Geesthacht. Die Bahnanbindung von Geesthacht nach Bergedorf rückt näher. Was die Gegner der Streckenreaktivierung fürchten.
Der Dornröschenschlaf ist vorbei: Seit dem März 2015 gibt es die Facebook-Gruppe „Nein zur Reaktivierung der Bahnstrecke Bergedorf-Geesthacht“ schon, aber der eher geruhsame Aktivitätsmodus beschränkte sich auf einen gelegentlichen Austausch von Informationen. Diese Zeiten sind passé, die Gruppe ist alarmiert. „Mittlerweile besteht die Gruppe aus bis zu 100 Leuten“, berichtet Gruppen-Gründer Frank Schmidt aus Börnsen. Die Verunsicherung ist groß. „Wenn der Zug mit 80 km/h von Geesthacht nach Bergedorf donnert, kann ich mein Haus an der Bahntrasse abreißen lassen“, schreibt eine Anwohnerin. Jemand anderes fragt um Rat wegen einer guten Rechtsschutzversicherung.
„Ich habe mich die letzten drei Tage fast nur noch um Facebook gekümmert“, berichtet Frank Schmidt. So groß war der Zulauf an Interessenten, die in der Gruppe aufgenommen werden wollten. Tendenz: weiter steigend. Aktuell werden Flugblätter an die Wohnhäuser entlang der Strecke verteilt. Auflage: 1000 Stück. „Allein in der Rothenhauschaussee waren es 300 Briefkästen“, sagt Frank Schmidt. Er will noch weitere 600 Stück nachdrucken.
Gegner der Bahnverbindung Geesthacht-Bergedorf sind alarmiert
Nächster Anlaufpunkt ist in Geesthacht das Neubaugebiet Weidentrift in Besenhorst, es liegt ebenfalls dicht bei den Gleisen. Lokale Politiker als Anschlussgegner hat Frank Schmidt noch nicht in der Gruppe entdeckt. Er glaubt, dass sich viele von ihnen bis zur Kommunalwahl bedeckt halten. Dann sollte sich das ändern, erwartet Frank Schmidt. Der Rasen seines Grundstückes endet direkt an den Gleisen. „In der ersten Nacht nach unserem Einzug vor ein paar Jahren ratterte ein Güterzug durch, mit Schutt vom AKW Krümmel. Meine Frau wollte danach sofort wieder verkaufen“, erinnert er sich.
Der erste Zug auf der Strecke fuhr schon 1906
Der erste Zug auf der Strecke verkehrte am 19. Dezember 1906 zwischen Bergedorf-Süd und Geesthacht. Der letzte der damaligen BGE (Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn) fuhr am 26. Oktober 1953. Danach war Schluss, der Busverkehr wurde ausgebaut. Die BGE verschmolz später mit anderen Verkehrsbetrieben zu den VHH. Der Eisenbahnbetrieb auf noch vorhandenen Strecken der BGE war schon am 1. Januar 1956 übergegangen auf die AKN, die heute noch die Nutzungsrechte an der Strecke hält, während die VHH Eigentümer des Streckengrundstücks ist. Heutzutage fährt nur noch regelmäßig die historische Dampflok der Arbeitsgemeinschaft Geesthachter Eisenbahn auf ihren beliebten Ausflugstouren.
Warum er die Gruppe im Jahr 2015 ins Leben gerufen hat, daran erinnert sich Frank Schmidt nicht mehr. Möglicherweise habe ein Vorgang in der Politik den Anlass gegeben, vermutet er. So wie jetzt: Denn Auslöser der neuen Betriebsamkeit war der Besuch des schleswig-holsteinischen Verkehrsministers Claus Ruhe Madsen am Freitag, 14. April, im Geesthachter Rathaus. Madsen bekräftigte, dass die Maßnahmen zum Bahnanschluss forciert werden, Nah.SH-Experte Lukas Knipping informierte über eine Arbeitsgruppe, die sich an Vorplanungen gemacht habe, deren Abschluss für 2024 zu erwarten sei.
