Lauenburg. In drei Monate sollen die Bewohner des Walter-Gerling-Hauses ausgezogen sein. Der Lauenburger Awo-Ortsverein fühlt sich überrumpelt.

Trotz jeder Menge Gegenwind sind die Awo Pflege gGmbH und der Awo-Landesverband nicht von dem Vorhaben abgerückt, das Walter-Gerling-Haus zum 30. Juni zu schließen. Für Kritik sorgt in Lauenburg vor allem die Tatsache, dass die Bewohner innerhalb von drei Monaten ausziehen sollen. Besonders die Mieter in der angeschlossenen betreuten Wohnanlage sind vollkommen auf sich allein gestellt. Ihnen wird von der Awo bisher jegliche Hilfe verweigert, eine Ersatzwohnung zu finden.

Nicht nur die Bewohner und deren Angehörige ärgern sich über das Vorgehen der beiden Organisationen mit Sitz in Kiel. Auch der Lauenburger Ortsverein der Awo fühlt sich überrumpelt. „Wir haben von der bevorstehenden Schließung des Walter-Gerling-Heimes erst aus der Lauenburgischen Landeszeitung erfahren“, sagt der Vorsitzende Jörg Sönksen. Im Dezember vergangenen Jahres sei der Awo-Landesvorsitzende Michael Selck auf Stippvisite in Lauenburg gewesen, ohne die Betriebseinstellung auch nur zu erwähnen. Doch da war die Sache längst in trockenen Tüchern, wie aus einem internen Papier vom 30. November 2023 hervorgeht.

Awo-Ortsverein ist sauer über die Entscheidung seines Landesverbands

Was den Chef des Awo-Ortsvereins besonders wütend macht: „So geht man nicht mit Menschen um. Das ist den Prinzipen der Arbeiterwohlfahrt unwürdig. Der Landesverband beschädigt unseren Ruf hier vor Ort“, sagt er. Die Menschen würden nicht unterscheiden, wer hier in Lauenburg so agiert. Awo sei Awo. „Mir tut das vor allem für die vielen ehrenamtlich engagierten Mitglieder leid, die ihre Freizeit opfern, um vor allem Senioren vor der Einsamkeit zu bewahren“, sagt er.

Der Umgang mit den Menschen durch den Landesverband ruiniert den Ruf der Awo vor Ort, sagt der Chef des Ortsvereins, Jörg Sönksen.  
Der Umgang mit den Menschen durch den Landesverband ruiniert den Ruf der Awo vor Ort, sagt der Chef des Ortsvereins, Jörg Sönksen.   © Elke Richel | Elke Richel

Jörg Sönksen und seine Stellvertreterin Cordula Hartel haben in den vergangenen Tagen den Vorstand zusammengetrommelt, um das weitere Vorgehen zu besprechen. „In den nächsten Tagen geht ein Brief an den Landesverband raus, in dem wir uns klar von dem Vorgehen distanzieren. Wir fordern, dass das Walter-Gerling-Haus so lange betrieben wird, bis der letzte Bewohner und die letzte Bewohnerin ein neues Zuhause gefunden hat, das für sie akzeptabel ist“, sagt Sönksen.

Wirtschaftliche Aspekte dürften nicht über das Wohl der Senioren gestellt, ist sich der Vorstand des Ortsvereins einig. Die Awo Pflege gGmbH hatte unter anderem damit argumentiert, dass wegen der baulichen Mängel und des hohen Reparaturaufwandes der Betrieb des Walter-Gerling-Hauses nicht mehr rentabel sei.

Awo-Ortsverein übernimmt den Umzug

Das Walter-Gerling-Haus mit den 16 separaten Seniorenwohnungen gehört dem Awo Landesverband, der es dem Tochterunternehmen Awo Pflege vermietet hat. Dieses Konstrukt hat zur Folge, dass für die Bewohner nicht der Mieterkündigungsschutz nach dem BGB gilt. Insofern auch nicht der Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“ Nach dem Auszug der Bewohner gäbe es eine Option, Gebäude und Grundstück zu verkaufen, heißt es in dem internen Papier.

Auch den Mietern der betreuten Wohnungen im Walter-Gerling-Haus wird zum 30.Juni gekündigt. Der Awo-Ortsverein stärkt ihnen den Rücken  
Auch den Mietern der betreuten Wohnungen im Walter-Gerling-Haus wird zum 30.Juni gekündigt. Der Awo-Ortsverein stärkt ihnen den Rücken   © Elke Richel | Elke Richel

Der Awo-Ortsverein will die Bewohner der betreuten Wohnanlage nicht im Regen stehen lassen. „Abgesehen davon, dass es schwer genug ist, eine neue Bleibe zu finden, wissen viele Bewohner nicht, wie sie den Umzug finanziell bewältigen sollen“, weiß der Vorsitzende und sichert deshalb zu: „Wenn ein Bewohner eine neue Wohnung gefunden hat, organisieren wir mit ehrenamtlichen Helfern den Möbeltransport.“

Bewohner wollen sich nicht vertreiben lassen

Die Senioren aus den Betreuten Wohnungen können die Rückendeckung gut gebrauchen. Auch eine zweite Mieterversammlung hat keine Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Wohnung gebracht. „Wir sind aber viel selbstbewusster aufgetreten. Bei der ersten Versammlung standen wir ja alle unter Schock“, erzählt Angelika Horstmann. So sei es unter anderem um die Rückzahlung der Kaution gegangen. „Die wollte man zum Teil einbehalten, bis die Nebenkosten vollständig abgerechnet sind. Denen habe ich aber meinen Mietvertrag unter die Nase gehalten. Darin ist eine Bruttowarmmiete vereinbart“, sagt sie.

Auch wenn sich einige Mieter inzwischen entschlossen haben, selbst nach einer neuen Wohnung zu suchen, ist die Erfolgsaussicht gering. Betreute Wohnungen für die ein Wohnberechtigungsschein erforderlich ist, sind in der Region Mangelware und die Konkurrenz ist groß: Das Pflegeunternehmen „Villa Vitalia“, das den „Wohnpark an den Eichen“ in Boizenburg betreibt, ist pleite. Innerhalb von 14 Tagen galt es für 52 Bewohner in der Umgebung ein neues Zuhause zu finden – unter anderem auch in Lauenburg.

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Immer mehr Pflegeeinrichtungen schließen

„Bis wir eine bezahlbare Wohnung gefunden haben, sodass wir auch einen angemessenen Pflegevertrag abschließen können, kriegen sie uns nicht aus dem Haus. Da kann ich für alle sprechen“, kündigt Angelika Horstmann an. Einen Platz in einem Pflegeheim oder in einer Betreuten Wohnanlage zu finden, gleicht mittlerweile der Suche einer Nadel im Heuhaufen.

Im Jahr 2023 verzeichnete der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP), dass deutschlandweit insgesamt 810 Altenpflege-Einrichtungen für immer schließen mussten. Dabei führt die Alterung der deutschen Gesellschaft in den kommenden Jahren zu stark steigender Nachfrage nach Pflege.