Geesthacht. Miriam Staudte hat Abi am Otto-Hahn-Gymnasium gemacht, ist heute Landwirtschaftsministerin in Niedersachsen. So lebt und arbeitet sie.
Die erste Begegnung mit der großen Politik hatte Miriam Staudte in der fünften oder sechsten Klasse am Otto-Hahn-GymnasiumGeesthacht. Ganz genau weiß die heute 47-Jährige das nicht mehr. „Ich habe mit dem Schulchor für Uwe Barschel gesungen, als der seine alte Schule besucht hat“, erinnert sich Staudte an das Treffen mit den früheren Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein (1982-1987). Dass sie selbst einmal politische Karriere machen würde, war damals noch nicht abzusehen.
Die Handynummer von Bundeskanzler Olaf Scholz hat Miriam Staudte zwar nicht. Aber die von Vizekanzler Robert Habeck. Und mit vielen Granden der Grünen ist sie per Du. Auch ihre erste Rede im Deutschen Bundesrat liegt noch gar nicht weit zurück. Dort sprach die Grünen-Politikerin als Landwirtschaftsministerin von Niedersachsen zur Transformation der Tierhaltung in Deutschland. „Das war ganz komisch. Anders als im Landtag gibt es im Bundesrat keine Zwischenrufe oder Applaus“, so Staudte, die seit dem 8. November 2022 dem rot-grünen Kabinett von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) angehört.
Miriam Staudte ist heute Frau Ministerin
„Es macht immer noch Spaß“, sagt sie nach einem knappen halben Jahr im Amt. Obwohl ihr Terminkalender praktisch schon bis zum Jahresende ausgebucht ist und 75 Stunden Arbeit pro Woche die Regel sind. Zwei Mitarbeiterinnen sind ausschließlich dafür zuständig, die Termine von Frau Ministerin zu koordinieren. Doch für einen Besuch unserer Redaktion in ihrem Büro in Hannover hat sich Miriam Staudte trotzdem Zeit genommen.
Das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – so die offizielle Bezeichnung – ist ein wenig ansehnlicher Bau aus den 1970er-Jahren. Staudtes Büro ist pragmatisch eingerichtet. Langer Konferenztisch, höhenverstellbarer Schreibtisch auf dem sich Mappen und Papiere stapeln, großer Aktenschrank. An der Wand hängt ein Panoramafoto einer Waldlandschaft mit Bach.
Zwischen den Terminen wird im Auto gearbeitet
Staudte ist ohnehin viel im zweitgrößten Bundesland unterwegs. Mal bei den Krabbenfischern in Friesland, mal beim Kreislandvolk in Oldenburg oder beim Bauernverband in Uelzen. Fünf bis sechs Termine täglich stehen auf dem Programm. Die Zeit dazwischen wird vom Auto aus gearbeitet. Natürlich hat eine Ministerin einen Fahrer. Dazu gesellen sich zahlreiche Besprechungen, die Freigabe von Pressemitteilungen und täglich mehrere Presseanfragen, die keinen Aufschub erlauben.
„Man muss sich schnell in komplexe Vorgänge eindenken können und unglaublich viel lesen“, sagt Staudte, die Vorgesetzte von 290 Mitarbeitern ist. „Politik ist nur so gut wie ihre Beratung. Und es braucht gute Zuarbeit. Man muss wissen, zu welchem Thema man wen fragen kann“, so Staudte. In der Öffentlichkeit ist es ihr als Politikerin wichtig, aus dem Herzen keine Mördergrube zu machen. Auch wenn sie die Worte oft genau abwägen muss. Für sie geschriebene Reden dienen eher als Anregung. Sie spricht lieber frei mit einem Stichwortzettel. „Es muss zur Situation und den Vorrednern passen“, sagt die Ministerin.
Beim Nabu Geesthacht fing alles an
Engagement für den Umweltschutz zeigte sie schon früh. „Heike Kramer (die heutige Ortsvorsitzende, die Red.) war meine Baumgruppenleiterin beim Nabu“, erinnert sich Staudte unter anderem an Fledermaus-Beobachtungen in Hamwarde. Zudem jobbte sie später auf dem Erdmannshof. Prägend sei auch der Protest gegen das Atomkraftwerk Krümmel gewesen, hatte ihre Mutter Renate Staudte, eine ehemalige Lehrerin am OHG, vor der Vereidigung der Tochter zur Ministerin berichtet.
Die ersten politischen Schritte ging die 47-Jährige kurz bei den Geesthachter Jusos, der SPD-Nachwuchsorganisation. 1993 trat sie dann bei den Grünen ein, für die sie 1994 erfolglos bei der Kommunalwahl für die Ratsversammlung kandidierte. Fahrt nahm die Politik-Karriere nach dem Abitur 1995 am OHG und dem Umzug für das Studium nach Lüneburg auf. Ab 2000 war sie Sprecherin des dortigen Kreisverbandes und saß von 2001 bis 2016 im Kreistag. Parallel dazu saß sie ab 2008 auch im niedersächsischen Landtag.
