Geesthacht. Kriechstrom statt Lichtgeschwindigkeit: Die PV-Anlage in Krümmel kommt langsam voran. Warum Naturschützer mit den Zähnen knirschen.
Der Bau der großen Photovoltaik-Freiflächenanlage selbst dauere nur wenige Monate und könnte Mitte 2022 abgeschlossen sein, so die Hoffnung eines der Investoren nach der Vorstellung des Projektes im Geesthachter Stadtplanungsausschuss im März 2021. Diese Zeitvorstellung für das Vorhaben auf einem Streifen zwischen Krümmeler Atomkraftwerk im Süden und der B5 im Norden war dann doch ein wenig zu optimistisch.
Denn wir schreiben schon das Jahr 2024, und nun stand der „vorhabenbezogene Bebauungsplan Nr. 004 PV Grüner Jäger“ nebst der 7. Flächennutzungsplanänderung erneut zur Abstimmung auf der Tagesordnung des Ausschusses. Gebaut wird auch in diesem Jahr nicht. Das Inkrafttreten eines Satzungsbeschlusses erwartet Patrick Rodeck vom Planungsbüro Elbberg für Ende des Jahres – „wenn alles gut läuft. Sollte erneut eine Änderung nötig sein, müsste erneut ausgelegt werden“, erklärte er.
PV-Anlage auf großer Freifläche kommt nur langsam voran
„Im Gegensatz zu Windenergieanlagen ist die Solarenergie nicht privilegiert, es ist eine Bauleitplanung der Gemeinde erforderlich, damit verbunden eine Änderung des Flächennutzungsplans und Aufstellung eines Bebauungsplans“, erläutert Elbberg in den Unterlagen das Vorgehen. Vorhabenträger ist die Enerparc AG.
Aber es geht voran. Zumindest die nächste Ausschusshürde wurde genommen. Die Zustimmung zu den vom Planungsbüro vorgelegten und erläuterten Plänen zum weiteren Fortgang fiel einstimmig aus. Bei einigen Mitgliedern allerdings eher zähneknirschend.
Naturschützer kritisiert „rabiates Vorgehen“ beim Planieren für die Anlage
„Das rabiate Vorgehen missfällt mir sehr“, sagte Gerhard Boll (Grüne) zur Art und Weise, wie die Fläche für die Aufstellung der PV-Module geebnet werden soll. Er hatte sich im Vorfeld über ähnliche Projekte der Geesthachter Player informiert. „Ich war in Clausthal-Zellerfeld“, sagt er. „Dort ist zu sehen, wie sie die Fläche erst total planiert haben. An dieser Stelle schlucke ich, dass man mit der Natur so umgeht. Es sind wertvolle Sachen, die wir da haben.“
Entdeckt wurden in Sachen Fauna unter anderem neben vielen Fledermausarten Baumfalke, Mäusebussard, Schwarzspecht, Turmfalke und Waldkauz, ganz in der Nähe noch die Schleiereule, zudem diverse Reptilien wie Wald- und Zauneidechse, Blindschleiche und auch die Haselmaus. Acht aller erfassten Arten sind streng geschützt.
Gut 80 Jahre nach Kriegsende werden die Bunkeranlagen abgebaut
Hinzu kommen ein paar Tiere, die es sonst in Geesthacht überhaupt nicht gibt: Eine kleine Herde Mufflons wird aus jagdlichen Gründen seit vielen Jahren auf dem Gelände gehegt. Die spielen für Ausgleichsflächen keine Rolle, die anderen Raritäten hingegen schon. Hier sind Ausgleichsflächen nötig. So werden für die Fledermäuse zwei der 15 alten Bunkeranlagen auf dem Gelände erhalten.
„Durch die Planung ergeben sich erhebliche Beeinträchtigungen, welche die Berücksichtigung vielfältiger Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen erfordert“, heißt es im Planungspapier. Die Fläche soll nach Abschluss der Bautätigkeiten durch gelenkte Maßnahmen wieder eine Habitatstruktur annehmen, die dem jetzigen Zustand ähnelt.
Prähistorisches Gräberfeld vor Ort – auch Archäologen mischen mit im Plangebiet
Aber seltene Tiere und Pflanzen sind nicht der einzige Schatz. Auch im Boden selbst steckt Bedeutendes. Das Plangebiet befindet sich im archäologischen Interessengebiet. Stellenweise können sich Kulturdenkmale befinden, außerdem ein Brandgräberfeld, deshalb soll dort nicht gerammt werden. Erdarbeiten bedürfen der Genehmigung des Archäologischen Landesamtes.
Aber warum wird angestrebt, diese Fläche zu bebauen, wo sie doch so wertvollen Lebensraum bildet? Hintergrund ist das Klimaschutzgesetz, nach dem Deutschland bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein hat. Die Stadt Geesthacht sieht die Bebauung der Fläche als einen Beitrag zum Ausbau erneuerbarer Energien. Anders als für Windkraft werden große Potenziale im Ausbau der Photovoltaik gesehen.