Für die Anbindungsgegner sind viele Fragen offen
Erster Anlaufpunkt, um sich aktiv ins Geschehen einzubringen, ist das Krügersche Haus (Bergedorfer Straße 28) in Geesthacht am 2. Mai. Für 19 Uhr haben die Geesthachter Grünen den Hamburger Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) eingeladen. „Eine Demo wird es aber nicht“, sagt Frank Schmidt. „Wir wollen uns einfach unter die Besucher mischen und kritische Fragen stellen – und um zu wissen, wie Hamburg dazu steht.“ Für ihn und die Mitstreiter sind viele Fragen offen. „Ob Alternativen ernsthaft geprüft worden sind. Und was mit Absicherungen, Schranken, Lärmschutz entlang der Strecke ist?“, nennt der Börnsener Beispiele. Um die 31 Bahnübergänge von Bergedorf-Süd bis Geesthacht sollen es sein – an denen es dann gefährlich werden könnte. Zur Zeit verlaufen die Gleise meist völlig offen durch die Landschaft.
Nach dem Besuch der Veranstaltung im Krügerschen Haus ist im Juni ist eine größere Zusammenkunft geplant. Dann soll ein Resümee gezogen und besprochen werden, wie weiter vorgegangen werden soll. Denn als grundsätzliche Bahngegner verstehen sich die Reaktivierungsgegner nicht. „Ja zu einer Anbindung von Geesthacht nach Bergedorf auf einer alternativen Strecke“, wird als Kernaussage im Internetauftritt gelistet. Kritisiert wird unter anderem, dass die vorliegende Machbarkeitsstudie ausschließlich für die bestehende Trasse in Auftrag gegeben worden sei.
Spielt eine seltene Eidechse an der Strecke noch eine Rolle?
Vielleicht spielt den Gegnern des Bahnanschlusses noch ein seltenes Tier in die Hände. Frank Schmidt bekam jüngst über einen privaten Kanal die Mitteilung, dass fachkundige Bekannte eine seltene Eidechsenart am Streckenrand identifiziert hätten. Ihm fiel spontan die Parallele zur Tellerschnecke in Bergedorf ein. Was dahintersteckt, soll in den nächsten Tagen geklärt werden.
Seit ein paar Tagen hat sich auch der Bergedorfer Christian „Chrischan“ Kloppenburg der Facebook-Gruppe angeschlossen. Er ist in der Musikszene gut bekannt durch zahlreiche Bandprojekte wie „Glowpunch“. Aktuell tritt er mit der Gruppe „The Craic“ auf. Er wohnt An der Pollhofsbrücke in Bergedorf in einem Mietshaus, knapp 20 Meter neben der Strecke. Die Südbalkone der vorderen Wohnungen liegen so nah am Gleis, die Bewohner müssten nur die Hand ausstrecken, um Waggons zu berühren, scheint es. In der Nachbarschaft ist der Bahnanschluss noch kein großes Thema, sagt er. Das will Christian Kloppenburg ändern, die Anwohner drauf ansprechen.
„Er sei ein gebranntes Kind“, erzählt Christian Kloppenburg. „Vorher habe ich ein paar Jahre im Reetwerder gewohnt. Hinterm Haus fuhren die S-Bahn, Güterzüge und Fernbahn durch. Es war zu laut, dagegen ist das hier ein Idyll. Die ganze Geräuschkulisse fehlt mir gar nicht. Wenn die Bahn mit 80 km/h hier durchfährt, wackelt das ganze Haus“, befürchtet Christian Kloppenburg.
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Der größte Knackpunkt in Bergedorf gilt für die Planer die stark befahrenen Kreuzungen Sander Damm und Weidenbaumsweg. Christian Kloppenburg kennt noch einen weiteren. An der Autobahn-Ausfahrt Curslack sei die Situation für Linksabbieger aus Richtung Bergedorf jetzt schon kritisch im Feierabendverkehr, berichtet er. Der Rückstau zieht sich bis zur Fahrbahn hinunter. „Wenn die Schranke am Curslacker Heerweg dann zu ist, geht die Schlange zurück bis nach Nettelnburg“, befürchtet er. „Absoluter Wahnsinn“. Das funktioniert jetzt schon nicht. Er findet einen Ausbau des Busnetzes deutlich besser als die Reaktivierung der Bahnstrecke.