Heute lebt Miriam Staudte im Wendland
Ab diesem Zeitpunkt war die Diplompädagogin hauptberufliche Politikerin. Zuvor hatte sie als junge Mutter vielleicht 20 Stunden in der Woche für ihr Ehrenamt aufgewendet. „Als ich im Landtag war, hat mein Ex-Partner dann die Kinderbetreuung übernommen“, blickt Staudte zurück.
Seit 2017 lebt sie mit neuem Freund und dessen drei Kindern im Wendland. Ihre eigenen Söhne (19 und 21 Jahre) sind inzwischen ausgezogen. „Für mich war das ein idealer Zeitpunkt, Ministerin zu werden. Vieles hat sich aber so ergeben“, sagt die frühere Geesthachterin. Sporen für das Ministeramt hatte sie sich in ihren acht Jahren im Agrarausschuss verdient. Ihr Landtagsmandat gab sie wegen der bei den Grünen üblichen Trennung von Amt und Mandat nach fast 15 Jahren zurück.
Staudte: „Der Freundeskreis leidet bei dem Job“
Unter Woche wohnt sie mittlerweile in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung in Hannover, täglich zu pendeln wäre zu weit. „Dann ich kann ich hier im Ministerium solange arbeiten, wie ich will“, sagt sie. Oft geht sie erst spät am Abend, wenn alle anderen schon zu Hause sind. Dafür ist sie bemüht, am Wochenende möglichst wenig offizielle Termine zu machen. Wenngleich das Diensthandy für den Notfall immer dabei ist.
Private Dinge müssen dennoch oft hintenanstehen. Den 70. Geburtstag ihrer Mutter hatte sie frühzeitig genug geblockt. „Viele Sachen klappen aber auch nicht. In der Familie schafft man das noch irgendwie, aber der Freundeskreis leidet“, räumt sie offen ein. Immerhin schafft sie es, Kontakt zu Wiebke Schürmann vom Elbkantinchen Tesperhude zu halten, die eine alte Schulfreundin ist. Auch mit einer anderen Freundin aus Ochsenwerder ist sie regelmäßig in Kontakt.
Keine Ambitionen auf Bundesebene
Am vergangenen Wochenende war sogar mal Zeit dafür, zu Hause die Hochbeete für die Erdbeeren vorzubereiten. „Selbstversorgung bekomme ich aber noch nicht hin“, sagte Staudte, die sich für die Wahlperiode auf die Fahnen geschrieben hat, den Ökolandbau in Niedersachsen bis 2030 auf 15 Prozent zu verdreifachen. Landwirten sollen Anreize geschaffen werden, ein zweites Standbein zu haben, anstatt bei einer Spezialisierung den Schwankungen des Weltmarktpreises zu unterliegen.
Höhere Ambitionen hegt sie offiziell nicht. „Oh, Gott, nee!“ entgegnet sie auf den Verweis auf Boris Pistorius (SPD), der auch im November im Kabinett Weil begann und inzwischen Bundesverteidigungsminister geworden ist. „In einem Bundesland kommen Theorie und Praxis zusammen. Es ist eine gute Mischung aus regionalen Themen“, sagt Staudte und berichtet vom regelmäßigen Austausch mit dem EU-Parlamentariern in Brüssel, die wissen wollen, ob deren beschlossene Maßnahmen vor Ort funktionieren.
Am 6. Mai zu Besuch in Geesthacht
Diese Arbeitswoche begann für Miriam Staudte mit einem Termin der angenehmen Art. Sie begleitete einen Weideaustrieb auf einem Biohof in der Nähe von Osterode am Harz. Die Grünen-Politikerin hatte sichtlich Freude daran, wie zehn Jungbullen des Harzer Roten Höhenviehs, der alten Heimatrasse des Harzes, auf der Weide Bocksprünge vollführten. Der letzte Termin einer vollgepackten Woche am Freitag war eine hausinterne Vorbesprechung zur nächsten Agrarministerkonferenz.
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Am Sonnabend, 6. Mai, wird sie wieder auch mal auf Stippvisite in Geesthacht sein. Um 10.30 Uhr besucht sie den Wahlkampfstand der Geesthachter Grünen in der Fußgängerzone, und um 12.30 Uhr hat sie einen Termin an der Fischtreppe auf der niedersächsischen Seite vom Stauwehr – zusammen mit Heike Kramer, ihrer früheren Baumgruppenleiterin beim Nabu, zu der sie immer noch Kontakt hält.