Ein Wald unter einer Hochspannungsleitung ist gar kein Wald
Und hier bietet sich das Gebiet „unterhalb der Höchstspannungsleitung nordöstlich der Straße Langer Hals, südlich der Berliner Straße, beiderseits der Max-Planck-Straße“ aus guten Gründen an. Wegen der Leitungstrasse, die vom Umspannwerk bis zur B5 auf der gesamten Länge des Plangebiets führt, gilt der Wald darunter rechtlich gesehen gar nicht als Wald.
Das erleichterte vorbereitende Arbeiten. So wurden als eine der ersten Maßnahmen bereits Bäume gerodet, Einwände von der Naturschutzbehörde blieben aus. Zum „richtigen“ Wald muss der hessische Betrieb 30 Meter Abstand halten.
Förderfähigkeit verliert an Bedeutung – weil Preise für Solarmodule gesunken sind
Zudem sollen Solar-Freiflächenanlagen gemäß politischem Willen vorrangig auf Flächen errichtet werden, auf denen bereits eine Vorbelastung von Natur und Landschaft durch die Nutzung auf der Fläche selbst oder durch die Zerschneidungswirkung und Lärmbelastung der Verkehrswege besteht. So wie das Gelände der ehemaligen Dynamitfabrik Krümmel.
Dabei spielen auch Förderkriterien eine Rolle. Wobei die Förderfähigkeit laut dem Elbberg-Papier an Bedeutung verliert. „Durch das Sinken der Preise für Solarmodule ist es seit etwa 2019 möglich, PVA auch ohne Förderung und damit eigenwirtschaftlich zu errichten. Damit sind die potenziellen Flächen nicht mehr auf die EEG-Förderflächen begrenzt, sondern müssen lediglich fachlich geeignet sein. Im Prinzip ist damit jede Freifläche geeignet, auf der grundsätzlich eine Bebauung möglich ist“, heißt es.
Mit dem Strom könnte halb Geesthacht jährlich versorgt werden
Die Anlage entsteht auf einer Fläche von rund 26 Hektar. Die Enerparc AG plant mit einer Nennleistung von etwa 22 Megawatt Peak (MWp) und einer jährlichen Stromproduktion von etwa 20.370.000 Kilowattstunden (kWh). Zum Vergleich: Ein 800-Watt-Balkonkraftwerk erzeugt je nach Lage bis zu 4,8 kWh Strom an einem sonnigen Tag.
Der Strom wird, sobald produziert, ins öffentliche Netz eingespeist, das erfolgt außerhalb des Plangebiets. Es soll nach Berechnungen aus dem Jahr 2019 soviel sein, dass halb Geesthacht – 15.500 Wohnungen – pro Jahr versorgt werden könnten. Beabsichtigt ist die Errichtung von in Reihen angeordneten, aufgeständerten Solarmodulen. Die Untergestelle aus Stahl und Aluminium werden in den unbefestigten Boden gerammt. Die untere Kante der Module schwebt mindestens 80 Zentimeter über dem Boden, soll so eine durchgehende Vegetation sicherstellen.
Gegen Diebstahl soll ein Zaun helfen – Wildtiere kommen durch
Die maximale Höhe von baulichen Anlagen, sowohl der Solarmodule als auch von Nebenanlagen und Betriebseinrichtungen, wird auf 4,50 Meter begrenzt. Die Module werden in einem Winkel von etwa 20 Grad zur Sonne angeordnet.
Nebeneinrichtungen sind Wechselrichter, Trafostationen, Monitoringcontainer, Kameramasten und Leitungen. Gegen Diebstahl und Vandalismus schützt ein für Wildtiere durchlässiger Zaun. Die Anlage könnte nach Ende der Nutzungsdauer rückstandslos entfernt werden.
Auch interessant
- Public Viewing und Sonderzugfahrten: 14 Tage Party am Hafen
- Fahrradfahrer stürzt mit rekordverdächtigem Promillewert
- Mercedes E-Klasse in Flammen: Feuerwehr evakuiert Anwohner
Plangebiet soll sich als Lebensraum für Vögel eignen
Damit die Module sich nicht gegenseitig verschatten und um ausreichend Besonnung für die Vegetation zu sichern, ist zwischen den Reihen ein Mindestabstand von 2,50 Metern festgesetzt. So solle sich zudem eine Eignung des Plangebiets als Lebensraum für Vögel ergeben, so die Absicht.
Solche Freiflächen-PV-Anlagen hätten nur eine sehr geringe Brandlast, heißt es im Elbberg-Papier. Dennoch werde eine Grundversorgung an Löschwasser vorgehalten in Form von Löschwasserkissen, und an mehreren Stellen seien Personentore für die Feuerwehr vorgesehen. Fahrgassen werden freigehalten.