, die früher selbst im Nabu aktiv war, traf sich mit einer Nabu-Delegation am vergangenen Sonnabend auf der Südseite der Anlage, dabei war auch ihr Vater Wolfram Staudte. „Die Funktionstüchtigkeit und die tierschutzgerechte, verletzungsfreie Gestaltung von Fischtreppen und Monitoringanlagen sind mir als für den Tierschutz und Fischerei zuständige Ministerin sehr wichtig“, sagte Ministerin Miriam Staudte.
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Sie sieht Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) in der Pflicht. Die Elbe ist eine Bundeswasserstraße. „Es ist kein hinnehmbarer Zustand, dass der Fischaufstieg am Geesthachter Stauwehr jetzt schon seit fast vier Jahren derartig eingeschränkt ist. Die Fischbestände haben aktuell schon genügend mit Widrigkeiten zu kämpfen, es muss schnell gehandelt werden. Ich werde mit Nachdruck beim Bund darauf hinweisen, dass die Durchgängigkeit auch eine Zuständigkeit des Verkehrsministeriums ist und dass das Wasser- und Schifffahrtsamt mehr Unterstützung aus Berlin erhält, um den Fischpass am niedersächsischen Ufer wieder zu ermöglichen“, erklärte sie.